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Daten, Würde oder Aufmerksamkeit: Was kostet uns das Netz?

von Ben Hartlmaier
Für Facebook, Google und Co. bezahlen wir mit unseren Daten, heißt es immer. Doch stimmt das überhaupt? Beim Zündfunk Netzkongress 2018 in München gab es auch andere Meinungen.

Dass das Internet nicht zu der erhofften Utopie geworden ist, in der es für alle mehr Wissen, mehr Gerechtigkeit und mehr Teilhabe gibt, dürfte spätestens seit der Wahl Donald Trumps und des eng damit verbundenen Datenskandals rund um Facebook und Cambridge Analytica kein Geheimnis mehr sein. Dass die digitalen Hippie-Träume nicht Realität geworden sind, mag daran liegen, dass es auch im Netz vor allem um eins geht: um Geld. Und das schlägt bekanntlich in den meisten Fällen die Moral. Und so lautete entsprechend der Schlachtruf, unter dem der Zündfunk, das Szenemagazin des Bayerischen Rundfunks, zum sechsten Mal zu seinem Netzkongress im Münchner Volkstheater prominente Vertreter der Netzgemeinde zusammenrief: „Money makes the web go round“.

Unter dem Motto #cashtag ging es am 26. und 27. Oktober auf dem Zündfunk Netzkongress primär um die Frage, welchen Preis uns denn das Internet nun tatsächlich kostet. Für James Williams, der die diesjährige Keynote hielt, ist die Antwort klar: unsere Aufmerksamkeit. Williams arbeitete über zehn Jahre für Google daran, dass zwischen den Suchergebnissen die passenden Werbeanzeigen erscheinen. Laut ihm bezahlen wir nicht, wie oft behauptet, mit unseren Daten für die vermeintlich kostenlosen Dienste im Netz, sondern mit unserer Aufmerksamkeit. Die Daten seien nur ein Mittel dazu, Schwachstellen in unserer Psyche ausfindig zu machen, um unsere Aufmerksamkeit zu binden.

Aufmerksamkeitsverschmutzung aus dem Silicon Valley

Williams ist mittlerweile bei Google ausgestiegen: Heute forscht er am Oxford Internet Institute zu Philosophie und Ethik der Aufmerksamkeit und hat außerdem die Initiative Time Well Spent ins Leben gerufen. Sie setzt sich dafür ein, dass unsere Smartphones wieder zu ihrem ursprünglichen Zweck zurückfinden: „Unsere Geräte sollten uns nicht nur dabei helfen, die Dinge zu tun, die wir tun möchten, sondern auch, die Menschen zu sein, die wir sein wollen“, sagte Williams auf dem Netzkongress. Wir müssten uns fragen, in welchem Ausmaß wir die Beeinflussung unserer Leben als ein Geschäftsmodell akzeptieren wollen. Um sich gegen das zur Wehr zu setzen, was Williams „Aufmerksamkeitsverschmutzung“ („attentional pollution“) nennt, nämlich die permanenten Ablenkungen der Aufmerksamkeitsökonomie aus dem Silicon Valley in Form von Geräten und Apps, schwebt ihm eine Bewegung nach dem Vorbild der Umweltschutzbewegung der 1980er Jahre vor.

Influencer sind lebende Litfaßsäulen

Sophie Passmann

„Selber machen!“ – das fordert Sophie Passmann, Autorin beim Neo Magazin Royale, ehemalige Spiegel-Online-Kolumnistin und Influencerin. Doch so möchte sie sich eigentlich gar nicht nennen, trotz ihrer 60.000 Twitter- und 36.000 Instagram-Follower. Denn wahre Influencer seinen schließlich nur diejenigen, die ihre Follower über bezahlte Beeinflussung (James Williams lässt grüßen) zu Geld machten, sagt Passmanns in Anlehnung an den Stanford-Professor für Marketing und Psychologie Robert Cialdini. Der Preis, den Kommerz-Influencer laut Passmann für ihren Erfolg im Netz bezahlen, sei nicht nur ihre Kreativität, sondern auch ihre Authentizität und Integrität, die sie den „belohnenden und bestrafenden“ Algorithmen opferten. Statt jedoch auf die „lebenden Litfaßsäulen“ auf Instagram herabzublicken und über sie herzuziehen solle man das Beeinflussen lieber selber machen. Ohne Bezahlung, nur durch Vorbildfunktion. „Sanftes Influencing“ nennt Passmann das.

„KI soll uns umprogrammieren“

Für Yvonne Hofstetter steht viel mehr auf dem Spiel als unsere Integrität und Authentizität, nämlich unsere Würde. Sie ist der Meinung, dass der Mensch unter der Verheißung der Optimierung von Algorithmen „auf einen Datenhaufen reduziert“ wird. Für Hofstetter, die als Geschäftsführerin von Teramark Technologies ihr Geld mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data verdient, ist es kein Zufall, dass KI heute vor allem im Marketing eingesetzt wird: „KI soll uns umprogrammieren“, sagte Hofstetter in ihrem Vortrag auf dem Netzkongress. Das Ziel dieser Umprogrammierung sei es, uns besser das Geld aus der Tasche ziehen zu können. Es helfe nicht, die Augen vor diesen Manipulationsversuchen zu verschließen: „Wir müssen eine gewisse Resilienz gegenüber diesen Maßnahmen entwickeln, die tatsächlich stattfinden und die wir gerne ignorieren,“ sagte Hofstetter gegenüber WIRED. Das Internet sei längst nicht mehr nur der Ort, an dem wir uns nur für das nächste Klassentreffen verabreden und Baby-Fotos posten könnten, sondern eine Kommunikationsinfrastruktur, die immer stärker dafür genutzt werde, politische Narrative zu verbreiten. Womit wir wieder bei Donald Trump und Cambridge Analytica wären.

Ein Feinstaubsensor für 33 Euro

Aber nicht alles, was mit Daten und dem Internet zu tun hat, muss zwangsläufig in der kapitalistischen Dystopie enden. Dass noch etwas von der alten Idee der digitalen Selbstermächtigung übrig ist, demonstrierte Jan Lutz vom Stuttgarter OK Lab. Auf dem Netzkongress lud er zum gemeinsamen Feinstaubsensorbasteln ein. Die zwölf Teilnehmenden steckten in etwa einer Stunde einen nicht allzu komplizierten Bausatz zusammen, der gerade einmal 33 Euro kostet und quasi überall funktioniert, wo es Strom und WLAN gibt – also zum Beispiel auf dem eignen Balkon. Alle zwei Minuten werden die Messwerte des Feinstaubgehalts der Luft über den heimischen Router in eine offene Datenbank geladen, die auf dem Portal luftdaten.info in einer Echtzeitkarte der Luftverschmutzung münden. „Statt eines Tagesmittelwerts, wie ihn die städtischen Messtationen liefern, bekommen wir jetzt nahezu Echtzeitdaten“, erklärt Lutz. Die Idee dazu sei ihm 2015 gekommen, als es in Stuttgart – laut Umweltbundesamt eine der am stärksten von Feinstaub betroffenen Städte Deutschlands – gerade einmal fünf Messstationen gab. „Wir wollten damals die Daten von der Stadt und haben sie nicht bekommen. Jetzt machen wir sie selbst“, erklärt Lutz die Motivation hinter dem Projekt. Im Netz muss es also nicht immer nur ums Geld gehen.

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