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Zukunft der Arbeit / Ein Segelboot als Coworking-Space

von Martin Wiens
Einen Tag vor seinem 46. Geburtstag baute Gerald Schömbs eigenhändig seinen Schreibtisch ab. All seine Utensilien packte er in einen Pappkarton und nahm sie mit nach Hause. Ab kommendem November ist sein Arbeitsplatz ein Boot. Denn dann startet das „Coboat“, ein Coworking-Space auf einem Segel-Katamaran. Gemeinsam mit James Abbott, Karsten Knorr und Tommy Westlin arbeitet Schömbs an der gemeinsamen Idee vom digitalen Nomadentum — also vom ortsunabhängigen Arbeiten überall auf der Welt.

Mehrere Jahre lang hat Gerald Schömbs darauf hingeschufftet, seinen festen Arbeitsplatz abzuschaffen. Er hat das Management seiner selbstgegründeten Agentur umgebaut und langjährige Mitarbeiter in das Management-Team reingeholt, die ihn vor Ort ersetzen sollen. Sogar sein eigenes Gehalt hat Schömbs für den großen Wunsch nach ortsunabhängigem Arbeiten runtergeschraubt.

Dafür kann er seit dem Oktober 2011 arbeiten, von wo er will. Zusammen mit James Abbott, Karsten Knorr und Tommy Westlin schafft er einen Coworking-Space auf einem Segelboat, dem „Coboat“. Auf dem sollen 20 Gäste Platz finden, gemeinsam arbeiten, sich gegenseitig inspirieren und nebenbei noch eine gute Zeit haben.

Die vier Gründer machen mit ihrem gemeinsamen Projekt vor, wie man etwas schaffen kann, ohne gemeinsam im Büro zu sitzen und Meetings abzuhalten. Abbott hat auf der Insel Ko Lanta in Thailand einen Coworking-Space gegründet, Knorr arbeitet auf Bali und Westlin in Finnland. Schömbs selbst lebt in Berlin. Alle vier haben gemeinsam, dass sie als Unternehmer vor allem digital arbeiten — und ihren Job deshalb auch auf einem Segelboot mit Internetanschluss machen können. Von seinen drei Mitstreitern hat Schömbs bisher nur Karsten Knorr persönlich getroffen. Die anderen beiden kennt er über Skype.


WIRED: Auf eurem „Coboat“ wollt ihr Coworking mit Reisen verbinden. Das klingt wie eine bessere Ausrede zum Urlaub machen.
Gerald Schömbs: Mit diesem Vorurteil haben viele der digitalen Nomaden zu kämpfen — gegenüber Freunden, der Familie und der Öffentlichkeit. Wer das nicht mal miterlebt hat, kann sich auch kaum vorstellen, wie intensiv und fokussiert da teilweise gearbeitet wird. Digitale Nomaden sitzen an Orten, wo andere Leute Urlaub machen und verwirklichen ihren Traum vom ortsunabhängigen Arbeiten. Das muss nicht immer am Strand sein. Tatsächlich ist es aber viel mehr arbeiten, als man denkt. 

Wenn wir leidenschaftliche Busfahrer wären, hätten wir für unseren Coworking-Space wahrscheinlich einen Bus gewählt. Aber wir sind nun mal leidenschaftliche Segler.

Gerald Schömbs

WIRED: Ist die Produktivität unterwegs genau so hoch, als würde man im Büro sitzen?
Schömbs: Das hängt sehr von der eigenen Motivation ab — davon, wie gut man darin ist, seinen inneren Schweinehund zu besiegen. Manche müssen das erst lernen, weil man auch einige einsame Momente beim ortsunabhängigen Arbeiten hat. Aber wenn man ein, zwei Wochen gemeinsam auf einem Boot verbringt, ist das natürlich eine Druckbetankung an Inspiration, Eindrücken von anderen Leuten und Feedback. Ich glaube, das ist eher noch ein beschleunigender als ein ablenkender Effekt. 

WIRED: Arbeit und Freizeit sind für viele zwei unvereinbare Dinge. Ihr wollt diesen Widerspruch auflösen...
Schömbs: Das möchte ich zunächst mal mit einem Zitat beantworten: „Don’t differentiate between ’This is a job’ and ’This is what I’m doing for fun.’ It’s all simultaneous.“ Das kommt von Spike Jonzeen. Bei dieser Art von Leben verschwimmen Arbeit und Spaß tatsächlich. Die Grenzen heben sich auf. Man macht ja auch bei dieser Art des Arbeitens Dinge, die einen anstrengen oder stressen. Aber es ist vielleicht ein ganz guter Ausgleich, das in einer Umgebung zu tun, die man angenehm findet. 

WIRED: Ist es nicht wichtig, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen?
Schömbs: Ich bin kein Arbeitspsychologe. Aber ich hab folgende Erfahrung gemacht: Wenn ich etwas mache, das mir Spaß bereitet und ich im Flow bin, macht es mir nichts aus, Tag und Nacht daran zu arbeiten und mich darin zu verlieren. Ich persönlich habe mich an diese fließenden Grenzen gewöhnt. Das belastet mich nicht mehr. Manchmal beantworte ich eben nachts um zehn eine E-Mail und gehe dafür morgens um zehn laufen — mit ausgeschaltetem Telefon.

WIRED: Klassische Coworking-Spaces sind ja weit verbreitet. Wieso ist eurer gerade auf einem Segelboot?
Schömbs: Wenn wir leidenschaftliche Busfahrer wären, hätten wir wahrscheinlich einen Bus gewählt. Aber wir sind nun mal leidenschaftliche Segler. Ich für meinen Teil habe in den letzten vier Jahren die meisten Scheine dazu gemacht. Und gerade vor zwei Wochen habe ich zum ersten Mal als Skipper ein Boot im Mittelmeer gechartert. Es ist also ein rein persönliches Interesse.

WIRED: Wie kann man sich die Arbeit auf so einem Boot vorstellen?
Schömbs: Das Boot ist sehr groß. Mit knapp 30 Metern ist es ungefähr doppelt so lang wie ein normaler Katamaran, den man aus dem Hafen kennt. Bei zusätzlich doppelter Breite ist er logischerweise viermal so groß. Es ist also schon sehr viel Fläche vorhanden — die braucht man für 20 Gäste und vier Crew-Mitglieder auch. Auf dem Boot gibt es zudem mehrere Ebenen und Bereiche mit großen Sitzgelegenheiten, die üblicherweise fürs gemeinsame Abendessen und zum Abhängen genutzt wurden. In unserem Fall sind das dann einfach Arbeitsplätze.

Alles, was wir erwirtschaften, geht entweder ins Boot oder in lokale Projekte vor Ort. Es ist ein Non-Profit-Projekt.

Gerald Schömbs


WIRED: Für wen ist das „Coboat“ denn deiner Meinung nach interessant?
Schömbs: Natürlich nicht nur für digitale Nomaden. Man muss nicht aus Indien kommen, aufs „Coboat“ gehen und dann weiterziehen. Auch für Freelancer aus Berlin oder Hamburg kann das spannend sein, die sagen: „Ich brauch jetzt mal Inspiration und einen Tapetenwechsel“. Wer sonst in einem Büro mit nebligem Ausblick arbeitet, geht dann eben für zwei Wochen aufs „Coboat“ und schaut, ob das neue Ideen bringt.

WIRED: Das Mitfahren ist aber nicht umsonst.
Schömbs: Der Preis pro Nacht liegt bei 140 Euro. Dafür gibt es die Übernachtung auf dem Boot, Verpflegung, Softdrinks und kostenloses Internet. In der Woche sind das dann 980 Euro. Gerade gibt es aber noch Earlybird-Tickets. Die sind etwas günstiger.

WIRED: Ist das Ziel von euch vier Gründern, mit dem Projekt Geld zu verdienen?
Schömbs: Nein, das ist kein kommerzielles Projekt für uns. Es gibt also keine Überschüsse, die in unsere Taschen fließen werden. Alles, was wir erwirtschaften, geht entweder ins Boot oder in lokale Projekte vor Ort. Es ist ein Non-Profit-Projekt.

Es wird nicht so sein, dass wir ein Wettrennen um die Welt starten.

Gerald Schömbs

WIRED: Also in die Orte, die ihr mit eurem Boot abklappert?
Schömbs: Genau, wir sehen da die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Vermutlich werden wir das in Form einer Stiftung einbringen. Der Community-Gedanke steht also im Vordergrund. Deshalb ist eine andere Idee von uns auch, dass wir uns an Projekten, die bei uns entstehen, beteiligen. Aber dann nicht als Menschen. Stattdessen wäre das „Coboat“ eine Art Inkubator — aber das ist noch eine Zukunftsvision. 

WIRED: Im November startet das „Coboat“. Habt ihr die Route schon geplant?
Schömbs: Das Boot, das wir kaufen werden, wird in Thailand umgebaut. Von da aus stechen wir auch in See. Es wird nicht so sein, dass wir ein Wettrennen um die Welt starten. Die ersten drei Monate werden wir uns in Thailand und im südostasiatischen Raum aufhalten. Im Februar März und April geht es dann in Richtung der Malediven und Seychellen. Zum Sommer hin wollen wir dann ins östliche, zum Spätsommer ins westliche Mittelmeer, um dann im November die Atlantiküberquerung zu machen. Weihnachten und Silvester 2016 können wir dann in der Karibik feiern. 

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