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Warum wollen immer mehr Menschen zur Sex-Maschine werden?

von Dominik Schönleben
VR-Pornos, smarte Vibratoren, Sexting und Online-Dating waren erst der Anfang. Technologie bestimmt schon jetzt das Sexleben zahlreicher Menschen. Sie erfinden diesen wichtigen Teil des Menschseins neu – über und mit Maschinen. Warum sich der persönlichste aller Triebe in einen Computer verwandelt. (Teil 4 unseres Schwerpunkts zum Thema „Mega-Mensch“)

Rich Lee will sich zur Sex-Machine weiterentwickeln. „Viele Frauen mögen Vibratoren, warum sollten Männer also nicht vibrieren?“, fragt er. Seine Erfindung, die das möglich machen soll, nennt Lee den Lovetron 9000. Ein kleines mit Kunststoff ummanteltes Gadget, das er sich am Schambein implantieren lassen will. Kaum größer als eine Ein-Euro-Münze, aber mit einem kräftigen Motor, der sein erigiertes Glied vibrieren lässt. Lee würde durch den Lovetron 9000 zum wahrscheinlich ersten Sex-Cyborg der Welt.

Nach der Meinung des 38-Jährigen sollten Männer ihren Körper verbessern können, wenn die Partnerin oder der Partner sich das wünscht. „Ich halte das für durchaus zumutbar, wenn eine Frau das fordert“, sagt der Verkäufer aus Utah. Nach acht gescheiterten Versuchen steht er knapp vier Monate vor einem finalen Prototyp, den er sich einpflanzen lassen will. Sollte alles klappen, geht der Lovetron 9000 in Serienproduktion

Lee ist Teil der so genannten Grinder-Bewegung – das sind Biohacker, die den eigenen Körper mit technischen Upgrades aufmotzen wollen. Für sie ist die Verschmelzung zwischen Mensch und Maschine nur eine Frage der Zeit. So wie für Tesla-CEO Elon Musk, der Visionär behauptete beim diesjährigen World Government Sumit, dass Menschen zu Cyborgs werden müssen, um mit der Entwicklung von Technologie mithalten zu können. Heute funktionieren solche Upgrades noch mit kleinen Magneten oder RFID-Chips. Biohacker träumen aber schon davon, Technologie mit dem eigenen Nervensystem zu verbinden. Den Pionieren würden bald einfache Verbraucher folgen, glauben sie – vielleicht, um auf dem Arbeitsmarkt mitzuhalten, vielleicht aber auch, um im Privatleben zu punkten. Optimieren ist menschlich, warum nicht auch beim Sex?

Durch Biohacking-Implantate wie das von Rich Lee, durch Virtual-Reality-Sex, erotische Chatbots, Künstliche Intelligenz und Sexroboter versuchen Menschen schon jetzt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Die Grenze zwischen biologischem und künstlichem Sex, sie verschwimmt zunehmend – und das könnte unser Miteinander als solches verändern.

Die ersten Bots, die sexuelle Bedürfnisse befriedigen sollen, gibt es bereits. Bei SextAdventure können Nutzer mit einem SMS-Bot chatten. Der fängt schon nach kurzem Geplänkel an, Nackt-Selfies zu schicken (die Fotos kommen in Wirklichkeit von Freunden der Programmiererin). Wer will, kann darauf mit eigenen Aufnahmen antworten.

Bedarf besteht anscheinend: Eine Analyse der Chatbot-Firma Dashbot zeigt etwa, dass schon 2,5 Prozent aller Fotos, die Menschen an Chatbots schicken, nicht jugendfrei sind, viele davon Selfies. Die Nutzer chatten dabei aber eigentlich gar nicht mit Sexbots, sondern mit Charakteren wie der Roboterkatze Poncho, die nur über den Wetterbericht Auskunft geben soll. Wer im Freundeskreis fragt, findet bestimmt den ein oder anderen, der Siri schon mal ein anzügliches Angebot gemacht hat. All das wird noch viel intensiver werden, sobald es schlaue Sprach-Assistenten gibt, die Sex- oder Erotik-Apps anbieten.

Doch Software-Assistenten sind nur der erste Schritt. Werden sie in Roboter-Hardware integriert, kann es um mehr als Sexting gehen. Das kalifornische Unternehmen RealDoll arbeitet bereits an seiner Vision vom smarten Sex-Roboter. Harmony soll ein in einen Roboterkopf integrierter Assistent werden, der auf die lebensechten Sexpuppen der Firma gesetzt werden kann, damit diese interaktiv werden. Neben den körperlichen Bedürfnissen der Kunden sollen die Puppen dann auch die intellektuellen befriedigen – und beispielsweise Gespräche führen. Quasi ein smarter Sexpartner für zu Hause, der einen zusätzlich als App ins Büro begleiten kann. 


Sex mit Robotern oder Künstlichen Intelligenzen bleibt nicht folgenlos für das menschliche Miteinander, fürchten Ethiker. Kathleen Richardson von der De Montfort University in Leicester und Erik Billing von der Universität Skövde in Schweden gründeten deshalb die Campaign Against Sex Robots. Die beiden glauben, dass Sex mit Bots den Beziehungen der Menschen schadet: „Wir befürchten, dass die Entwicklung von Sexrobotern Frauen und Kinder noch stärker zu Sexobjekten herabwürdigt“, schrieben sie Ende 2015 in einem Positionspapier. Das Angebot von künstlichem Sex reduziere menschliche Empathie und verstärke Objektifizierung auch in echten zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Kampagne läuft noch immer und fordert, „ethische Technologien, die Prinzipien der menschlichen Würde, Gegenseitigkeit und Freiheit widerspiegeln“. 

Entsteht da gerade der  entmenschlichte und dennoch sehr menschliche Sex?

Es muss aber nicht nur um den Sex mit Maschinen gehen, das tut es bei Rich Lee ja auch nicht. Technik hilft auch dabei, mit anderen Menschen besseren Sex zu haben. Vielleicht spielen auch deshalb Maschinen mittlerweile so eine große Rolle in der Gesellschaft – weil sie den Wunsch nach Optimierung und Perfektion ausdrücken, der zunehmend das Leben vieler Menschen ausmacht. Eine Beziehung soll auch auf Entfernung funktionieren, am Besten natürlich mit möglichst authentischem Sex. Stress, Alter und Krankheit sollen nach Möglichkeit nicht im Weg stehen. Technologie bietet eine Antwort auf diese Probleme.

Das Sexspielzeug Teledildonics ist ein Beispiel für diese Entwicklung – eine Verbindung zwischen virtuellem und analogen Sex. Das Gadget überträgt die Bewegungen einer Person auf das Gerät des Partners, egal wo er oder sie sich befindet. Mehr und mehr Unternehmen haben sich auf diese Art virtuellen Sex per Gadget spezialisiert. User sollen die Erfahrung mit Sexting oder einer Virtual-Reality-Brille kombinieren. Der Partner wird zum Avatar in der virtuellen Welt.

Denkt man diese Idee weiter, könnte es bedeuten, dass Menschen vielleicht in Zukunft Sex haben, nachdem sie sich auf einer Dating-Plattform kennengelernt haben – ohne dass es überhaupt zum Offline-Date gekommen ist. Ein One-Night-Stand weitab von sozialen Zwängen in einer künstlichen Realität und ohne Angst vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Der entmenschlichte und dennoch sehr menschliche Sex.

Der Aktivist Hannes Sjöblad vom schwedischen Biohacking-Kollektiv BioNyfiken glaubt, dass es beim Cyborg-Sex um mehr als nur die Befriedigung mit Hilfe von Maschinen geht: „Erst werden die Menschen nach Möglichkeiten suchen, ihre Orgasmen zu verstärken und zu verlängern“, sagt er. Dann aber gehe es um „subtilere Verbesserungen“ und darum, „gemeinsam ein Erlebnis zu teilen“ – inklusive Gesprächen, Intimität und Liebe. 

„Es ist leicht, sich zwei Menschen vorzustellen, die beim Sex ein Headset tragen und ihr Erlebnis mit einer visuellen Simulation von Stars oder Fantasy-Wesen verbinden“, sagt Sjöblad. In der VR-Industrie gebe es bereits viele Firmen, die sich genau mit dieser Idee beschäftigen. Die Porno-Branche will sich mit Technologie dabei vor allem selbst retten. Menschen wie Sjöblad aber geht es um mehr.

Seine Vision sind smarte Wearables, die den Erregunsgrad beim Sex messen. Im richtigen Moment schütten diese Geräte dann Pheromone aus oder stimulieren mit elektrischen Impulsen die richtigen Nervenenden, damit alle Beteiligten zu  einem perfekt synchronisierten Orgasmus kommen. Solche Sex-Gadgets werden Menschen aber nicht wie unhandliche VR-Brillen tragen, sondern sich direkt unter die Haut implantieren lassen, glaubt Sjöbald.

Das WIRED-Live-Interview mit Cyborg Enno Park

Pionier auf diesem Gebiet ist Kevin Warwick, Professor an der britischen University of Reading und der erste Mensch, der sich einen RFID-Chip implantieren ließ. 2004 setzte er sich und seiner Frau ein Gadget in den Arm ein, das direkt mit seinem Nervensystem verbunden war. Wenn jemand die Hand seiner Frau berührte, konnte Warwick es spüren, als wäre es seine eigene. 

Erste Wearables, die ähnliche Erlebnisse auf erotische Art erschaffen wollen, gibt es bereits. Noch werden sie außerhalb des Körpers getragen: Die taiwanesische Designerin Wan Tseng etwa hat Arm- und Halsbänder entwickelt, die das Gefühl von Berührungen oder den Hauch von Atem auf der Haut simulieren. „Die meisten Produkte auf dem Sexspielzeug-Markt sind Genitalien, die vibrieren oder nicht“, sagte sie im Interview mit Dazed. Aber es gehe eben nicht nur immer um Orgasmen, sondern um das umfassende Gefühl einer Begegnung.

Bis solche Stimulationen im Alltag ankommen, wird es noch ein wenig dauern. „Die jungen Menschen, die heute erwachsen werden, könnten Tausende von sexuellen Erfahrungen in der virtuellen Welt sammeln, bevor sie zum ersten Mal Sex mit einem anderen Menschen im echten Leben haben“, sagt Sjöbald jedoch.

Auch sein Biohacker-Kollege Rich Lee, der gerade dabei ist, seinem Penis ein Upgrade zu verpassen, stimmt zu: „In einigen Fällen werden die Menschen herausfinden, dass es langweilig geworden ist, es auf die alte, natürliche Weise zu tun“, sagt er. Pornografie, Vibratoren oder Sexting seien für viele Menschen längst Teil der normalen Sexualität. Warum sollten sie also nicht den nächsten Schritt gehen? „Wenn die Menschen erst mal ihre Orgasmen durch Cyborgasmen ersetzt haben, werden sie niemals zurückwollen“, sagt Lee.

Dieser Artikel ist Teil der WIRED Story Shots – Denkanstöße zu den wichtigsten Fragen der Digitalisierung. Diese Woche: Mega-Mensch – überholen uns die Maschinen, behalten wir die Oberhand oder verschmelzen wir mit ihnen zu höheren Wesen?

Teil 1: Superintelligente Computer werden die Welt so schnell nicht beherrschen
Teil 2: Tech-Darwinismus: Vom Menschen, der zum Gott werden will
Teil 3: Lässt sich der perfekte Mensch bald ausdrucken?
Teil 4: Warum wollen immer mehr Menschen zur Sex-Maschine werden?
Teil 5: Wie gefährlich sind KIs, die unsere schlechten Eigenschaften übernehmen?

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