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Ein Seil-Roboter soll die virtuelle Realität Wirklichkeit werden lassen

von Dominik Schönleben
Der Seil-Simulator des Max-Planck-Instituts soll die menschliche Wahrnehmung überlisten, damit Erlebnisse mit VR-Brillen noch realer wirken. Dafür ist er an acht Drahtseilen in der Luft aufgespannt.

Philipp Miermeister vergleicht das Prinzip hinter seinem Virtual-Reality-Roboter gerne mit der MP3: „Das Format war ein Durchbruch in der Kompression, weil man bestimmte Frequenzen herausgefiltert hat, die der Mensch nicht wahrnehmen kann“, sagt der Ingenieur des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik. Sein Roboter macht sich ein ähnliches Phänomen zunutzen: Es gibt auch Bewegungen, die der Mensch nicht wahrnehmen kann.

Die VR-Kapsel aus Karbonfasern, die in Zusammenarbeit mit dem Frauenhofer IPA entwickelt wurde, ist an acht Seilen in einer Halle aufgespannt und kann so in die nahezu alle Richtungen geschoben oder geneigt werden. Mit ihm simuliert Miermeister Bewegungen für virtuelle Realitäten. Der begrenzte Raum von fünf mal fünf Metern reicht für Autofahrten oder Helikopterflüge.

Die Herausforderung für Miermeister lautet, die richtige Bewegung zu dem auf der VR-Brille animierten Bild zu finden. Oftmals hat dabei die gefühlte Bewegung wenig mit dem zu tun, was gerade mit dem eigenen Körper im Simulator passiert. Das Gefühl einer extremen Beschleunigung kann etwa durch die Erdgravitation imitiert werden. Die Kapsel wird nach hinten gekippt und bewegt sich dabei leicht nach vorne. Schon entsteht der Eindruck, dass der Rennwagen, in dem man zu sitzen glaubt, wirklich auf 120 km/h beschleunigt.

Wichtig ist hier die Zusammenarbeit zwischen Bewegung und VR-Simulation. Ein passendes Bild — etwa von einer Rennstrecke — verstärkt den Geschwindigkeitseindruck, lässt für den Passagier kaum noch den Unterschied zwischen echter oder simulierter Geschwindigkeit erkennen. In der Realität hat die Person sich aber maximal ein paar Meter bewegt.


„Das Interessante ist, dass der Mensch eine konstante Geschwindigkeit gar nicht wahrnimmt“, sagt Miermeister. Es sei für Menschen nur möglich, Änderungen in der Geschwindigkeit wahrzunehmen: „Man kann also beliebig hohe Geschwindigkeiten relativ einfach simulieren, indem man den Roboter überhaupt nicht bewegt.“

Beschleunigungen zwischen 0,015 und 0,06 m/s2 nimmt der Mensch überhaupt nicht wahr. So kann der Simulator, ohne dass Passagiere es merken, wieder zurück in die Ausgangspostion gebracht werden. Etwa während man auf einer Strecke bei konstanter Geschwindigkeit geradeaus fährt.

Miermeister versucht immer wieder neue Kniffe zu finden, mit denen die Wahrnehmung ausgetrickst werden kann: „Ich kann einem Menschen einen Bewegungseindruck geben, der genau so ist, wie in der Realität — obwohl eigentlich Elemente fehlen“, sagt er. Derzeit testet er seinen Seil-Simulator mit der Occulus Rift und der Gear VR.

Die visuelle Darstellung der Brillen hat einen äußerst starken Einfluss darauf, wie Passagiere die Welt erfahren. Um eine per VR-Brille gezeigte Beschleunigung vollständig zu machen, braucht man deshalb nur noch 40 bis 60 Prozent der realen Beschleunigung. Das Gehirn würde keinen Unterschied erkennen, sagt Miermeister.

Ein Problem für die virtuelle Realität bleibt aber noch: Stimmt der Bewegungseindruck mit dem Gesehenen nicht überein, dann wird dem Passagier irgendwann schlecht. Das ist derzeit eines der größten Nachteile von VR-Computerspielen. Schnelle Verfolgungsjagden oder auch nur ein Spaziergang — ohne Eigenbewegung wird das schnell unangenehm. Als Lösung dafür ist der Seilroboter nur ein erster Schritt.

Damit der Selbstschutz-Mechanismus des Menschen überlistet werden kann, muss nicht nur der Seil-Roboter die perfekte Bewegung machen, sondern auch die VR-Technologie darin ausgereift werden. Die Bildschirme der VR-Brillen sind noch sehr grobkörnig und auch das Headtracking, also die Erfassung der Drehbewegung des Kopfes, muss optimiert werden. Die in die Brillen eingebauten Trägheitssysteme sind für eine perfekte — und damit schwindelfreie — Simulation noch zu schlecht. 

Derzeit nutzen Miermeister und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut das Gerät vor allem, um die Wahrnehmung des Menschen in fiktiven Welten näher zu erforschen. Doch erste Ideen für eine kommerzielle Nutzung gibt es schon: Eine Simulation könnte etwa Laien schnell und risikolos beibringen, einen Hubschrauber zu steuern — mit augenblicklichem Feedback.

Event-Firmen hätten bereits angefragt, wann sie das Gerät buchen können, erzählt Miermeister. Seine Vision für ein Entertainment-Format sähe so aus: Zuerst laufen mehrere Personen an einem Ort in einer virtuellen Simulation herum, dann steigen sie — ohne die Brille abzunehmen — in den Simulator ein und fliegen zu einem anderen Ort, um dann schließlich diese neue Region erforschen zu können. Spätestens in zwei Jahren sieht Miermeister solch eine Attraktion in einem Vergnügungspark.

Konzepte für die Verbindung von realen Eindrücken und VR gibt es bereits viele. Darunter auch ICAROS vom Münchner Designer Johannes Scholl, der an einem muskelgesteuerten Flugsimulator arbeitet. Das ambitionierteste VR-Projekt dieser Art ist vermutlich The Void, eine Serie von Räumen, die eine Erforschung eines Alien-Planeten real werden lassen wollen. 

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