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Freies Internet für die ganze Welt? Eine schwer umzusetzende Idee

von Max Biederbeck
Internet für alle, überall: Das ist ein Ziel, dem viele Unternehmen hinterherjagen. Die Motivationen dahinter sind unterschiedlich. Egal aber, ob Profit-Gier oder der Drang, die Welt zu verbessern: Es bleibt eine kaum schaffbare Aufgabe. 

Die Erfinder des Outernets haben lange gegrübelt, wie sie die Welt mit frei zugänglichem Internet versorgen können. Der Slogan des Unternehmens lautet: „Eine öffentliche Bibliothek für die Menschheit“. Aber wie das genau funktionieren soll, das war den Machern lange unklar. Die Ideen reichten von Frachtschiffen mit riesigen Übertragungsmasten bis hin zu Drohnen, die herumsurren könnten, um Signale zu verbreiten. Aber solche Dinge sind für ein kleines Startup aus New York einfach nicht drin. Um genau zu sein, sind sie generell einfach nicht drin.

Dann kam dem Unternehmen eine ganz andere Idee: Ein Internet für alle müsste funktionieren wie ein Radio. Anstatt Daten auszutauschen, macht Outernet die User deshalb zu reinen Empfängern. Es sendet Informationen genau wie beim Rundfunk in nur eine Richung.

Wie kann eine neue Art von Internet entstehen, das die ganze Welt nutzen kann?

Denn der meiste Traffic im Internet, wie wir es normalerweise kennen, geht vom Upload aus. Die Datenmengen sind riesig. In Ländern mit schlechtem Netzausbau, in Katastrophen-Gebieten oder in autokratischen Regimen mit eingeschränktem Zugang geht oft gar nichts mehr. Outernet schließt diese Upload-Seite aus. Die zu übermittelnden Datenmengen werden kleiner und können mit weniger Aufwand über eine wesentlich größere Fläche verteilt werden.

Die Idee könnte Millionen von Menschen ans Netz bringen, schaffte ihre Finanzierung auf IndieGogo (200.000 Dollar) in nur fünf Tagen und schoss sogar um 100.000 Dollar darüber hinaus. Viele sind überzeugt: Outernet wird das nächste große Ding. Die World Bank ist mit an Bord, andere Kooperationspartner heißen Wikipedia oder Media Development Investment Fund. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Mit einem Satz bringt Richard selbst gleich mehrere Schwierigkeiten auf den Punkt: „Wir sind wie der DJ, der Musik auflegt.“

Alle Daten des Outernets werden von New York aus gesendet. Sie gehen per Funk an drei Satelliten im Erdorbit und werden von dort über den Globus verteilt. Vor allem in Unrechtsstaaten will Outernet das Menschenrecht auf Information auch gegen den Willen der Machthaber durchsetzen. Dabei bleibt die Frage offen: Welcher DJ entscheidet eigentlich, welche Informationen gesendet werden? „Wir sind uns der Problematik bewusst und arbeiten an demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten und Anfrage-Portalen im Netz", argumentiert Richard. Momentan kümmere sich das Unternehmen vor allem darum, ein „Core Archive“ zusammenzustellen, in dem zu Beginn unter anderem 5.000 Wikipedia-Artikel zu finden sind. Auch unterschiedliche Sprachen auf der ganzen Welt und die Frage nach der weiteren Finanzierung stehen noch im Raum. 

Empfangen werden kann das Outernet mit Geräten, die laut Richard irgendwann von lokalen Unternehmen selbst gebaut werden können. Outernet bietet aber auch zwei eigene Receiver an. Die haben bisher die Finanzierung des Projekts gesichert. Der „Lantern“ für den mobilen Gebrauch und der „Pillar“, der mit einer kleinen Satellitenschüssel geliefert wird. Letzter hat eine höhere Übertragungsrate (momentan bis zu 200MB am Tag). Er soll in Dörfern und Flüchtlingslagern zum Einsatz kommen. Der „Lantern“ dagegen hat eine kleinere Übertragungsrate, passt in jede Tasche und lädt sich selbst per Solarzelle auf. An einen Computer angeschlossen ermöglicht er Kontakt mit den Signalen der Satelliten, egal, ob es eine klassische Internetverbindung gibt oder nicht.

„Wenn zum Beispiel eine Katastrophe passiert, können wir die Betroffenen von außen live über ihre Möglichkeiten updaten“, erklärt Richard. Wenn ein Staat seine Bürger daran hindert, bestimmte Informationen online zu lesen, könnten sie in Zukunft über Outernet trotzdem darauf zugreifen. Vorausgesetzt, der DJ in New York hat vorher entschieden, dass diese Informationen zugänglich sind.

Outernet ist eines von vielen Unternehmen, die sich damit beschäftigen, wie weltweites Internet umgesetzt werden kann. Die Ansätze sind dabei ganz unterschiedlich. Outernet geht es nach eigenen Angaben vor allem um die Verfügbarkeit von Informationen. Andere wollen vor allem Alternativen zu einem unsicher gewordenen Internet entwickeln. Wieder andere haben eindeutig rein wirtschaftliche Interessen an der Verbreitung und Absicherung von Internetzugängen. 

Die Probleme des heutigen Internets sollen gelöst werden: Privatsphäre, Offenheit, Effizienz.

Eric Klinker, CEO Bit Torrent

BitTorrent etwa will in Zukunft ganz auf zentrale Server verzichten und so große Internetanbieter in ihrer Macht schwächen. Der Traffic soll stattdessen über P2P-Netzwerke laufen, also zwischen unterschiedlichen Usern selbst. Am Donnerstag launchte das Unternehmen dafür die Alpha-Version eines neuen Browsers. „Verteilte Technologie ermächtigt die User und löst Probleme des heutigen Internets: Privatsphäre, Offenheit und Effizienz“, sagte CEO Eric Klinker gegenüber The Verge. Andere Beispiele sind Messenger wie Firechat und Plague, die nicht auf das klassische Internet zurückgreifen müssen, sondern Mesh-Netzwerk-Technologie benutzen. Mesh-Netzwerke machen jedes beteiligte Gerät zu einem Server und lassen so ein dezentrales System entstehen. Früher favorisierten vor allem Hacker-Gruppen diese Ansätze, um das Internet wieder demokratischer zu machen und von werblichen Provider-Einflüssen zu befreien. In Deutschland haben sich vor allem die Freifunker einen Namen zu diesen Bemühungen gemacht. Heute nutzen aber auch Unternehmen die Technologie für den Verkauf von Produkten.

„Bei uns geht es darum, dass nur noch die Nachricht wichtig ist. Sie kann nicht von außen zum Beispiel durch einen autoritären Staat unterdrückt werden“, sagt etwa Plague-Entwickler Ilya Zudin aus Litauen. Sein Messenger gibt Usern die Möglichkeit, Nachrichten vom eigenen Telefon zu allen anderen Telefonen in der Nähe springen zu lassen. Sie kann so per Kettenreaktion an jeden beliebigen Punkt der Welt „weiterwandern“. Firechat arbeitet ähnlich, benutzt aber lokal organisierte Chatrooms mit anderen Usern in der Nähe. Die App wurde mit dieser Funktion zu einem der wichtigsten Organisationsmittel bei den Protesten von Hong Kong. Dort brach das normale Netz schon kurz nach Beginn der Proteste zusammen.

Gerade für etablierte Firmen wäre es ein Gewinn, wenn die restlichen 60 Prozent der Menschen ins Internet kämen.

Outernet, Plague, Firechat. Es scheinen vermehrt junge StartUps zu sein, die den Kampf um mobile Informationsfreiheit in die Hand nehmen wollen. Dazu kommen altbekannte Anbieter wie BitTorrent, aber auch Internetriesen wie Google und Facebook. Google’s Projekt „Loon“ plant Ballons aufsteigen zu lassen und vom Himmel aus aus die Verbindung zum Netz auf der ganzen Welt zu sichern. Andere Ansätze sind Internet.Org, das unter anderem von Facebook und Samsung getragen wird. Die Organisatoren wollen kostengünstige Datenpakete mit Hilfe von Flugzeugen, Lasern und speziellen Apps liefern. Und da ist Tech-Schwergewicht Elon Musk mit seinem SpaceX, das auch mit LowCost-Satelliten arbeitet, um kostengünstiges Internet möglich zu machen.

Über die politische Motivation auf Seiten der Unternehmen lässt sich streiten. Dennoch wäre es gerade für etablierte Konzerne ein großer Gewinn, wenn die restlichen 60 Prozent der Menschheit ohne Internet in Zukunft in der Lage wären, zu googlen, über Facebook zu chatten oder bei Amazon einzukaufen. Knapp fünf Milliarden potentielle Kunden. Zudem wird um Monopolstellungen beim Zugriff auf Daten gekämpft, denn wer Zugang anbietet, hat die Kontrolle. Und auch bei den kleinen Anbietern ist ohne Zweifel ein Geschäftsfeld rund um das alternative Internet entstanden. 

Auch Outernet wird sich mit kritischen Fragen beschäftigen müssen.

„Unser Slogan lautet, wir sind ‚eine Bibliothek für die Menschheit’ und deshalb ist auch unser Ansatz ein anderer“, sagt Richard von Outernet deshalb immer wieder. Während es den Großen darum ginge, die eigenen Produkte in die Welt zu liefern, gehe es Outernet um die Informationsfreiheit. „Wie sollen Heißluftballons Menschen in autokratischen Regimen mit kontrolliertem Luftraum helfen?“, fragt er. Und weiter: „Wenn man sich Internet.org anschaut, sieht man doch, dass das eigentlich Augenwischerei ist. Nur einige wenige Dienste sind im kostenlosen Angebot enthalten.“

Mit Unterstützung der Welt Bank will Outernet jetzt erst einmal seine Bekanntheit in Afrika erhöhen. Dazu sollen Pillars im Sudan verteilt werden, die dann Dörfer und Flüchtlingslager mit Radio-Netz versorgen sollen. Noch nutzt dort niemand den Dienst. „Wer die Alternativen nicht kennt, dem bringen sie auch nichts“, argumentiert Richard. 

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