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Braucht Twitter den lautstarken User Trump, um nicht unterzugehen?

von Elisabeth Oberndorfer
Twitter-CEO Jack Dorsey steckt in einem Dilemma: Donald Trump sorgt für Reichweite und Aufmerksamkeit, aber verschreckt auch immer mehr Nutzer. Den US-Präsidenten zu sperren, könnte die Existenz des Social-Media-Problemkinds jedoch noch mehr bedrohen, als ihn weitermachen zu lassen.

Jack Dorsey ist eine Ausnahme im Silicon Valley. Nicht nur CEO von gleich zwei börsennotierten Unternehmen ist – sondern auch der einzige Geschäftsführer eines US-Tech-Konzerns, der sich mit Kritik am neuen US-Präsidenten nicht zurückhält. Das bringt den Twitter-Mitgründer jedoch in ein Dilemma. Denn Donald Trump hat besonders im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass die Plattform ständig in Medien zitiert wurde und in Zeiten der Krise ihre Relevanz bestehen blieb. Braucht Twitter den lautstarken User Trump, um nicht unterzugehen?

Dorseys Auseinandersetzung mit dem Obama-Nachfolger begann nach der US-Wahl, als er sich auf Twitter für ein vereintes Land aussprach: „Alle Menschen sind gleich“, schrieb der CEO mit Blick auf die Ausgrenzungspolitik von Trump an. Wie unangenehm ihm die Tatsache ist, dass der Regierungschef den Microblogging-Dienst als Sprachrohr nutzt, konnte man Dorsey auf einer Tech-Konferenz anmerken. Es sei faszinierend, wie ein Präsident Twitter für die Kommunikation in Echtzeit einsetze, er selbst fühle sich dabei aber in der Zwickmühle: „Wir spielen eine große Rolle beim Verbreiten von News und Meinungen und haben dabei eine Verantwortung.“ Zu lernen, Konversationen zu ermöglichen und dadurch die Wahrheit herauszufinden, das sei kompliziert.

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Eine Woche nach diesem Interview, am 14. Dezember, saßen dann beinahe alle Manager der größten US-Tech-Unternehmen mit Donald Trump an einem Tisch. Nur Jack Dorsey bekam für den Tech Summit im Trump Tower offenbar keine Einladung. Trumps Team begründete die Abwesenheit von Twitter damit, dass der Social-Media-Betreiber schlicht nicht groß genug sei.

Der wahre Grund, warum Trump den Macher seiner Lieblingsplattform nicht an seinem Tisch haben wollte, soll jedoch ein anderer gewesen sein: Dorsey selbst soll seinem Wahlkamfteam eine Werbekampagne auf Twitter untersagt haben, bei der sich der Präsidentschaftskandidat mit einem „Crooked Hillary“-Emoji über seine Gegnerin lustig machen wollte.

Angesichts der komplizierten Beziehung zum US-Präsidenten dürfte der technische Fehler, der Twitter nun nach dessen Amtseinführung passiert ist, Dorsey besonders unangenehm sein. Der Account @POTUS, der von Barack Obama in die Hände von Donald Trump wechselte, hatte 560.000 Follower, die dem Account gar nicht aktiv gefolgt waren. Der Twitter-Geschäftsführer stellte am Samstag klar, dass es sich dabei um ein Versehen handelte: „Es war unser Fehler, es war nicht richtig und wir entschuldigen uns dafür, keine Ausreden.“

Twitter braucht klare Regeln im Kampf gegen Cyberbullying, an die sich auch das Staatsoberhaupt halten muss

Verzwickt dürfte Twitters Verhältnis zu Trump auch deshalb sein, weil der derzeit wohl berüchtigtste User besonders durch sein Troll-Verhalten auffällt. Twitter wird seit Jahren dafür gerügt, nicht genug gegen Cyberbullying und Hasskommentare vorzugehen. Insider warfen dem Dienst vor einigen Monaten in einem ausführlichen BuzzFeed-Bericht vor, das Problem bewusst zu ignorieren. An der Börse enttäuscht Twitter seit Beginn an durch sein stagnierendes Wachstum, für das die negative Kommunikationskultur ein Faktor ist. 2016 musste sich Dorsey aufgrund des Drucks der Investoren deshalb einen neuen Plan überlegen und suchte nach potenziellen Käufern. Disney, einer der wenigen Interessenten, soll die Finger von Twitter gelassen haben, weil es wegen seines Troll-Problems ein so schlechtes Image hat.

Doch auch wenn Trump das Unternehmen als zu irrelevant für ein Treffen mit ihm diskreditiert hat, so hält er doch an seiner Liebe zu dem Portal fest. Sobald er etwas twittere, würden es die Medien aufgreifen und zu Breaking News machen, freute er sich unlängst im Interview mit der Sunday Times.

Mit Trumps ungefilterten Tweets aus dem Weißen Haus werden auch die Forderungen nach seinem Twitter-Aus lauter. In einer Umfrage unter 899 Wählern sprachen sich 64 Prozent im Januar dafür aus, dass der Präsident sein Profil löschen soll. Die Investorin Ellen Pao appellierte am vergangenen Freitag an Jack Dorsey, Trumps Account zu sperren: „Er holt das Schlimmste aus Twitter heraus – dem Unternehmen, der Plattform und ihren Usern.“ Der Politiker erhöhe zwar den kurzfristigen Wert des Portals, weil er so viele Interaktion und Aufmerksamkeit auf sich ziehe, was auch der Aktie zugute komme. Dennoch müsse Dorsey die schwere Entscheidung treffen und den Präsidenten von seiner Plattform ausschließen, um die ständigen Beleidigungen zu stoppen, fordert seine Silicon-Valley-Kollegin Pao.

Auf diese Forderung hat Dorsey noch nicht öffentlich reagiert. Am Wochenende retweetete er aber zahlreiche Beiträge über den Women’s March, der sich weltweit als Bewegung gegen Trumps Frauenpolitik formierte. Auch Protestbewegungen wie diese sind etwas, das Twitter im ersten Jahrzehnt seines Bestehens zu internationaler Relevanz verholfen hat. Jetzt, da Sprecher des Weißen Hauses „alternative Fakten“ verbreiten, könnten die Regierungskritiker Twitter mehr als je zuvor brauchen.

Brechen die Nutzungszahlen ein, muss Twitter Maßnahmen treffen, um jenseits des ‚Trolls der Nation‘ nicht an Bedeutung zu verlieren

Die Zukunft von Twitter könnte darin liegen, eine ausgewogene Plattform für beide Seiten zu bieten. Dafür muss der Konzern jedoch ebenso wie Facebook seine Verantwortung beim Verbreiten von falschen Behauptungen ernst nehmen und in die Faktenüberprüfung investieren. Lässt Dorsey den Account des Präsidenten nicht sperren, so braucht Twitter zumindest klare Regeln und Vorgehensweisen im Kampf gegen Cyberbullying, an die sich auch das Staatsoberhaupt halten muss. Atlantic-Autor Connor Friedersdorf schlägt vor, dass Trump nicht mehr direkt twittert, sondern seine Tweets vorher freigegeben werden müssen. Mit der zusätzlichen Authentifizierung könnten im Fall eines Hacks auch Staatskrisen vermieden werden. Gibt Twitter allerdings die Kommunikation in Echtzeit auf, so vernachlässigt das Portal einen großen Vorteil gegenüber seiner Konkurrenz im Social Web.

Spätestens im April, wenn die Zahlen des ersten Quartals 2017 veröffentlicht werden, wird sich das wirtschaftliche Ausmaß von Trump auf Twitter zeigen. Sorgt der tweetfreudige neue Bewohner des Weißen Hauses für einen Aufschwung an der Börse, wird Dorsey wohl den Kurs der vergangenen Monate fortsetzen und Trump trotz der persönlichen Antipathie auf der Plattform dulden. Brechen die Nutzungszahlen allerdings ein, muss Twitter im Trump-Dilemma Maßnahmen treffen, um jenseits des „Trolls der Nation“ nicht an Bedeutung zu verlieren.

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