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Beim Stupid Hackathon wird an möglichst sinnlosen Projekten gebastelt — gar nicht so dumm

von Sonja Peteranderl
Leuchtendes Hackfleisch. Eis, das bei jedem Bissen twittert. Tinder für Babies. Oder eine Drohne, die in Zukunft den Hebammen-Job übernehmen soll. Das sind die Ergebnisse von Stupid Hackathons.

Immer wurden Amelia Winger-Bearskin und Sam Lavigne zu Hackathons eingeladen, die sie überflüssig fanden. Deshalb starteten die beiden Künstler und Tech-Experten ihren eigenen, explizit dummen Hackathon. In New York hat das Duo bisher zweimal dazu aufgerufen „Stupid Shit No One Needs And Terrible Ideas“ zu produzieren — bald soll der „Stupid Hackathon“ auch nach Deutschland kommen.

Die Tech-Industrie ist voll von Selbstverherrlichung und Gepose.

Sam Lavigne

„Die Tech-Industrie ist voll von Selbstverherrlichung und Gepose und bei zu vielen Hackathons geht es darum, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Probleme zu lösen, die sich mit Technologie gar nicht lösen lassen“, sagt Lavigne. Winger-Bearskin ist genervt davon, dass viele nicht mehr an Hackathons teilnehmen, um gemeinsam neue Ideen voranzutreiben — sondern, um sich zu vermarkten. „Sie kommen mit Visitenkarten an, mit einem Marketingverantwortlichen und mit einem Projekt, an dem sie schon seit fünf Monaten arbeiten“, klagt sie.

Die Vision der beiden: Ein Hackathon ohne Konkurrenz, ohne Präsenz von Unternehmen, ohne Aussichten auf Jobs oder wertvolle Preise. „Unser Hackathon ist eine Kritik an der gesamten Tech-Branche und ein Raum für Spaß, der nicht durch einen Fokus auf Lösungen eingeschränkt ist“, sagt Lavigne. Einen Tag lang tüfteln die Teilnehmer beim „Stupid Hackathon“ an Ideen, die sich nur an zwei Regeln halten müssen: dumm sein, aber funktionieren. Im Barcamp-Stil organisieren die Teilnehmer parallel dazu Workshops — mit  Titeln wie „Being Alan Ginsberg for 30 minutes“, „Precious Moments“ über Dildos aus dem 3D-Drucker oder „How to fuck with my landlord“ mit Tipps, wie man seinen fiesen Vermieter mit unzähligen Reis-Bestellungen oder Fake-Anrufen auf dem Faxgerät nerven kann.

Alle Projekte besitzen ein kritisches Element und enthüllen die Nutzlosigkeit ihrer Gegenstücke aus der‚realen Welt‘.

Amelia Winger-Bearskin

Die bizarren, teilweise kritischen Ideen, die beim Stupid Hackathon entstehen, findet Winger-Bearskin faszinierend. Zum Beispiel die Konstruktion von Matt Romein und Sam Sadtler, die eine Webcam so in eine Oculus Rift-Datenbrille integriert haben, dass sie sich in einen virtuellen Rückspiegel verwandelt. „Wenn du das als Idee pitchen würdest, klingt das witzig, aber wenn du damit herumläufst und alles siehst, was hinter dir ist, ist es überwältigend und total verwirrend“, sagt Winger-Bearskin. „All diese Projekte besitzen ein kritisches Element, und enthüllen die Nutzlosigkeit ihrer Gegenstücke aus der „realen Welt“.

Der „Stupid Hackathon“ stößt auch in Berlin auf Begeisterung: „Es ist ein spannender Twist des klassischen Hackathons, komplett unterschiedliche Menschen zusammenzubringen, um Innovationslosigkeit und schlechte Ideen zu produzieren“, sagt Julia Kloiber von „Code for Germany“. Mit ihrer Kollegin Fiona Krakenbürger hat sie in den vergangenen Jahren zahlreiche klassische Hackathons veranstaltet, um Entwickler mit Städten und Gemeinden zu vernetzen – nun wollen die beiden den Stupid Hackathon zusammen mit den New Yorkern nach Berlin importieren. „Gerade in Deutschland, wo es krampfhaft darum geht, Innovationen zu finden, um Wirtschaftsförderung zu bekommen, ist es spannend, sich einmal davon zu lösen — und etwas ohne Ziel zu machen“, sagt Kloiber.

Der erste deutsche „Stupid Hackathon“ soll im Frühjahr in Berlin stattfinden.

Der erste deutsche „Stupid Hackathon“ soll im Frühjahr in Berlin stattfinden, Interessenten können sich jetzt schon auf einer Mailingliste eintragen. „Es ist interessant zu sehen, wie sehr die Leute darauf abgehen, dass etwas keinen Fokus hat und man völlig freidrehen kann“, sagt Kloiber.

Sinnlosigkeit zum Ideal zu erheben, ist nicht neu: Auch Veranstaltungen wie die GeekCon in Israel setzen auf „unnütze, aber nicht dumme Ideen“, wie der Mitgründer Gilli Cegla betont — schon seit zehn Jahren. 2004 wollten junge IT-Experten nicht mehr auf die nächste Tech-Konferenz warten, sie gründeten ihr eigenes Summercamp für Geeks, bei dem Gleichgesinnte jedes Jahr 52 Stunden lang an Projekten tüfteln. Das Camp ist beliebt, aber bis heute missverstanden: „Viele Leute haben damals nicht verstanden, wovon wir eigentlich reden, manche tun es bis heute nicht“, sagt Gilli Cegla. Er findet: „Nutzlose Projekte zu schaffen, kann die Kreativität anregen und hilft bei der Lösung von multidisziplinären, komplexen technischen Herausforderungen — und es reißt die Leute aus ihrem Arbeitsalltag heraus.“ Das Ergebnis: Projekte wie ein Hummus-3D-Printer oder ein menschlicher Pacman.

Die Vernetzung ist wichtiger als das entstehende Produkt.

Im Gegensatz zum Stupid Hackathon ist die GeekCon aber zugangsbeschränkt: Fast 400 Interessenten hatten sich für die 2014er Ausgabe beworben, nur die Hälfte wurde ausgewählt. Einige der besten Entwickler und Hacker Israels sollen inzwischen jedes Jahr in das Camp kommen. Große IT-Konzerne wie Intel, Google, Microsoft oder Yahoo haben längst entdeckt, dass sich hier IT-Talent versammelt — und treten als Sponsoren auf. Die GeekCon ist nicht profitorientiert, die Macher wollen unabhängig bleiben. Der Spaßfaktor steht im Vordergrund, gleichzeitig ist das Sommercamp für Geeks längst ein Karrieresprungbrett. „Ein paar Leute haben danach gekündigt und Startups gegründet, neue Teams haben sich gefunden und manche Teilnehmer haben neue Jobs gefunden“, sagt Gilli Cegla.

Die Vernetzung soll auch auf dem Stupid Hackathon in Berlin wichtiger sein als das entstehende Produkt — aber die Veranstaltung soll offen für alle sein. Julia Kloiber findet es gerade spannend, dass IT-Expertise keine Voraussetzung ist, um dumme Ideen zu produzieren: „Es ist ein Hardware-Hackday, für den man keine Software-Kenntnisse braucht“, sagt sie. So könnten Menschen zusammenkommen, die unterschiedliche Perspektiven haben, in verschiedenen Branchen arbeiten, sich einfach einen Tag lang austoben wollen. „Es ist eine Chance, neue Leute dazu zu bekommen: Leute aus der Kunstszene, Designer“, glaubt Kloiber.

Kloiber und Krakenbürger überlegen sich gerade möglichst dämliche Preise für die dümmsten Ideen, die in Berlin entstehen werden. Projektteilnehmer des Stupid Hackathons in New York wurden zum Beispiel mit einem Praktikum in einer Social Media-Agentur belohnt — natürlich bezahlt. 

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