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Digital ist besser / Johnny Haeusler gibt Spotify Nachhilfe in Sachen Musik-Streaming

von Johnny Haeusler
Eigentlich findet Johnny Haeusler Musik-Streaming-Dienste ja langweilig. Dem neuesten Angebot auf dem Markt, Apple Music, kann er aber doch so einiges abgewinnen. Zumindest mehr als der Konkurrenz aus Schweden.

In meiner vorletzten Kolumne beschrieb ich, wie sehr mich Streaming-Dienste mit ihren Fitness-Playlists und Mainstream-Empfehlungen langweilen. Natürlich spricht gar nichts dagegen, die Lieblingsbands durch den Kauf von Vinyl zu unterstützen, auch wenn man sie vielleicht während des Stöberns bei Spotify oder anderen Musikdiensten entdeckt hat. Ich weiß, dass sich Musikkonsum dauernd verändert, denn ich bin so alt, dass ich als Kind noch das Tonband meines Vaters benutzt habe, während meine Söhne mich heute schon beim Begriff „MP3“ fragend ansehen.

Ihre Musik hören viele junge Menschen als Spotify-Stream oder via YouTube, Hauptsache geräteunabhängig, möglichst unbegrenzt und mobil verfügbar. Welches Dateiformat dabei genutzt wird oder wie es heißt, ist ihnen völlig egal. Diese Entwicklung zu beobachten, ist für mich sowohl als Geek als auch als Vater interessant.

Vor wenigen Tagen kündigte Apple seinen eigenen Streaming-Service mit dem nicht sehr kreativen Namen Apple Music an (wenigstens bleibt uns unter Tim Cook „iMusic“ erspart), eine recht späte Antwort auf die zahlreichen bereits vorhandenen Konkurrenzportale. Während Apples Präsentation reagierte Spotify-Chef Daniel Ek auf Twitter mit einem vieldeutigen „Oh ok“ auf die dreimonatige kostenfreie Testphase und die Einbindung in das erprobte iTunes-Interface. Und löschte den Tweet wenig später, vermutlich, um die Welle der Retweets zu stoppen.

Amy-Winehouse-Covers? Die Redaktion von Spotify hat leider keine Ahnung.

Ganz besonders dürften Ek aber in diesem Zusammenhang die aktuellen Nutzerzahlen beunruhigen. 75 Millionen aktive Nutzer (davon 20 Millionen zahlende) gibt Spotify selbst an, eine stattliche Zahl für einen Dienst, der noch so jung ist. Aber auch eine verschwindend kleine gegen die laut Apple aufgelieferte Stückzahl von über einer Milliarde iOS-Devices, auf denen iTunes und damit ab Juli 2015 auch Apple Music vorinstalliert ist. Selbst ohne Desktop-Rechner und Laptops, auf denen Apple Music natürlich auch verfügbar sein wird, darf Apple Music für Spotify also getrost als massive Herausforderung betrachtet werden. Zumal Apple Music ab dem Herbst auch auf Android-Geräten laufen wird.

An die Nutzerzahlen von Apple wäre Spotify sicher sowieso nicht schnell herangekommen, doch an drei Stellschrauben hätten die Schweden in den vergangenen Monaten drehen können, um es Apple ein wenig schwerer zu machen und sich selbst noch besser zu positionieren.

Da sind zum Einen das Interface der mobilen Apps und Desktop-Anwendungen und die redaktionellen Betreuung. Trotz dauernder Nachbesserungen ist es Spotify immer noch nicht gelungen, ein konsistentes, simples und freundliches Design zu bieten, das Lust aufs Stöbern und Entdecken macht. Spotify reagiert auf die Ergebnisse der eigenen Nutzeranalyse mit einer Flut von Playlists, die nach Stimmung, favorisierter Sportart oder auch muskalischen Genres geordnet sind, doch diese sind derart mies kuratiert, dass man sie höchstens für Einsteiger empfehlen kann. Wenn sich in der Playlist „Dub Reggae“ etwa Coverversionen einiger Specials-Songs von Amy Winehouse wiederfinden, dann weiß man: Die Redaktion hat leider keine Ahnung.

Dabei hätte sich Spotify mit guten Kuratierungen, vielleicht durch bekannte Radio-DJs oder Künstler, längst wichtiger machen können. Auch die einfachere Integration von MusikerInnen ohne Label-Deal, die bisher nur über Drittdienstleister funktioniert, hätte die Plattform nach vorne bringen können. Vielleicht wäre auch eine Kooperation mit SoundCloud möglich gewesen, doch nichts davon ist zu sehen oder zu hören.

29,99 oder 14,99? Ihr dürft raten, wofür sich die musikbegeisterte Familie entscheiden wird.

Ähnliches gilt für Community-Funktionen. Die Tatsache, dass Facebook-Pages für Bands und KünstlerInnen an Wirkung stark nachlassen, muss ein Unternehmen, das sich mit Musik-Distribution befasst, aufhorchen und reagieren lassen. Doch die Brücke zwischen Fan und Band hat Spotify noch nicht gebaut. Aber warten wir erst mal gespannt ab, ob dies Apple mit Connect besser gelingt als damals mit Ping, doch einen Versuch ist es wert. Schade, dass Spotify ihn bisher nicht unternommen hat.

Und nicht zuletzt geht es mal wieder ums leidige Geld. Das Angebot von Spotify an Familien lautet: Bis zu vier zusätzliche Familien-Accounts kosten jeweils die Hälfte der sonst üblichen 9,99 Euro, die für den Erst-Account gezahlt werden müssen. Eine Familie mit insgesamt fünf Personen bezahlt für Spotify also 29,99 Euro im Monat. Bei Apple erhält eine sechsköpfige Familie ihre Accounts für insgesamt 14,99 Euro. Ihr dürft raten, wofür sich die musikbegeisterte Familie entscheiden wird.

Aber egal, wie gut Apple Music wirklich sein wird und wie Spotify darauf reagiert, es kommt Bewegung in den Streaming-Markt, und als Konsumenten profitieren wir auf jeden Fall davon. Ob das für die KünstlerInnen und UrheberInnen auch so sein wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

In der letzten Folge „Digital ist besser“ erklärte Johnny Haeusler, warum er online nur noch mit angezogener Handbremse kommuniziert. 

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