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Zukunft der Arbeit / „Maschinen ersetzen uns nicht, sie machen uns besser“, sagt der CTO von SAP

von Lars Gaede
Quentin Clark ist Chief Technological Officer (CTO) bei SAP. Im WIRED-Interview verrät er, warum Business-Software in Zukunft wissen wird, wo wir sind — und warum sie uns dafür davor schützt, angebrüllt zu werden.

WIRED: Sie entwickeln Software, mit der Unternehmen ihre Arbeitsprozesse steuern. Wie werden diese Prozesse in Zukunft aussehen?
Quentin Clark: Die Art, wie wir Software verwenden, wird sich komplett ändern. Der eine Treiber dieser Entwicklung ist natürlich der technische Fortschritt: Cloud Computing, Big Data, immer bessere Algorithmen, Machine Learning, das heute für jeden Software-Ingenieur schnell und einfach einsetzbar ist und Analysen und Vorhersagen ermöglicht. Und natürlich schnelles WiFi überall und enorm leistungsfähige Geräte, mit denen wir schon heute in der Hosentasche herumlaufen. Doch der andere Treiber ist noch wichtiger: der Mensch.

WIRED: Inwiefern?
Quentin Clark: Die Millennials kommen von der Uni und fangen an zu arbeiten und plötzlich funktionieren all die bequemen Funktionen nicht mehr, an die sie aus dem digitalen Alltag von ihren Apps längst gewohnt sind. Man setzt sie an einen Rechner mit irgendeiner Standard-Software, mit denen in Unternehmen Geschäftsprozesse geregelt werden und sie sagen: Moment mal, was ist denn hier los? Warum hat die Software mir die notwenigen Information nicht rechtzeitig zugespielt, noch bevor ich auf dem Weg zum Kunden war. Warum weiß die Software nicht, wo ich gerade bin? Warum arbeitet das Programm nicht kontextuell zu dem, was ich gerade mache? Es gibt da eine massive Änderung im Skillset. Arbeitnehmer erwarten jetzt, dass all die praktischen Features, die sie als Konsumenten gewohnt sind, auch an ihrem Arbeitsplatz funktionieren.

Arbeitnehmer sind es von ihren Apps gewohnt, dass Dinge bequem sind. Das wollen sie auch am Arbeitsplatz.

Quentin Clark

WIRED: Sie sind also verwöhnt.
Clark: Ich würde positiver formulieren: Sie sind sich bewusst, dass Dinge besser laufen können. Wir müssen als Industrie darauf reagieren. Wir arbeiten deshalb daran, dass Arbeitssoftware zukünftig viel stärker in Echtzeit und kontextuell funktioniert.

WIRED: Heißt?
Clark: Mit Echtzeit meine ich: Die richtigen Dinge passieren auf meinem Bildschirm zur richtigen Zeit — genau dann, wenn ich sie als User brauche. Kontextuell heißt, das System versteht, wann du wo bist. Es versteht, welche konkreten Informationen du brauchst und wo es sie herbekommt. Wer wartet da bei dem Meeting gleich auf mich? Welche relevanten Nachrichten habe ich dazu noch nicht gelesen? Welche Materialien muss ich mir anschauen? Was ist seit dem letzten Meeting bei dem Thema passiert? Und es liefert nicht einfach irgendwelche rohen Daten, sondern betreibt automatisch schon so viel Analyse wie möglich — um dir den Job möglichst einfach zu machen.

WIRED: Wie würde das konkret aussehen?
Clark: Nehmen wir beispielsweise einen Store Manager im Einzelhandel: Wenn heute ein Verkäufer seine Schicht verpasst, was passiert dann? Fünfzehn Minuten, nachdem die Schicht schon hätte anfangen sollen, kommt ein anderer Verkäufer zum Store Manager und sagt: Hey, meine Ablösung ist nicht aufgetaucht! Also geht der in sein Büro und schaut auf den Schichtplan — wurde irgendetwas geändert, das ich übersehen habe, habe ich einen Fehler gemacht? Dann versucht er den Mitarbeiter zu erreichen, ruft an, schreibt eine Mail, wartet auf eine Antwort. Dann checkt er, wer als schneller Ersatz in Frage käme: Wer wohnt in der Nähe? Wer hat zuletzt wenige Schichten gehabt und würde vielleicht einspringen wollen. Dann telefoniert er die Leute durch — und wenn es gut läuft ist anderthalb Stunden nach Schichtstart der Ersatz da. Das ist wahnsinnig viel Aufwand für ein eigentlich kleines Problem! Das geht anders.

WIRED: Und wie soll das zukünftig funktionieren? Lassen sie mich raten: Alles automatisch.
Clark: Nicht ganz, aber viel einfacher: Zehn Minuten bevor die Schicht anfängt, bekommt der Store Manager eine Nachricht auf sein Telefon: Der eingeplante Mitarbeiter wird es nicht zur Arbeit schaffen. Ich schlage diese Person als Ersatz vor, möchtest du dass ich mich drum kümmere? Der Store Manager muss nur einmal sagen: „Ja.“ Und das System benachrichtigt die Person, dass sie ersatzweise arbeiten könnte. Die macht sich auf den Weg und ist 15 Minuten später im Laden. Nicht anderthalb Stunden später.

Der Fokus menschlicher Arbeit verschiebt sich, den Menschen braucht man trotzdem noch.

WIRED: Wie soll das gehen?
Clark: Alle Beteiligten haben auf ihren Telefonen Apps, mit denen wir genau solche Prozesse organisieren können. Diese Apps sind geographisch und zeitlich eingeschränkt. Sie wachen erst auf dem Handy der Mitarbeiter auf, kurz bevor die Schicht losgeht, um zu checken: Wo bist du? Wirst du deine Schicht schaffen? Und sie schlagt beim Store Manager Alarm, wenn es nicht klappt — weil der Arbeitnehmer verschlafen hat oder weil er krank ist. Er erspart sich das unangenehme Telefonat, bei dem er vielleicht durch den Hörer angebrüllt würde, wo er denn bleibt. Und der Store Manager erspart sich sehr viel Arbeit: Das System schaut selbst in den Schichtplan, schaut, welche Leute zuletzt wenige Schichten hatten, wer im Urlaub ist und wer in der Nähe wohnt. Und findet so in einer Sekunde den Mitarbeiter, der mit größter Wahrscheinlichkeit schnell im Laden sein kann und will. Der Store Manager bekommt diesen Mitarbeiter vorgeschlagen und muss nur 15 Sekunden investieren um auf „Ja“ zu klicken. Und die potenzielle Ersatzperson bekommt einfach nur eine SMS: „Kannst du spontan arbeiten?“ Und antwortet per SMS zurück an das System. Das war's.

WIRED: Ich weiß nicht, ob jeder Arbeitnehmer so große Lust auf eine App hat, die dem Arbeitgeber permanent verrät, wo er steckt.
Clark: Nicht permanent! Die App wäre wie gesagt zeitlich beschränkt.

WIRED: Ein anderes Risiko: Wenn das System, das sie als Beispiel beschreiben, all das alleine organisieren könnte. Wozu braucht man dann überhaupt noch einen Store Manager?
Clark: Ach, wissen Sie, die große Angst, dass die Maschinen Jobs zerstören, gab es schon so oft. Zuletzt, als Roboter anfingen, Autos zu bauen. Wir haben gelernt: Der Fokus von menschlicher Arbeit verschiebt sich durch technologische Fortschritte, aber den Menschen braucht man trotzdem noch. Porsche baut heute 100 verschiedene Modellvarianten vom 911er. Vieles passiert dabei automatisch. Aber es braucht Customer Care, Marketing, Leute, die die Produktionsprozesse überwachen, die den Einkauf organisieren. So viele Bereiche, in denen weiter Menschen arbeiten. Ich glaube, Maschinen werden unsere Arbeit nie ersetzen. Sie werden uns vielmehr helfen, sie besser zu machen. 

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