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Flugtaxis und Milchkannen: Bei 5G ist das Desaster vorprogrammiert

von Johnny Haeusler
Wie auch bei vielen anderen Themen sitzt unser Kolumnist Johnny Haeusler kopfschüttelnd vor der Berichterstattung rund um den neuen Mobilfunkstandard 5G. Und er hat trotz seines grundsätzlich unerschütterlichen Optimismus die Hoffnung aufgegeben, jemals im Nordosten des Landes eine Firma gründen zu können.

Es gibt da überhaupt nichts mehr schönzureden. Das Desaster ist vorprogrammiert, Deutschland wird bei der flächendeckenden, hundertprozentigen Versorgung der Bevölkerung mit wirklich schnellem Internet und bezahlbaren Tarifen ohne Beschränkungschaos weiter im internationalen Vergleich im unteren Drittel rangieren. Entscheidungen wie die zum neuen Mobilfunkstandard 5G werden weiterhin ohne Vision und Plan getroffen, und dennoch wird bei jeder Gelegenheit von der Wichtigkeit der „Digitalisierung“ (wer das Wort auch nicht mehr hören kann, lässt einfach die Hände unten, das geht schneller), „Arbeit 4.0“ und dem „Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland“ gefaselt und darüber, dass wir jetzt aber echt mal, und das ist alles total wichtig, und überhaupt.

Digitalministerin Dorothee Bär (CSU, bekannt aus Instagram) weiß eigentlich schon seit 2000 Bescheid, dass schnelles Internet ganz schön wichtig sein könnte, konnte sich aber als offenbar einzige politische Person mit dieser Erkenntnis „nicht durchsetzen“ und hat jetzt ein ganz schlechtes Gewissen.

„So much money“

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) schüttelt den Kopf über den für 5G nötigen Netzausbau, weil das Ganze „unfassbar teuer“ sei (auf trumpisch: „Very, very expensive, incredibly expensive, so much money“), und dass außerdem der aktuell schnellste Standard 4G/LTE, dessen Ausbau natürlich auch noch längst nicht annähernd flächendeckend erfolgt ist, erstmal ausreichend sei. Denn der sei bereits „verdammt schnell“ (trumpisch: „Very, very fast, really fast, so fast“).

Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) möchte derweil eine Studie über die Kinder gleichgeschlechtlicher Paare in Auftrag geben, damit sie endlich eine hat, in der etwas anderes steht als in den Dutzenden, die bereits vorliegen. Bezüglich des neuen Mobilfunkstandards spricht sie vermutlich mit ähnlicher Kompetenz, wenn sie meint, dass schnelleres Internet nicht „an jeder Milchkanne notwendig“ sei.

Die Kanzlerin und ihre Ministerinnen versprechen seit zehn Jahren flächendeckendes, schnelles Internet und rudern regelmäßig zurück.

Flugtaxis und Milchkannen – die beiden Worte beschreiben den digitalpolitischen Verirrungszustand der Republik eigentlich ganz gut.

Schnelles Internet für 1000 Euro

In der Realität sitze ich im Zentrum Berlins in einer Straße, in der ich seit zehn Jahren erfolglos versuche, VDSL zu bekommen – etwas mehr als die 16 MBit/s DSL waren zwar immerhin mit einem „hybriden“ LTE-Zusatz möglich, aber ein echter Festnetzausbau oder gar wirklich höhere Geschwindigkeiten würden sich ob der „zu wenigen“ Wohneinheiten in der Straße „nicht rechnen“. Nach zehn Jahren habe ich nun einen Kabelanschluss mit 1000 Euro aus eigener Tasche mitfinanziert und komme auf knapp 200 Mbit/s. Damit das Flugtaxi richtig landen kann.

In der Realität buche ich unser liebstes inländisches Kurzferienhaus im Nordosten des Landes nicht mehr, weil es auch 2018 kein mobiles Netz gibt, ich kann dort nicht einmal mit einem Handy telefonieren – und die Einwohnerinnen des Ortes auch nicht (wer jetzt etwas von der tollen Ruhe und Entspannung und dem fehlenden „Handy-Stress“ erzählt, genießt sicher auch das winterliche Bad im See, geht im Wald zur Toilette und braucht daher keine sanitären Einrichtungen oder warmes Wasser, das ohne Strom sowieso schwer herzustellen ist, aber ich bin da anders).

In der Realität scheitert der Umzug vieler wechselwilliger Unternehmen in ländlichere Gebiete daran, dass sie dort keine ausreichende technische Infrastruktur vorfinden. Und in der Realität unterliegen Unternehmen, die im ländlichen Raum beheimatet sind, daher einem brutalen Wettbewerbsnachteil. In der Realität darf ein wirklich zuverlässiges, schnelles Datennetz ebenso wie Wasser- und Stromversorgung keine Option, sondern muss selbstverständlich sein.

Frequenzversteigerung führen zu teuren Funklöchern

In der Realität muss die ausreichend schnelle Übertragung von Daten zur Grundversorgung für alle gehören und wir können langsam mal aufhören, über „Digitalisierung“ zu sprechen, als wäre das ein Zukunftsthema, um das sich die kommenden Generationen und Regierungen nähere Gedanken machen sollen. In der Realität bezahlen wir in Deutschland wegen der im Jahr 2000 erfolgten Versteigerungen der UMTS-Frequenzen und wegen der Quasi-Monopole der drei großen Anbieterinnen, von denen die Telekom auch noch zu einem Drittel dem Bund gehört, immer noch horrende Preise für Mobilfunkverträge und stecken trotzdem dauernd in Funklöchern. In der Realität gibt es bessere Lösungen für den in so vielen Bereichen nötigen 5G-Ausbau als eine erneute Frequenzversteigerung, die erneut zu hohen Kosten für die Verbraucherinnen und zu Funklöchern führen wird und bei der der versteigernde Staat durch seine Anteile an der Telekom eine nicht ganz neutrale Rolle spielt.

Aber die Realität ist leider an zu vielen Stellen schon lange nicht mehr der Motor für Politik, weder für die aktuelle noch für die höchstwahrscheinlich zukünftige. Es ist leider wahrscheinlicher, dass die EU nationale Einschränkungen aufhebt und wir uns als Deutsche in zwei Jahren einen Mobilfunkvertrag in den Niederlanden holen können, als dass wir hierzulande in absehbarer Zeit wirklich überall mobiles Netz haben, noch dazu ein sehr schnelles.

Johnny Haeusler

Johnny Haeusler

von GQ

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