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Wie ich nach 25 Jahren im Internet doch noch auf einen Online-Scam hereingefallen bin

von Johnny Haeusler
Er hätte da eine etwas peinliche Geschichte zu erzählen, meinte unser Kolumnist Johnny Haeusler. Aber sie müsse erzählt werden, um andere vor dem zu warnen, worauf er reingefallen war: Online-Betrug. Auch Elon Musk kam darin vor.

Mein jüngerer Sohn (16) lacht mich nie aus. Zumindest nicht, wenn ich dabei bin. Diesmal aber kann er sich kaum halten vor Lachen. „Okay, lass mich das nochmal zusammenfassen“, gluckst er, ohne seine Augen von seinem Smartphone zu nehmen. „Da stand also im Internet 'Elon Musk verschenkt Bitcoins', und da hast du dann drauf geklickt und erstmal selbst Geld überwiesen?“ Irgendwie habe ich den Eindruck, dass sein Grinsen auch daher rührt, dass er diese Zusammenfassung gerade ganz genauso in seine Schul-Whatsapp-Gruppe schickt.

Dabei war es natürlich ein klein wenig komplizierter. Ich bin ja nicht total dämlich. Nur ein bisschen. Zuerst aber etwas Vorgeschichte: Vor über zwei Jahren hatte ich mir mal Bitcoins im Wert von damals 50 Euro zugelegt. Nicht, weil ich damit spekulieren wollte, sondern weil ich den Prozess ausprobieren wollte: Wie kommt man eigentlich an diese Kryptowährung ran, wie funktioniert das alles? Die 50 Euro sah ich als „Spielgeld“ an, da ich davon ausging, dass ich sie sehr schnell verlieren könnte. Der Test war mir das Geld wert.

Nach dem Download einer App, die im Netz als recht vertrauenswürdig eingestuft wurde, lief die Einrichtung eines Bitcoin-Wallets fast so wie die Eröffnung irgendeines herkömmlichen Bank-Kontos. Plötzlich war ich also ein eher weniger als mehr beeindruckter Besitzer von rund 0,09 Bitcoins. Damit machte ich in den folgenden Monaten nichts, außer alle paar Tage mal nachzuschauen, was aus meinen 50 Euro geworden ist. Der Kurs stieg und stieg, und als sich das Geld nach einem Jahr verzehnfacht hatte, meine Bitcoins also nun 500 Euro wert waren, diskutierten wir beim Abendbrot, ob ich die Bitcoins in Euros zurücktauschen sollte. Selbst nach Abzug von Steuern wäre das schließlich ein ordentlicher Gewinn gewesen.

Johnny stößt auf einen Thread von Elon Musk

Meine Söhne rieten mir ab. „Der steigt noch weiter“, meinten die Experten, die in Wirklichkeit genauso wenig Ahnung hatten wie ich. Dennoch hörte ich auf sie. Irgendwann (war es Anfang 2018?) waren meine 0,09 Bitcoins, die ich für 50 Euro gekauft hatte, dann fast 1.600 Euro wert. Ein Anstieg, der mir zeigte, was für ein Irrsinn der ganze Kram sein musste. Und was für eine Blase. Ich beschloss dennoch zu warten, bis meine Bitcoins 20.000 Euro oder eine Million oder 20 Cent wert wären und tat weiterhin nichts. Der Kurs sank wieder, ich ärgerte mich darüber nicht, es war mir alles irgendwie egal. Ich verfolgte nach wie vor keine Bitcoin-News, mir war das alles zu nerdig, zu viel Gebrülle, zu viel Spam. Vor einigen Wochen waren meine Bitcoins irgendwas zwischen 400 und 500 Euro wert.

Und dann saß ich während des Urlaubs auf dem Sofa unseres Ferienhauses, scrollte zum ersten Mal seit Tagen mal wieder durch meinen Twitter-Stream und stieß dabei auf einen Thread von Elon Musk. In diesem kündigte der Tesla-Gründer ein großes „ETH and BTC Giveaway“ an. BTC steht hier für „Bitcoin“, „ETH“ für eine andere Kryptowährung, Ethereum. Neugierig klickte ich auf den Link und landete bei einem kurzen Text von Elon Musk beim Blog-Anbieter „Medium“. In diesem Text verkündete Musk eine große Tesla-Marketing-Aktion, in deren Rahmen er 2.000 Bitcoins zur Verfügung stellen würde. Er würde allen, die an eine bestimmte Bitcoin- oder Ethereum-Adresse zwischen 0,05 und 2 Bitcoins senden, die eingereichte Summe verzehnfachen, bis die 2.000 Bitcoins aufgebraucht wären.

„Mach doch“, antwortete meine Frau, die bei „Bitcoins“ aufgehört hatte, zuzuhören.

Johnny Haeusler, WIRED-Kolumnist

Auf der verlinkten Aktionswebsite fand man nicht nur die Adresse, an die das Geld zu senden wäre, sondern auch den laufend aktualisierten Stand der Restsumme und die gerade ein- und ausgehenden, also verzehnfachten Summen einzelner User. „Elon Musk verschenkt gerade Bitcoins“, sagte ich zu meiner Frau. „Der Typ ist echt irre. Er verzehnfacht bis zu einem bestimmten Punkt alle Bitcoins, die man ihm zuschickt und ich überlege gerade echt, ob ich da mitmachen sollte.“ „Mach doch“, antwortete meine Frau, die bei „Bitcoins“ aufgehört hatte, zuzuhören. Ja, dachte ich. Ist ja nur Spielgeld. Ich mach das einfach mal.

Und so überwies ich die Mindestteilnahmesumme von 0,05 Bitcoins, also etwas mehr als die Hälfte meines gesamten Kryptovermögens, an die angegebene Adresse. Und staunte erstmal nicht schlecht. „Pending“ stand da nämlich in meiner App. „In der Warteschleife“. Ich wurde etwas nervös. Wieso „Pending“? Hatte ich etwas falsch gemacht?

Ich war auf einen — wie ich später herausfand — groß angelegten Scam, auf einen Betrug hereingefallen.

Johnny Haeusler, WIRED-Kolumnist

Da dies mein erster Bitcoin-Transfer war, lernte ich erst nach kurzer Recherche, dass der vollzogene Austausch einer komplett digitalen Währung mehrere Minuten oder gar Stunden dauern kann. Vermutlich müssen da ganz viele Formulare abgestempelt werden, dachte ich, und beruhigte mich etwas. Die nächsten 70 Minuten verbrachte ich damit, einerseits zu prüfen, ob meine Überweisung noch immer „Pending“ war, und andererseits sicherzustellen, dass von den 2.000 Bitcoins noch was für mich übrig war. Dann war es soweit: Mein Transfer war abgeschlossen. Gleich würden die 0,5 Bitcoins retour ankommen, ich hätte in gut zwei Jahren aus 50 Euro fast 3.000 gemacht. Ich Fuchs.

Es passierte gar nichts. Was mich erstmal nicht beunruhigte. Meine Digital-Überweisung hatte über eine Stunde gedauert, der gute Elon hatte sicher alle Hände voll zu tun, und es war ja auch zehnmal so viel Geld, die Sache könnte also über zehn Stunden dauern. Natürlich kam nie Geld bei mir an. Ich war auf einen — wie ich später herausfand — groß angelegten Scam, auf einen Betrug hereingefallen. Der zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes immer noch läuft.

Der erste Tweet, der auf dem Screenshot oben zu sehen ist, stammte tatsächlich von Elon Musk. Der darauffolgende und der dritte jedoch nicht. Das Profilbild stimmte, der Name stimmte, sogar der blaue Haken als verifizierter Nutzer war vorhanden. Nur der eigentliche Twitter-Name, also die nach dem @-Symbol folgende Handle, war anders — das hätte mir auffallen müssen. Tat es aber nicht. (Im Screenshot habe ich die Handle des Scammers entfernt, an Twitter gemeldet wurde er natürlich von mir.)

Ich war mitten im Twitter-Stream von Elon Musk und hatte nicht bei jedem einzelnen Tweet geprüft, ob die kleiner und in hellerem Grau dargestellte Twitter-Handle auch immer die gleiche war. Auch der Medium-Post war natürlich kein Eintrag bei Medium, die Seite war dem Original nachgebaut. Die Webadresse inkl. „elon-musk“ verwunderte mich nicht, da Medium die Nutzung einer eigenen Adresse zulässt. Alles sah auf den ersten Blick echt aus. Und ich habe es daher nicht gegengeprüft.

Es war nicht einmal so, dass ich besonders gierig gewesen wäre. Wirklich nicht. Ich hätte eine solche Aktion zwei-, dreimal überprüft oder gleich die Finger davon gelassen, wenn… wenn es nicht Elon Musk gewesen wäre, der Milliardär, der hier schließlich selbst zum Opfer geworden ist. Und der genug Geld hat, den Scammern sogar noch einen gewissen Respekt zu zollen…

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Die ganze Aktion, eigentlich natürlich komplett und offensichtlich Scam-verdächtig, war in seinem Namen, und vielleicht nur in seinem Namen für mich und viel zu viele andere einen Moment lang glaubwürdig. Der Typ schickt Autos ins All und hat mit seiner Boring Company Flammenwerfer als Merchandising hergestellt — wieso sollte er also nicht auch mal Bitcoins verschenken, um von dem Rummel um die saudi-arabischen Tesla-Investoren und einem möglichen Abzug von der Börse abzulenken? Oder darauf hinzuweisen, was weiß denn ich?

Die ganze Sache, ein Online-Betrug, der wohl seinesgleichen sucht, ist seit mindestens Wochen bekannt, aber bisher völlig an mir vorbei gegangen. Der Betrug läuft immer noch über unzählige verschiedene Accounts und Websites. Über die Schadenshöhe ist bisher nichts bekannt, und auch Twitter scheint nicht besonders hilfreich dabei zu sein, wenn es um die Beendigung des Ganzen geht. Zwar hat das Unternehmen in den letzten Wochen rund eine Million Accounts gesperrt, um Fake News und Scam zu unterbinden, doch das scheint nicht zu genügen.

Die Betrugsfälle schaden dem Ansehen von Kryptowährungen

Und so bleibt für mich eine peinliche, hoffentlich aber für alle Mitlesenden ebenso lehrreiche Geschichte. Und ich hatte ja noch Glück im Unglück, ich muss mich nicht über ein wenig verlorenes Spielgeld ärgern, sondern nur über meine eigene Dummheit.

Die Tatsache aber, dass solche im Detail doch recht gut vorbereiteten Betrugsfälle anscheinend nur schwer zu verhindern, zu stoppen oder gar strafrechtlich zu verfolgen sind, wird in den kommenden Jahren noch viele Konsequenzen haben, fürchte ich. Sie schaden nicht nur den direkt Betroffenen, sondern auch dem Ansehen von Kryptowährungen, bei denen niemand Verantwortung im Betrugsfall übernimmt. Sie machen anonyme Konten machbar, die solche Vorgehen überhaupt erst möglich machen.

Und sie werden — neben anderen Unschönheiten, die im Netz passieren — den Ruf nach mehr Sicherheit für alle im Netz lauter machen, der in letzter Konsequenz das Ende der Anonymität im Mainstream-Internet bedeuten wird. Denjenigen Netz-Bewohnerinnen, deren Aktivitäten nicht aus Betrug oder anderen gesellschaftlichen Vergiftungen bestehen, werden Freiheiten genommen werden. Während Betrüger neue Wege finden werden, ihrem Geschäft nachzugehen. Und das ist das Traurigste an dieser Geschichte.

Johnny Haeusler

Johnny Haeusler

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