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Die vernetzte Zukunft, sie wackelt noch

von Johnny Haeusler
Durch Heimautomatisierung versucht unser Kolumnist, seine Gegenwart schon heute zur Zukunft zu machen – und stellt fest, dass wir von der Volldigitalisierung des Lebens für Jedermann noch ein Stück entfernt sind.

Beinahe lautlos rollt mein E-Ndividual – so der etwas sperrige Name des kleinen Stadtwagens mit Elektroantrieb – in die Garage, deren Tor sich rechtzeitig für meine Ankunft geöffnet hat. Per Induktion lädt sich der nun geparkte Wagen auf, ohne Kabel und innerhalb einer Stunde. Surrend schließt sich das Garagentor hinter mir, nicht ohne vorher die vollen Mülltonnen für die rechtzeitig bestellte, im Laufe der nächsten Stunde erfolgende Abholung auf den Gehweg geschoben zu haben. Auch die Haustür öffnet sich bei meiner Ankunft und schließt sich nach dem Betreten der Wohnung wieder. Die Räume sind perfekt vorgeheizt und beleuchtet – und zwar nur die, die ich am frühen Abend nutze.

Um 75 Prozent senken konnten wir unsere Energiekosten durch die Automatisierung des Hauses, und seit der Installation der Solaranlage auf dem Dach und einiger Batterien an den Kellerwänden, die sowohl für den Strom als auch für Warmwasserbereitung zuständig sind, sind wir komplett unabhängig von Öl- oder Gaslieferanten. Nur der Wartungsvertrag erzeugt noch reale Kosten.

Ein Blick in den Kühlschrank verrät, dass wir keine Milch mehr haben, doch Nachschub befindet sind schon in der gekühlten Lieferbox neben der Haustür. Und der Wein, den ich wenige Stunden zuvor per App bestellt hatte, ist genauso dabei wie sämtliche Bio-Zutaten für das Abendessen der laufenden Woche.

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So ähnlich stellt man sie sich vor, die Zukunft des vernetzten, modernen, ökologisch nachhaltigen Lebens. Natürliche Energiequellen, die Welt der Elektromobilität und das Internet der Dinge sollen sie möglich machen, und tatsächlich suggeriert die Werbung, dass diese Zukunft schon jetzt möglich ist.

Wer genauer hinschaut, wird enttäuscht. Wer gar Geld in die Hand nehmen will, um Teil dieser Zukunft zu sein, sollte sich ein paar Monate frei nehmen, denn ihm oder ihr steht ein Großprojekt bevor. Unzählige Anbieter buhlen mit verschiedenen, untereinander selten kompatiblen Systemen um den Platz an der vernetzten Heimautomatisierungs-Front. Ein Dschungel aus Förderprogrammen und Systemen für den Solar-Umbau beschäftigt den Interessierten viele unerquickliche Stunden lang.

Und am Ende hat man sowieso das Gefühl, dass jede Entscheidung die falsche sein wird, weil die verfügbare Technik in sechs Monaten das Doppelte für den halben Preis leisten wird. Und die saubere Elektromobilität? Die muss man sich erstmal leisten können. Als Klein- bis Normalverdiener ist man zum Dreckmachen verdammt.

„Schützen Sie sich vor Einbrüchen, machen Sie ihr Haus sicher!“, tönt es aus dem Katalog, in dem nichts anderes als Alarmkontakte für Fenster angeboten werden, die zwar ein Haus nicht einen Funken einbruchsicherer machen, aber die Bewohner immerhin im Urlaub per App informieren, wenn jemand zu Hause ein Fenster geöffnet hat. Dazugehörige Überwachungskameras gibt es natürlich auch, damit die eigene Hütte wie ein kleines BND-Gebäude wirkt und etwaige Einbrecher hinterher klar zu erkennen sind. „Können Sie den Täter beschreiben?“ – „Natürlich, wir haben ihn mit der Überwachungskamera erwischt! Männlich, etwa 1,80 Meter groß, schwarze Jeans, schwarzes Hoodie, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.“ – „Prima, den haben wir bald!“

Auch die erhältlichen Türöffnungssysteme wirken eher archaisch als futuristisch. Ächzend schließt ein am Schlosszylinder angebrachter Motor anstelle eines Schlüssels – und nur fünfmal so langsam und doppelt so laut – die Tür zwar auf, scheitert aber am letzten und wichtigsten Stück: dem schnappenden Ende, bei dem man die Tür bei gleichzeitiger Drehung des Schlüssels etwas zu sich heranziehen muss, um sie wirklich zu öffnen. Und automatisierte Heizsysteme sind nichts anders als WLAN- oder Bluetooth-fähige, hässliche und überteuerte Ventile, deren Austausch in einer normalen Wohnung einige hundert Euro kosten wird und bei denen man sich fragt, ob es nicht doch leichter ist, die Heizung beim Verlassen der Wohnung einfach abzuschalten. Das geht nämlich auch, wenn der Smartphone-Akku mal gerade wieder leer ist.

Immerhin brauchen unsere Lampen kein Firmware-Update

Und das Licht, das auf die Stimme oder das Smartphone reagiert? Nun. Wir haben an jedem Eintrittspunkt unserer Zimmer sogenannte „Lichtschalter“. Ein kurzer Druck auf diese lässt den Raum heller werden, ein weiterer taucht ihn in Dunkelheit. Das ist zwar auch nicht besonders futuristisch, aber immerhin brauchen unsere Lampen kein Firmware-Update.

Ich will nicht zu sarkastisch werden, doch wir befinden uns noch sehr am eher kläglichen Anfang der Heimautomatisierung und – viel schlimmer – auch die E-Mobilität ist leider längst noch nicht dort, wo sie sein müsste. Klar, Übergänge von alten zu neuen Technologien waren immer eine Herausforderung, Abwärtskompatibilität ein bekanntes Problem. Aber das wirklich vernetzte und „rund laufende“ Haus, tatsächliche Energieunabhängigkeit und das echte Zukunftsgefühl, sie werden wohl noch ein paar Jahre auf sich warten lassen.

Letzte Woche bei „Digital ist besser“: Johnny Haeusler will, dass wir alle richtig schreiben lernen

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