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Soundcloud-Gründer Alexander Ljung muss sein Unternehmen innovativ halten

von Sören Kittel
Der Schwede hat eine Milliarden-Company gebaut: Nun muss sein Musikstreaming-Dienst Soundcloud innovativ bleiben.

Heute früh habe ich das erste Mal seit Wochen mal wieder Yoga gemacht“, sagt Alexander Ljung an diesem Dezembermorgen. Man wundert sich in dem Augenblick ein bisschen, denn Yoga: Ist das nicht eine derjenigen Sportarten, die man überall auf der Welt machen kann? Perfekt für den 32-Jährigen, der ständig durch die Welt hopst, hierhin, dorthin und immer allerorten. Los Angeles, New York, London. Berlin, überall dort gibt es Büros von Soundcloud, dem größten Musik-Netzwerk der Welt. Im Headquarter in der Berliner Startup Factory haben sie ihm extra ein Yoga-Zimmer gebaut und für Ljungs Mitgründer Eric Wahlforss eine Tischtennisplatte in das Büro gestellt. Ping und Pong und alles im Fluss: „Bei Startups geht es darum, die Welt zu verändern“, sagt Ljung, „Veränderung bedeutet Chaos. Yoga gibt mir die wenigen ruhigen Momente im Chaos.“


175 Millionen Hörer hat Soundcloud nach eigenen Angaben jeden Monat — und damit mehr als viermal so viel wie Spotify und mehr als doppelt so viel wie Pandora. Soundcloud ist ein Gigant, über dessen Gründer Tim Renner, ehemals Chef der Plattenfirma Universal und heute Kulturstaatssekretär von Berlin, sagt: „Was sie geschafft haben, das ist einzigartig: eine Portallösung, die gleichzeitig Social Media ist und die direkte Interaktion von Musikern mit Produzenten und Fans ermöglicht. Das ist schon revolutionär.“ Und 2015, das könnte ein Schicksalsjahr werden für die Rebellen der Musikindustrie. Im Herbst war Ljung auf dem Burning Man-Festival: Alle, die er traf, kannten Soundcloud oder waren sogar auf der Plattform. „Ein besonderes Gefühl“, sagt er. „Ziemlich aufregend.“ So wie vermutlich das ganze letzte Jahr, da ging alles zack, zack.


Um nur ein paar Dinge zu nennen: Das Unternehmen launcht eine neue iOS-App, organisiert den Umzug in das neue Büro. Es gibt Gerüchte, dass Twitter an dem Unternehmen interessiert sei, der Deal platzt. Dafür entsteht eine Kooperation mit dem 140-Zeichen-Dienst, der Soundcloud-Tracks in die Timeline integriert. Dann eine Lizenzvereinbarung mit Warner, in dessen Zug sich der Musikriese angeblich auch an dem Startup beteiligt hat. Ein erster Schritt, der die ungeklärte Rechtefrage lösen soll: Dürfen Soundcloud-User Songs der großen Labels veröffentlichen oder gar einfach mixen? Eine der größten Herausforderungen, die Ljung an-gehen muss. Und wobei ihm dieser Knaller helfen könnte: 150 Millionen US-Dollar soll das Start-up in einer neuen Finanzierungsrunde einsammeln, berichtete das Wall Street Journal Ende 2014 – was Soundcloud auf eine Bewertung von über einer Milliarde Dollar schießen könnte. „Welcome to the Unicorn Club!“ So nennt der Kapitalgeber Cowboy Ventures die Milliarden-Dollar-Gründungen. In den Club der Einhörner schaffen es weniger als 0,1 Prozent aller Start-ups. Face-book, Linkedin, Pinterest, Dropbox, Uber, Twitter – und nun Soundcloud?


Guter Move: Im Sommer2014 ist Soundcloud in die Berliner Startup-Factorygezogen, in der unter anderemauch Twitter einBüro hat

An diesem Dezembermorgen also steht Alexander Ljung im Playroom des Berliner Office und spricht über Yoga, die Tischtennisplatte, das Büro und sein Unternehmen. Hinten links in der Ecke befindet sich ein Passbildautomat, so ein Ding, in das man sich normalerweise nur nachts betrunken mit Freunden begibt, um Grimassen zu schneiden, Hasenohren zu machen oder Schnuten zu ziehen. Dann blitzt es vier Mal, und heraus kommen vier Bilder, die eine ganze Nacht erzählen. Und das ist auch ein guter Weg, sich Soundcloud zu nähern, mit vier Momentaufnahmen: Wo ist das Business-Modell? Was macht die Konkurrenz? Wie schafft man es, die eigenen User mitzunehmen? Wie laufen die Deals mit den Plattenfirmen? Tim Renner nennt die Herausforderung von Soundcloud gern das Sex-Pistols-Phänomen. „Die waren irre erfolgreich, aber haben trotzdem ihren rebelli-schen Ansatz behalten. Zumindest die Illusion davon hat die Band geschafft.“ Und das sei doch Mut machend für Soundcloud. Denn das ist ja von Ljung so leicht gesagt: „Wir wollen weiter innovativ sein und Unruhe stiften.“


Er habe nicht vergessen, wie es sich anfühlte, 2007 im Berliner Café „Sankt Oberholz“ zu sitzen und zusammen mit seinem Kumpel Eric an der ers-ten Version zu basteln, erzählt Ljung ein paar Wochen vorher am Telefon. Von den paar Zeilen Code, die er zu Beginn schrieb, ist nichts mehr übrig. Dennoch: Soundcloud sei nach wie vor ein Startup. Wie es der britische Programmierer Paul Graham gesagt hat: Bei Startups gehe es um Wachstum. „Und wir wachsen noch.“ Grow first, monetize later, erst schnell viele User aufbauen, dann Geld verdienen — wer der Startup-Philosophie folgt, die auch andere Einhörner betreiben, muss konstatieren: Soundcloud hat bisher vieles richtig gemacht. Und doch taucht nun vermehrt die Frage nach dem Geldverdienen auf. Kürzlich erst wurden die Unternehmenszahlen für 2013 veröffentlicht: Zwar konnte das Start-up den Umsatz um 40 Prozent auf 11,3 Millionen Euro steigern. Trotzdem blieben Verluste in Höhe von 23,1 Millionen Euro. Und das alles in einem hart umkämpften Markt. Pandora, Spotify, Youtube mit seinem Musikangebot, Beats Music, das im Mai für drei Milliarden Dollar von Apple gekauft wurde. Wenn es zum Beispiel um Downloads von Musik-Apps in den USA geht, liegt Soundcloud in den Top Ten, noch vor Beats. Wenn es indes um die Einnahmen geht, dann nicht. Das soll sich jetzt ändern: Das Unternehmen arbeitet mit Werbung und will nun ein kostenpflichtiges Abo-modell für Hörer einführen. Spotify ist mit rund zehn Millionen zahlenden Abonnenten bereits erfolgreich. Für Soundclouds Kasse sind bisher die Pro-Accounts für Musiker am wichtigsten. Für drei Euro im Monat darf jeder sechs Stunden Musik hochladen, für neun Euro so viel er will. Und dann gibt es noch das Premium-Angebot für ausgewählte Künstler: „Wir wollen Audio-Kreativen helfen, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen“, sagt Ljung.


Natürlich gibt es Zweifler, die nicht an die neuen Ideen glauben. Die unken, dass die DJs und Bands zu ähnlichen, kostenlosen Plattformen wie Hearthis oder Mixcloud abwandern könnten. Dass sich Soundcloud von seinen Wurzeln entferne, wenn das Startup nun Deals mit Plattenfirmen eingeht. Denn so was komme ja von so was: Im Sommer ging die Geschichte von DJ Greg Morris, alias Mr Brainz, durch die Presse. Ein paar Hundert Zuhörer klickten jede Woche die Musiksendung des Briten an. Und plötzlich, nach fünf Jahren Mitgliedschaft, wird er „auf Lebenszeit“ verbannt, weil er etwas tat, das so viele regelmäßig tun: es mit dem Copyright nicht so genau nehmen. „Es hat sich angefühlt, als nimmt mir jemand mein Mittag-essen weg, und als Begründung hält er mir ein Gesetz aus Simbabwe vor die Nase“, sagt er. Morris ist nicht der Einzige, der sich beklagt.

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Es ist ein Spagat, den Ljung und sein Team nun hinbekommen müssen: die Musikschaffenden auf der Plattform zu halten einerseits. Und eine Antwort auf die Gretchenfrage des kreativen Internets zu finden ande-rerseits: Nun sag, wie hältst du es mit dem Urheberrecht? „Viele in der Szene halten den Atem an und schauen, wie Soundcloud das schafft“, sagt Eric Eitel, Organisator der Berliner Music-HackDays. „Sie wollen den Kreativen weiter gerecht werden, aber müssen auch Geld erwirtschaften.“ Mit rund 60 Labels und Partnern hat Soundcloud Vermarktungsdeals; von den großen drei Plattenfirmen sind Universal und Sony noch nicht dabei, mit Warner hingegen klappte Ende letzten Jahres der Durchbruch: Der Musikriese verdient mit, sobald Songs oder Mixes aus dem Katalog bei Soundcloud laufen, egal, ob diese im werbefinanzierten oder im geplan-ten Abo-Service laufen. „Der Warner-Deal“, sagt Ljung, „bringt beide Seiten kommerziell weiter und uns dem Ziel näher, die Grauzone bei den DJ-Mixen ein für allemal zu lösen.“ Niemand — auch nicht die Konkurrenz — habe das bisher auf einer globalen Basis geschafft. „Das ist eine große Aufgabe, die viel Zusammenarbeit verlangt, von verschiedenen Gruppen und Rechte-inhabern.“ Der Prozess werde dauern, eine Zeit, in der er weiter daran arbeiten wolle, die Bedürfnisse der Community zu erfüllen. „Aber zusammen können wir es schaffen“, sagt er. Ljung braucht seine User. Sie sind der kreative Haufen, der sein Startup von den reinen Musikabspielern wie Spotify unterscheidet. Für DJs und Bands sei Soundcloud eine Infrastruktur, ohne die es nicht mehr gehe, sagt Eitel.


Vielleicht ist der Playroom, in den Ljung an diesem Morgen gekommen ist, ein guter Ort, um Soundcloud zu verstehen. Er verkörpert das schnelle Pingpong; die Ruhe, die zwischendurch nötig ist, wenn man weiß, dass man nicht alles kontrollieren kann — was in der Natur von Innovation liegt —, und den spielerischen Ansatz, mit dem alles begann. Tim Renner erinnert sich: „Sie haben an ihre Idee geglaubt und daran, dass sich der Rest schon irgendwie fügen würde.“ Ein bisschen ist es wohl immer noch so. Inzwischen veröffentlicht das Weiße Haus Reden von US-Präsident Barack Obama auf Soundcloud, die NASA macht Weltall-Klänge hörbar, das Guggenheim Museum lädt Auf-nahmen hoch — und in der Türkei wurde die Plattform vor einem Jahr zeitweilig gesperrt, weil ein User Telefonmitschnitte von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verbreitet hatte.

Soundcloud, dessen Herzstück die Kreativen sind, ist längst ein gesellschaftsrelevantes Phänomen, ein Youtube für Sound. Ein Vergleich, den Ljung nicht scheut. „Youtube ist ein gutes Beispiel dafür, was wir zu erreichen versuchen“, sagt er. „Soundcloud ist etwas anderes, aber um das Potenzial zu sehen, ist der Youtube-Vergleich ziemlich gut.“ Die Rückseite seines Shirts ziert ein Picasso-Zitat: „Every-thing you can imagine is real.“

Eine Übersicht aller Innovatoren der Februar-Ausgabe von WIRED gibt es hier.


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