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„Am besten ist es, wenn es in Spielen ein Glückselement gibt“ — Magic-Erfinder Richard Garfield im Interview

von Dominik Schönleben
Im Jahr 1993 machte Richard Garfield seinen Doktor in Mathematik — und veröffentlichte ein revolutionäres Fantasy-Kartenspiel. In seinem Game würden Spieler selbst bestimmen, welche Karten sie in einer Partie benutzen und welche nicht. Die Spielkarten würden sammelbar sein wie Panini-Bilder — auch das schien damals radikal. Garfields Idee, sie wird zu einem Paradigmenwechsel für die ganze Spieleindustrie. Die erste Edition von „Magic: The Gathering“ ist nach wenigen Wochen ausverkauft, noch heute ist das Spiel ein Welterfolg.

Garfields Spielprinzip wurde bis heute zahllose Male nachgeahmt. „Yu-Gi-Oh!“ und „Hearthstone: Heroes of Warcraft“ gehören zu den berühmtesten Klonen — doch nur Magic wird zum Epizentrum einer permanenten Subkultur, die mittlerweile über 20 Jahre existiert. Nicht nur am Küchentisch wird gezockt: Spieler reisen um die Welt und messen sich in Turnieren für hunderttausende Dollar Preisgeld, haben das Spiel zu ihrem Beruf gemacht. Garfield selbst hingegen hat der Weiterentwicklung des Spiels kurz nach seiner Erfindung bereits den Rücken gekehrt, andere Designer führten sein Werk fort.

 

WIRED Germany hat die erfolgreichsten Magic-Spieler auf der Weltmeisterschaft in Nizza getroffen. Die Reportage gibt es im aktuellen Heft oder online für Member: Der Stamm der Magier

 

 

Garfield gehört zu den bekanntesten Spieledesignern der Szene. Neben Magic, dem erfolgreichsten Sammelkartenspiel der Welt, entwickelte er über 25 individuelle Brett- und Kartenspiele. Das Spektrum, das Garfield dabei abdeckt, ist weit: von leichten Familienspielen, über Spiele für Hardcore-Zocker, zu digitalen Kartenspielen. Darunter auch das preisgekrönte, simple Würfelspiel „King of Tokyo“, bei dem man ein Comic-Monster spielt, das Tokio zerstören möchte, oder das erst kürzlich wieder neu aufgelegte Experten-Spiel „Android: Netrunner“, über Hacker im Cyberspace.

Spiele, die Garfield immer wieder hervor holt, sind einerseits „Poker“, aber auch das Ameritrash-Spiel „Cosmic Encounter“ oder das Fantasy-Brettspiel „Titan“ von 1980. In einem Punkt geht es dem Magic-Erfinder ähnlich wie vielen Magic-Spielern: Nach zwei bis drei Jahren Pause findet er wieder zurück ins Spiel. Entdeckt sein eigenes Werk neu, trifft sich mit Freunden, um Packungen aufzureißen, baut Spiele-Decks mit seinen Kindern — und wenn es ihn dann wieder gepackt hat, greift er zum Hörer und ruft seinen Freund Mark an. Mark Rosewater, Head-Designer und Galionsfigur von „Magic: The Gathering“: „Hey Mark, ich hätte da eine Idee für eine neue Mechanik“, sind wohl die Worte, die Garfield vom einfachen Magicspieler trennen. Seine Ideen werden dann ins Spiel aufgenommen. Im Interview mit WIRED Germany erzählt Garfield, was ein gutes Brettspiel ausmacht und warum er immer wieder zu seinem Erstlingswerk zurückkehrt.

WIRED: Magic war dein erfolgreichstes Spiel, aber ist es wirklich dein bestes?
Richard Garfield: Das habe ich nicht immer gedacht. Aber jedes Mal, wenn ich zu Magic zurückgekehrt bin, faszinierte mich, dass, obwohl ich bereits Experte war, das Spiel sich völlig verändert hatte. Das begeistert mich auf eine Art, wie andere Spiele es nicht können. Ich habe versucht, das Design von Magic in anderen Kartenspielen zu verbessern, zum Beispiel mit Netrunner. Aber was Magic zum besseren Spiel macht, sind simple Regeln, die trotzdem zu einem komplexen Spiel führen.

WIRED: Bereits kurz nach der Erfindung von Magic hast du dich anderen Projekten gewidmet. Warum hast du nicht, wie etwa der heutige Head Designer Mark Rosewater, fast 20 Jahre deines Lebens damit verbracht, es weiter zu entwickeln?
Garfield: Spiele sind eine wunderbare Erfindung und du kannst dich beliebig lange mit einem beschäftigen und es macht trotzdem immer wieder Spaß. Im Gegensatz zu Büchern oder Filmen. Mein Selbstverständnis als Spieledesigner ist ähnlich wie das eines Schriftstellers oder Regisseurs: Ich will viele verschiedene Spiele entwickeln. Wenn ich zurück zu Magic komme, dann bin ich begeistert davon, was daraus geworden ist. Aber ich bin auch nicht enttäuscht darüber gegangen zu sein.

 

 

WIRED: Vielen Spielern geht es ja genau so: Sie hören auf, aber irgendwann fangen sie wieder mit Magic an.
Garfield: Das stimmt. Ich dachte immer, es ist seltsam, wenn jemand seine ganze Zeit mit einem einzigen Spiel verbringt. Aber mir ist aufgefallen, dass diese eine wichtige Eigenschaft von Spielen ist. Menschen, die ihr ganzen Leben damit verbringen, Bridge zu spielen, sind anders, als Menschen, die ihr gesamtes Leben damit verbringen, immer wieder dasselbe Buch zu lesen.

WIRED: Es gibt also zwei Typen von Spielern?
Garfield: Ja. Ich hatte früher keinen Respekt für Spieler, die sich nur mit einem einzigen Spiel beschäftigen. Aber mittlerweile sehe ich mich in mir eher die Ausnahme als die Norm. Genau hier liegt die große Stärke von Magic. Der Grund, warum das Spiel so erfolgreich ist, ist, dass es Menschen anspricht, die gerne neue Spiele spielen. Aber gleichzeitig ist es auch für Menschen, die sich intensiv mit einem Spiel beschäftigen wollen. Einerseits gibt es Menschen wie mich, die immer auf der Suche nach etwas Neuem sind — und dann vielleicht kein Experte darin werden. Magic stellt diese Spieler zufrieden, weil sich das Spiel durch jedes neue Set verändert. Man verlässt das Spiel für ein paar Jahre und dann hat sich alles verändert. Andererseits können Spieler trainieren, um Experten zu werden.

WIRED: Welche Auswirkungen haben diese zwei Typen von Spielern für ein Spiel?
Garfield: Schach ist ein interessantes Spiel. Aber nahezu alle Spieler, die es lange genug spielen, werden damit konfrontiert, dass sie Eröffnungen studieren müssen. Dadurch verändert sich das Spiel stark. Einige Spieler mögen diese Phase, in der sie versuchen können, der Beste der Besten zu werden. Andere mögen das Anfangsstadium, in dem sie selbst Strategien entwickeln. Die wenigstens Spieler mögen beides.

WIRED: Seit du Magic erfunden hast, hat sich auf dem Spielemarkt viel getan. Was glaubst du, sind die größten Veränderungen?
Garfield: Die meisten Spieler sind heute anders. Es gibt mehr, die gerne neue Spiele entdecken, anstatt sich nur mit einem zu beschäftigen. Früher spielten Menschen entweder keine Spiele oder spielten nur ein einziges Spiel mit ihrer eigenen Gruppe. Dazu kommt, dass die gewaltige Zahl an neuen Spielen Designern mehr Ressourcen geben, mit denen sie arbeiten können. Spiele sind wie jede andere Ausprägung der Kunst eine Wissenschaft. Kultureller Fortschritt entsteht durch das Studium der Vergangenheit — und darauf baut man auf. Man kann seine besten Designs nicht in einem Vakuum machen. Ich habe viele Designer getroffen, die stolz darauf sind, dass sie nicht beeinflusst wurden. Aber ich sehe das anders. Kein Autor sagt: „Ich lese keine Bücher. Ich schreibe bloß.“

WIRED: Was vereint deine Spieledesigns?
Garfield: Ich mag Spiele, die auch als Einstiegsspiele bezeichnet werden — leichte Strategie-Spiele. Sie sind am besten, wenn man sie ernsthaft spielen kann, aber es genug Glück gibt, damit jeder gewinnen kann. Ich habe stets versucht, mit meinen Designs eine breite Masse anzusprechen.

WIRED: Glück spielt deshalb also eine wichtige Rolle?
Garfield: Je mehr Glück ein Spiel hat, desto größer ist die Zahl an unterschiedlich begabten Spielern, die zusammen spielen können. Wenn wir Schach spielen und du bist signifikant besser als ich, dann können wir nicht spielen beziehungsweise es würde keinem von uns Spaß machen. Aber wenn es mehr Glück gibt, kann ich von Zeit zu Zeit gewinnen. Am besten ist es, wenn Spiele genug Glück haben, damit Experten und Freizeit-Spieler zusammen spielen können — aber erfahrene Spieler dürfen nicht das Gefühl haben, dass es sich anfühlt wie Zeitverschwendung, wenn sie trainieren.

WIRED: Kannst du ein Beispiel nennen?
Garfield: Poker. Jeder denkt, er könne gewinnen, aber Experten verbringen viel Zeit damit, besser zu werden.

WIRED: Hat sich die Wahrnehmung von Glück im Spiel verändert, seit du Magic erfunden hast?
Garfield: Meine eigene Herangehensweise und Spieledesigns im Allgemeinen haben sich weiter entwickelt. Es gibt Glück in Kartenspielen und Glück in Würfelspielen. Aber es dauerte viel länger, bis Würfel als Glückselement anerkannt wurden. Was vor allem daran liegt, wie Würfel in Spielen verwendet wurden. Würfel wurden als Mechanismus fürs Versagen verwendet. Zum Beispiel in einem Wettrennen-Spiel ist eine Sechs gut, wohingegen eine Eins ein Scheitern bedeutet. Aber Würfel müssen so nicht verwendet werden. Sie könnten dafür verwendet werden, den Spielern Optionen zu geben. Das ist nichts Neues, bereits Backgammon besitzt Ansätze davon. Wenn du eine Drei und eine Sechs würfelst, gibt es bessere und schlechtere Möglichkeiten sie zu verwenden. In meinem Spiel King of Tokio gibt auch bessere und schlechtere Würfe, aber es geht darum, wie diese von den Spielern eingesetzt werden. 

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