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Dieses elektrische Tuk-Tuk und sein Fahrer sind die Botschafter der sauberen Luft

von Cindy Michel
Mit dem Tuk-Tuk von Indien nach Großbritannien: In sieben Monaten legt Naveen Rabelli 10.000 Kilometer zurück und durchquert dabei zehn Länder – und das alles mit Emissionswerten gegen null. Denn seine Autorikscha läuft mit Strom. WIRED traf den gebürtigen Inder bei der Tech-Konferenz DAHO.AM in München und sprach mit ihm über seine Mission, die Welt vor dem Smog-Kollaps zu retten.

Als Naveen Rabelli mit seinem Elektro-Tuk-Tuk am Arc de Triomphe in Paris vorbei fährt, hört er schon den Jubelschrei der Fanfaren in seinem Kopf und sieht im selbigen eine feierlich bunte Parade vorbei tanzen. „Ich war so verdammt naiv damals“, erinnert sich Naveen Rabelli an seine Mission, mit dem Elektro-Tuk-Tuk von Bangalore, Indien, nach London zu fahren und die eben letzte Etappe seiner Reise von Paris nach London. „Paris war für mich schon fast wie London, weil ich so nah am Ziel war. Nach knapp sieben Monaten Reise hatte ich nun nur noch 500 Kilometer Weg und ein Grenze vor mir. Ich dachte, mich könne nichts mehr aufhalten.“

Aber es kommt anders: Als er am 6. September 2016 die französische Metropole gen Calais verlässt, hält Naveen noch einmal kurz an, um die Toilette zu benutzen. Als er zurück kommt, ist das Tuk-Tuk aufgebrochen, sein Geld und Pass gestohlen. „Bis dahin hatte ich eigentlich keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber das war richtig mies“, sagt der 37-jährige Mann aus Indien. „Ich war echt verzweifelt. Ohne meine Dokumente konnte ich das Land nicht verlassen und zu allem Überfluss waren auch noch zwei von drei Akkus im Tuk-Tuk kaputt. Aber wie sollte ich die ohne Geld reparieren?“

Also wartet er erst einmal ab, bis ihm ein vorübergehendes Visum ausgestellt wird und entscheidet sich dazu, mit nur einer Batterie weiter zu machen, obwohl er mit dieser pro Ladung gerade mal 25 Kilometer weit kommt. „Auch daran gewöhnt man sich, manchmal kann man eben nichts machen“, sagt er. „Wenn ich eines gelernt habe während dieser Reise, dann Geduld zu haben. Dieser Vorfall war echt ätzend, aber das sollte mich nicht davon abhalten, an mein Ziel zu kommen.“ Sechs Tage später erreicht er Calais, am 16. September London.

Ein Anfang

Der Mann mit dunkler Hornbrille und schwarzen Haaren blickt auf die Bühne der DAHO.AM-Konferenz in der Zenith-Kulturhalle in München. Kurz zuvor hatte er dort gestanden den Besuchern des Tech-Festivals von seiner Mission erzählt, wie er mit der elektrischen Autorikscha von Bangalore in Indien nach London gefahren ist, um auf Umwelt- und Luftverpestung aufmerksam zu machen. Darauf sieht man den 37-Jährigen mit längeren Haaren, ohne Brille und in Shorts neben einem ziemlich verbeulten Tuk-Tuk. „Das war der Anfang“, sagt er und zeigt grinsend auf das Bild.

Die Idee mit einem elektrischen Tuk-Tuk um die halbe Welt zu fahren, hatte Naveen schon etwa vier Jahre bevor er tatsächlich zu der Mission aufbrach. „Ich war zu Besuch in Neu Delhi und habe ein Mädchen gesehen, die einen braun-beigen Schal trug. Mir ist aufgefallen, dass sie nicht die einzige war. Bei näherem Hinsehen wurde mir aber klar, dass der Stoff wohl ursprünglich weiß und nur vom Smog dunkel gefärbt war.“

Neu Delhi gilt als eine der dreckigsten Städte weltweit. Messwerte zeigen, dass die Luftverschmutzung in der indischen Metropole teilweise bis zu 30mal höher liegt, als der von der World Health Organization (WHO) empfohlene Richtwert. Der Regierungschef des Unionsterritoriums Delhi Arvid Kejriwal bezeichnete die Stadt in einem Twitter-Post vom November vergangenen Jahres sogar als „Gaskammer“.

Die hohen Smog-Werte seien nicht verwunderlich, wenn man bedenkt wie viele alte Autos und Diesel-Tuk-Tuk täglich durch Indien und insbesondere Neu Delhi tuckern, so Naveen. „Das Verkehrsministerium zählte im Jahr 2015 durchschnittlich 229 Millionen Fahrten täglich in Indien, 20 Prozent davon werden mit Tuk-Tuk erledigt.“ Ohne diese Autorikschas liefe nämlich gar nichts in Städten wie Mumbai oder Delhi, so der Autoingenieur. Das Vehikel ist nicht nur Taxi, sondern zugleich auch noch Familienkutsche, Schlepper für Waren und Güter sowie mobile Ladenfläche – ein typisch indisches Gefährt mit hohem Luftverschmutzungspotenzial.

Kleine Schritte

Die Regierung hat bereits erste Schritte unternommen, um Indien vor dem Ersticken zu retten und erklärt, dass ab dem Jahr 2030 alle neu verkauften Autos mit einem elektrischen Antrieb ausgestattet sein müssen. Das sei ein guter Ansatz von oben, meint Naveen. Aber Gesetze und Anordnungen müssten von den Bürgern erst verstanden werden, damit diese sie auch akzeptieren könnten. Daher müsse erst ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, Menschen müssten realisieren, dass nur sie diejenigen sind, die die Erde vor dem Smog-Kollaps retten können: „Das muss man ihnen eben zeigen.“

Genau das hat der Autoingenieur mit seinem Projekt 2016 vor. Er entscheidet sich dazu, eine dieser tuckernden Autorikschas umzubauen, so dass sie komplett elektrisch fährt, getrieben von Solarenergie. Damit möchte er von Bangalore in Indien nach London fahren. Er investiert sein Gespartes von 6.500 US-Dollar, kauft eine alte, zerbeulte Rikscha und baut das Gefährt vor Ort in Indien um, gemeinsam mit einem Team aus Freiwilligen. „Teilweise hatten wir gar keine Garage oder Werkstatt, haben unter freiem Himmel geschraubt. Und genau das war wichtig, denn so konnten wir den Menschen zeigen, dass jeder und überall die Chance hat, etwas zu ändern“, berichtet Naveen. „Man muss nicht darauf warten, bis eine große Firma kommt und jemandem etwas gibt, sondern man kann alles auch selbst machen. Man muss nur wollen.“

Gesagt, getan: Eben ohne große Unterstützung, bis auf die Hilfe einiger Sponsoren, rüstet der Profibastler das Vehikel um. Drei große Lithium-Ionen-Batterien speisen schon bald den Elektromotor. Sind die Akkus leer, hält Naveen an einer Steckdose und lädt sie auf. Mit einer vollen Batterie, nach einer Ladezeit von acht Stunden an der Dose, und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 40 Kilometern pro Stunde, schafft der Umweltschützer mit seinem etwa 800 Kilogramm schwerem Gefährt 65 bis 85 Kilometer. Sollte keine Steckdose zu finden sein, „was oft der Fall war“, so Naveen, fährt er einfach das Solardach aus. „Wenn man so langsam reist, merkt man erst, wie schnelllebig unsere Welt geworden ist. Das war Entschleunigung pur“, sagt Naveen.

Der Startpunkt in Indien ist klar, so auch das Ziel: London. „Ich weiß nicht warum, aber schon als Kind hatte ich immer den Traum, von Indien nach London zu fahren“, begründet Naveen Start und Ziel seiner Reise. Die Route führt über den Iran. Von dort aus geht es weiter durch die Türkei, Bulgarien, Serbien, Österreich, Schweiz, Deutschland, Frankreich und endlich nach Großbritannien.

Gute Menschen

Auf seiner Reise habe er die meiste Zeit in seinem Tuk-Tuk verbracht, habe dort gegessen und geschlafen. Außer wenn man ihm ein Bett und eine Mahlzeit angeboten habe, denn auch das sei hin und wieder passiert. „In Isfahan habe ich Rahim den Schäfer kennengelernt“, erzählt Naveen. „Er hat mir ein wunderbares Abendessen zubereitet. Dafür wollte der Mann, der niemals eine Schule besucht und sich selbst ein ziemlich gutes Englisch beigebracht hatte, nur eine Sache – und zwar ein Buch“, erinnert sich der 37-Jährige. „Ich habe wirklich tolle Menschen während meiner Reise getroffen. Die wirklich einzige Ausnahme war der Vorfall in Paris.“

Aber auch diese Sache ist schnell vergessen: Sechs Tage nachdem Naveen Portemonnaie und Pass nahe Paris gestohlen worden waren, erreicht er einen kleinen Ort vor der Küste: „Es war spät Abends, gegen 23 Uhr, als ich in einer Bar ankomme, dem Manager meine Situation schildere und frage, ob ich eine Steckdose benutzen dürfe“, erläutert Naveen. Daraufhin nimmt ihn dieser wortlos am Arm, führt ihn nach draußen und zeigt auf einen Leuchtturm und meint, das dort sei seim Etappen-Ziel – Calais. „In diesem Moment war ich so glücklich wie noch nie. Der Leuchtturm zeigte mir nicht nur, dass ich fast da war, sondern, dass der Weg das Ziel ist. Immer und immer wieder.“

Ob sein Solar-Tuk-Tuk in Zukunft in Massen auf die Straßen von Indien kommen könnte – dafür sorgt, das die Luft und die Städte sauberer werden –, das kann und mag Naveen nicht prophezeien. Möglich sei es, aber nicht ohne viel Mühe und Arbeit. „Man müsste das Konzept natürlich noch weiter entwickeln, dem Stadtverkehr anpassen“, meint Naveen. „Aber das Tuk-Tuk der Zukunft wird solar getrieben sein, das ist sicher.“

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