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Box-Gründer: Das Valley erlebt mit Trump noch viele Turbulenzen

von Karsten Lemm
Aaron Levie gehört zu den schärfsten Trump-Kritikern im Silicon Valley. Im Interview erklärt der Mitgründer des Cloud-Dienstes Box, was die Tech-Industrie vom US-Präsidenten fordert und warum die Unternehmen nur ab und zu eine gemeinsame Linie finden.

Es war wieder so eine Woche, in der Washington das Silicon Valley aufgerüttelt hat: Nach Donald Trumps Entscheidung, das Pariser Klimaschutz-Abkommen zu kündigen, verließ Tesla-Chef Elon Musk unter Protest den Beirat des US-Präsidenten. Kurz vorher hatten zwei Dutzend Tech-Konzerne noch versucht, Trump umzustimmen: In ganzseitigen Anzeigen, die sie im Wall Street Journal und der New York Times schalteten, riefen unter anderem Apple, Google, Microsoft und Salesforce den US-Präsidenten dazu auf, die Ziele des Pariser Abkommens weiterzuverfolgen – nicht zuletzt, weil es helfe, Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu sichern.

Während die meisten Silicon-Valley-Bosse sich üblicherweise eher zurückhalten, wettert Aaron Levie seit Monaten gegen den unberechenbaren Mann im Weißen Haus. Als Mitgründer des erfolgreichen Cloud-Anbieters Box fürchtet der 31-jährige Firmenchef um eine stabile Grundlage für künftige Geschäfte: „Unternehmen jeder Größe suchen nach neuen Wegen, digital Dokumente auszutauschen, zusammenzuarbeiten und Aufgaben zu erledigen“, sagt Levie.

Um Kunden wie McDonald’s, General Electric oder Coca-Cola zu bedienen, müsse Box sich aber auf präzise Rahmenbedingungen verlassen können – und die gebe es unter Präsident Trump bisher nicht: „Bei Themen wie Verschlüsselung, Schutz der Privatsphäre oder dem Zugriff auf das Internet ist keine klare Linie zu erkennen“, klagt Levie im Gespräch mit WIRED. Er verurteilt auch die Entscheidung der US-Telekombehörde FCC, Netzneutralität künftig nicht mehr grundsätzlich zu garantieren: „Wir glauben daran, dass das Internet offen sein sollte“, sagt Levie, „damit neue Ideen aufblühen können und niemand Angst haben muss, dass veränderte Bedingungen den Zugang zu Kunden erschweren.“

Das Problem fügt sich ein in die allgemeine Ratlosigkeit, mit der das Silicon Valley nach Washington schaut. Während Barack Obama von Anfang an als Digitalversteher auftrat, gebe es bei Donald Trump bisher nur in einem Punkt Klarheit: „Technologie und Innovation spielen in seinem Beraterkreis keine große Rolle“, sagt Levie im WIRED-Interview.

WIRED: Einer Ihrer Vorzeigekunden ist das US-Justizministerium. Wie finden es die Verantwortlichen dort, dass Sie immer wieder den Präsidenten kritisieren?
Aaron Levie: [Lacht.] Das weiß ich nicht, ich habe noch nicht nachgefragt. Aber allgemein gesagt: Wir sind fest davon überzeugt, dass politische Entscheidungen in den kommenden Jahren wesentlich darüber mitbestimmen werden, ob unser Land weiterhin eine Führungsrolle in der Digitalwirtschaft einnehmen kann. Deshalb setzen wir uns für Themen ein, die wir für wichtig halten. Ich bin sicher, die Regierung versteht, dass wir bisweilen unterschiedlicher Meinung sein werden. Von unserer Zusammenarbeit lässt sich das hoffentlich trennen.

WIRED: Welche Digitalfragen sind aus Ihrer Sicht von besonderer Bedeutung?
Levie: Das reicht vom Schutz der Privatsphäre über Verschlüsselung von Daten und Patentreform bis zur Zukunft der Arbeit und gesellschaftlichen Aspekten. Wir stehen zweifellos am Beginn einer neuen Ära, die durch digitale Technologien definiert wird – durch Vernetzung und unsere Fähigkeit, weltweit mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Das ist ein phänomenaler Umbruch, und politische Entscheidungen werden bestimmen, ob die Folgen positiv oder negativ ausfallen, in aller Welt, nicht nur in den USA.

Wir fangen praktisch wieder von vorn an

Aaron Levie

WIRED: Wie unterscheidet sich die Regierung Trump von ihren Vorgängern?
Levie: Die neue Regierung hat kaum damit begonnen, das Thema auch nur ansatzweise zu verstehen. Vorher gab es Leute, die über Jahre hinweg sehr gründlich über den Digitalwandel nachgedacht hatten. Jetzt fangen wir praktisch wieder von vorn an. Dazu kommt, dass Trump ohnehin wenig Interesse an diesem Themenkomplex zeigt. Obama war umgeben von Beratern, die sich eingehend mit allem beschäftigt hatten, und das gab ihm vom ersten Tag an einen Wissensvorsprung. Nichts davon sehen wir bisher bei der neuen Regierung.

WIRED: Als leidenschaftlicher Twitter-Nutzer sollte Donald Trump doch eigentlich an Technik interessiert sein.
Levie: Ja, welche Ironie, nicht wahr?

WIRED: Hatten Sie schon Gelegenheit, ihn selbst zu treffen?
Levie: Nein, aber wir haben mit einer Reihe seiner Mitarbeiter gesprochen, die sich mit Technologiefragen beschäftigen und auch sehr gutes Fachwissen mitbringen. Doch wenn ich mir die sehr breit aufgestellte Gruppe an Beratern anschaue, mit denen Trump sich umgibt, dann spielen Technologie und Innovation offenbar keine besondere Rolle – und das macht es sehr schwierig.

Es gibt keine allgemeine Zustimmung oder Opposition, sondern man engagiert sich von Fall zu Fall

Aaron Levie

WIRED: Das Silicon Valley scheint ohnehin recht gespalten, wie es mit Donald Trump umgehen soll: Zunächst gab es Widerstand, dann zaghafte Annäherungsversuche. Wie schätzen Sie derzeit die Stimmung ein?
Levie: Es gibt keine allgemeine Zustimmung oder Opposition, denke ich, sondern man engagiert sich von Fall zu Fall. Wenn Sie sich ganz aktuell die Diskussion um das Pariser Klimaschutz-Abkommen anschauen – da haben zahlreiche Technologie-Unternehmen zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass ihre Stimme im Weißen Haus gehört wird. Aber das passiert, wie gesagt, je nach Anlass neu.

WIRED: Wäre es nicht sinnvoller, sich konsequent zu organisieren, um gemeinsam Position zu beziehen?
Levie: Es gibt schon Einigkeit. Das Engagement steht und fällt nur jeweils abhängig vom Thema. Wenn die Welt ruhig bleibt, kümmert sich jeder um seine eigenen Aufgaben. Doch beim Präsidenten-Erlass vor einigen Monaten zum Beispiel, der Muslimen aus bestimmten Staaten die Einreise untersagte, gab es viel Kooperation, um sicherzustellen, dass das Silicon Valley mit einer Stimme spricht.

WIRED: Sie sind Mitglied im Aufsichtsrat von TechNet, einem gemeinnützigen Verein, den der ehemalige Cisco-Vorstand John Chambers ins Leben gerufen hat. Chambers ist ein erklärter Konservativer, genau wie die Oracle-Chefin Safra Catz, die zu Trumps Beraterkreis gehört und ebenfalls im Aufsichtsrat von TechNet vertreten ist. Wie kommen Sie miteinander klar?
Levie: Die einzelnen Mitglieder mögen politische Überzeugungen haben, aber TechNet versteht sich als überparteiliche Organisation, die einen Konsens erarbeitet und Meinungen vertritt, in denen sich alle wiederfinden können. Auch da ist die Reaktion auf Trumps sogenannten „Moslembann“ ein gutes Beispiel: TechNet veröffentlichte dazu ein sehr klares Statement, das der Regierung widersprach – ganz unabhängig von der politischen Ausrichtung einzelner Mitglieder. 

WIRED: Fällt es nicht schwer, bei so unterschiedlichen Ansichten eine gemeinsame Linie zu finden?
Levie: Der Zusammenhalt ist recht groß. Denn die Themen, die für Technologie-Unternehmen wichtig sind, betreffen ja alle gemeinsam – unabhängig von der Firmengröße oder den politischen Ansichten.

Die USA müssen die Besten der Besten willkommen heißen – egal, woher sie kommen

Aaron Levie

WIRED: Woran denken Sie dabei zum Beispiel?
Levie: Ein großes Hindernis sind die bisher geltenden Visumsbeschränkungen für ausländische Mitarbeiter mit hohem Bildungsgrad. Die meisten Technologie-Unternehmen würden dieses sogenannte H1-B-Visumsprogramm gern deutlich ausweiten, sodass es automatisch alle abdeckt, die an einer US-amerikanischen Universität einen Abschluss machen – und idealerweise sogar jeden, der Fähigkeiten mitbringt, die für unsere IT-Industrie nützlich sein könnten.

WIRED: Donald Trump hält dagegen, es gebe ja auch so genügend IT-Spezialisten im Land.
Levie: Für Box sind hochqualifizierte Einwanderer enorm wichtig. Generell denke ich, die USA müssen die Besten der Besten willkommen heißen – egal, woher sie kommen –, damit sie hier großartige Arbeit leisten können. Die Zukunft wird jenen Ländern gehören, denen es gelingt, die besten Bedingungen für Einwanderung zu schaffen und zugleich die technisch-wissenschaftliche Ausbildung zu fördern, die für eine innovative Wirtschaft von grundlegender Bedeutung ist. Da gibt es für mich keine Frage. Leider haben wir in den USA viele politische Rahmenbedingungen, die uns nicht gerade eine Spitzenposition in dieser Hinsicht geben, und das ist sehr beunruhigend.

WIRED: Was macht Ihnen dabei am meisten Sorgen?
Levie: Neben der Visumsvergabe das Bildungssystem: Im ganzen Land herrscht ein signifikanter Mangel an wissenschaftlicher Ausbildung – auch weil die Lehrinhalte veraltet sind. Wir bringen der nächsten Generation an Schulkindern und Studenten nicht die Fähigkeiten bei, die Zukunftsindustrien von ihnen verlangen. Das gilt sicher auch für andere Länder, aber eigentlich sind wir in den USA ja stolz auf unser vermeintlich fortschrittliches Bildungssystem. Nur: In Wahrheit taugt es nicht, um die Anforderungen der Digitalwirtschaft zu erfüllen.

Am Ende wird sicher alles gut – nur wann es so weit sein wird, wissen wir nicht. Das kann zermürbend sein

Aaron Levie

WIRED: Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf in Washington?
Levie: Wir brauchen klare politische Rahmenbedingungen für Technologien, die den größten Einfluss auf die Digitalwirtschaft haben. Dazu gehören Datenschutz und Verschlüsselung, aber auch selbstfahrende Autos, Drohnen oder die Regulierung neue Biotechnologien. All diese Dinge werden von Gesetzen sehr stark mitgeprägt, und wir müssen sicherstellen, dass wir einen ordnungspolitischen Rahmen finden, der zu dieser veränderten Wirtschaft passt.

WIRED: Sind Sie nach knapp fünf Monaten Trump-Regierung zuversichtlich, dass das gelingen wird?
Levie: Ich bin von Natur aus optimistisch veranlagt, und mir bleibt auch keine andere Wahl, denn ich sehe so viele Chancen, die Zukunft positiv zu gestalten. Aber es gibt für mich auch keine Frage, dass wir in den nächsten Jahre noch viele Turbulenzen erleben werden. Am Ende, wenn wir das alles durchgestanden haben, wird sicher alles gut – nur wann es so weit sein wird, wissen wir nicht. Und das kann natürlich manchmal zermürbend sein.

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