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Bitcoin ist keine Revolution — aber die Technik, die dahinter steckt

von Marcel Weiss
Auf die Frage, welche Technologie das größte Potenzial hat, um den Finanzsektor komplett umzuwälzen, hat Oliver Bussmann nur eine Antwort: die Blockchain. Bussmann ist Finanzexperte und Chief Information Officer (CIO) der Schweizer Bank UBS. Und Blockchain ist die Technologie hinter der Kryptowährung Bitcoin.

Die hat in den letzten Monaten und Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Mit der Frage, wie anonym sie wirklich ist, zum Beispiel. Oder, ob sie nicht sogar Terroristen in die Hände spielt. Weniger beachtet wurde dabei allerdings die Technologie hinter dem Geld.


Investoren können gar nicht mehr aufhören, Geld in die Blockchain zu stecken und darüber zu sprechen.

Bussmann ist mit seiner Einschätzung nicht allein. Immer mehr einflussreiche Experten sprechen von der Blockchain als dem „next big thing“. Der Risikokapitalgeber Fred Wilson, der unter anderem in Tumblr, Twitter und Etsy investiert hat, nennt sein Vorhaben für 2014 den „Blockchain-Zyklus“. Andere Investoren wie Andreessen Horowitz können gar nicht mehr aufhören, ihr Geld in Bitcoin und Blockchain-Technologie zu stecken und darüber zu sprechen. Was steckt hinter der Euphorie?

Nicht erst seit dem Bekanntwerden der massiven Überwachung durch NSA, GCHQ und Co. fordern Netzaktivisten: „Macht das Netz und alle Dienste dezentral!“ Mit dem Spähskandal hat dieser Ruf nachvollziehbarerweise neue Brisanz erhalten. Alle unsere Aktivitäten über Server von Unternehmen laufen zu lassen, die im Einzugsgebiet der besagten Geheimdienste sitzen, klingt nicht gerade erstrebenswert. Erst recht, wenn diese Unternehmen die Daten auf ihren Servern nicht verschlüsseln können oder wollen. Doch die Frage, was zentral oder dezentral organisiert wird, geht über private Daten hinaus.

In letzter Zeit konnte man immer wieder beobachten, welche Nachteile ein zentralisiertes Angebot haben kann. In der Türkei wurde Twitter, das dort von etwa zwölf Millionen Menschen genutzt wird, während der Proteste im März diesen Jahres geblockt — mit gemischten Ergebnissen. Um den Dienst zu blockieren, genügt es zunächst, dessen IP-Adresse zu sperren. Das lässt sich jedoch umgehen, was wiederum mit einer tiefergreifenden Blockade erschwert werden kann, wie es die türkische Regierung dann auch versuchte.


Es muss nicht alles zentral von einzelnen Unternehmen gebaut werden, anders organisierte Lösungen sind eben nur eine größere Herausforderung.

Das Internet ist zwar grundsätzlich dezentral konstruiert, aber es gibt auf verschiedenen Ebenen Konzentrationstendenzen. Sowohl bei den Internetprovidern und Backbones, also ganz unten, als auch bei den Social Networks, also ganz oben. Das ist eine natürliche Entwicklung. Bei den Internetprovidern stecken Markteintrittsbarrieren dahinter. Und bei sozialen Netzwerken von Facebook bis Twitter sorgen Netzwerkeffekte dafür, dass irgendwann alle auf einem Dienst landen. Weil man nur dort kommunizieren kann wo auch diejenigen sind, mit denen man kommunizieren möchte. Das heißt aber nicht, dass nun alles zentral von einzelnen Unternehmen gebaut und angeboten werden muss. Es bedeutet nur, dass anders organisierte Lösungen in der Regel eine größere Herausforderung darstellen.

Zunächst müssen wir uns anschauen, was die Vor- und Nachteile von Zentralität und Dezentralität sind. Ein Nachteil von zentralen Diensten ist offensichtlich, zumindest für Netzaktivisten in der Türkei oder China: Im Zweifel kann die eigene Regierung einfach wie Cäsar im Kolosseum den Daumen senken und der Webdienst verschwindet von den Computern der Nation. Doch zentral ist nicht immer gleich schlecht. Beispiel Wordpress: Das Content-Management-System, auf dem ein Großteil aller Blogs und mehr als 23 Prozent der Websites weltweit laufen, gibt es in zwei Grundversionen. Die eine läuft über die Server des Wordpress-Betreibers Automattic, die andere kann man herunterladen und auf einem eigenen Rechner installieren — dezentral also. Anders sieht es aus, wenn man ein anderes Automattic-Produkt nutzen will, den Wordpress-Spamfilter Akismet. Jedes Blog, das das Programm einsetzt, teilt dessen Servern jederzeit mit, welche Kommentare eingegangen sind und welche davon vom Betreiber als Spam markiert wurden. Genau das ist der Kern der Funktionsweise von Akismet: Wenn ich einen Kommentar als Spam markiere und neun weitere Blogbetreiber den gleichen Kommentar mit der gleichen Emailadresse von der gleichen IP-Adresse ebenfalls als Spam markieren, wird der Kommentar auf dem elften Blog automatisch aussortiert. Akismet funktioniert nicht obwohl sondern gerade weil es ein zentraler Dienst ist.


Die Blockchain ist etwas, das vorher undenkbar schien: ein dezentrales System, bei dem bei dem trotzdem alle Beteiligten eindeutig zugeordnet werden können.

An dieser Stelle kommt Bitcoin ins Spiel. Viele Ökonomen sind skeptisch, was die Kryptowährung angeht. Das „Warum“ ist schnell erklärt: Bitcoin ist so angelegt, dass die Geldmenge endlich ist. Das heißt, dass über die Zeit immer weniger neue Bitcoins „geschürft“ werden, bis irgendwann alle möglichen Münzen „gefunden“ wurden. Bitcoin ist deswegen eher vergleichbar mit Gold, als mit einer Währung, hinter der eine nationale Notenbank steht. Eine Notenbank kann je nach Entwicklung der Währung mehr oder weniger Geld in Umlauf bringen. Die Geldmenge von Bitcoin kann hingegen nicht gesteuert werden, sie ist beschränkt und sie wird langfristig sogar sinken, weil zum Beispiel Festplatten mit Bitcoins zerstört werden können. Das hat zur Folge, dass der Wert von Bitcoins über die Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach steigen wird, was zu Deflation führt. Und wenn das heute ersparte Geld morgen mehr wert ist, wird es nicht ausgegeben. Diese Lähmung des Wirtschaftskreislaufs ist ein Grund, weshalb Bitcoin als Währung höchstwahrscheinlich nicht die erhoffte Revolution bringen wird.

Das Revolutionäre von Bitcoin liegt stattdessen in der der Kryptowährung zugrundeliegenden Technik. Denn Bitcoin hat etwas geschaffen, was vorher undenkbar war: ein dezentrales digitales System, bei dem alle Beteiligten trotzdem eindeutig zugeordnet werden können, die Blockchain. Damit ist der Teil von Bitcoin gemeint, der alle Transaktionsinformationen zusammenhält und in der Bitcoinwelt verteilt. Es handelt sich dabei um eine mittlerweile 21 Gigabyte große Datei, die von den Bitcoin-Clients heruntergeladen und aktuell gehalten wird. Jeder Bitcoin-Besitzer verfügt auf diesem Weg über die gesamte Transaktionshistorie der Währung. Nur dank dieser Technik lässt sich jede digitale Münze ihrem aktuellen Besitzer zuordnen. Die Blockchain ist eine dezentrale Verifizierungsinstanz.


Die Blockchain könnte die wichtigste digitale Erfindung seit dem Internet-Protokoll TCP/IP sein.

Die Blockchain dient schon als technische Grundlage für erste Experimente außerhalb der Finanzwelt. Zum Beispiel kann sie leicht als Grundstein für dezentrale Peer-to-Peer-Protokolle verwendet werden: Was, wenn es ein Twitter gäbe, das auf einer dezentralen Architektur basiert, die nicht auf blockierbare Server angewiesen ist? Twister, ein Mikrobloggingdienst, der auf BitTorrent und Bitcoin-Technik aufsetzt, ist eine solche Alternative, die jedoch noch ganz am Anfang steht. OpenLibernet nutzt seinerseits Blockchain, um ein globales Mesh-Netzwerk aufzubauen, das als Alternative zum aktuellen Internet dienen soll. Das Bitcoin-Protokoll wird dabei genutzt, um den Datenverkehr auf möglichst viele Schultern zu verteilen: Wer viele Daten weiterleitet, das Netzwerk also stärkt, kann ebenso viele Daten auch selbst konsumieren. Und Bittorrent, das Unternehmen hinter dem gleichnamigen Filesharing-Protokoll, arbeitet an Bleep, einem dezentralen Instant-Messaging-Dienst ohne Server. Namecoin ist wiederum ein auf Bitcoin aufsetzendes, dezentrales Domain Name System. Es ermöglicht neue, aufgrund der dezentralen Struktur nicht zensierbare Top Level Domains (TLDs). Mit der Namecoin-Software lassen sich Domainnamen registrieren, die anschließend in der Blockchain von Namecoin eingetragen werden. Die erste so generierte Pseudo-TLD ist .bit.



Mit der Blockchain-Technologie lassen sich also die unterschiedlichsten Dinge dezentral organisieren, die genannten Beispiele geben eine erste Vorstellung von den Möglichkeiten. Die Implementierung der Blockchain-Technologie ist nicht einfach. Schließlich hat es einen Grund, warum Bitcoin-Überweisungen eine gewisse Zeit brauchen. Bitcoin ist nur die erste Implementierung der Blockchain. Äußerungen wie die von Finanzexperte Oliver Bussmann zeigen jedoch, dass die Technologie möglicherweise das Potenzial hat, sogar eine der ältesten und kaum von außen zu verändernden Branchen der Welt umzuwälzen. Die Blockchain macht Dezentralität für viele Zwecke überhaupt erst möglich. Sie könnte die wichtigste digitale Erfindung seit dem Internet-Protokoll TCP/IP sein — und damit als eine der wichtigsten Erfindungen der Jetztzeit in die Geschichte eingehen.


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