Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Das Max-Planck-Institut manövriert Menschen mit 500 PS durch die Luft

von Anna Schughart
Bewegungssimulatoren können normalerweise nicht viel mehr, als hin und her zu kippen. Nicht gerade ideal, wenn man herausfinden möchte, wie sich Menschen in der dritten Dimension orientieren. Der Seilroboter des Max-Planck-Instituts soll es besser machen.

Wie nimmt unser Gleichgewichtsorgan Bewegungen in der Horizontalen wahr? Ist unser Bewegungssinn genauso gut, wenn wir uns nach oben bewegen, wie wenn es zur Seite, vorwärts oder rückwärts geht? Heinrich Bülthoff vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik möchte diese Fragen beantworten. Seit kurzem haben sein Team und er dabei ganz neue Möglichkeiten: Mithilfe eines Seilroboters können sie erforschen, wie Menschen sich in der dritten Dimension orientieren. WIRED hat mit Bülthoff über die Erfindung gesprochen.

WIRED: Wie genau muss man sich Ihren Seilroboter vorstellen?
Heinrich Bülthoff: Seilroboter kennt man von Fußballübertragungen: Eine an Seilen aufgehängte Kamera schwebt über das Feld und filmt das Spiel. Dabei wird sie über große Strecken sehr schnell und genau bewegt. Unser Seilroboter funktioniert nach dem gleichen Prinzip – nur, dass wir auf diese Art zum ersten Mal einen Menschen auf großem Raum durch die Luft bewegen können.

WIRED: Und wie macht der Roboter das?
Bülthoff: Genau genommen ist der Seilroboter eine offene Kabine, die über Stahlseile mit den Ecken des Versuchsraumes verbunden ist. Jeder Strang mündet in einen starken Elektromotor. Damit lässt sich die Kabine mit hoher Geschwindigkeit in alle Richtungen bewegen: nach oben, nach unten und in jede andere Richtung.

WIRED: Klingt so, als könnte einem da ganz schön schwindelig werden.
Bülthoff: Das Gefühl im Seilroboter lässt sich mit einem Helikopter-Flug vergleichen. Auch ein Hubschrauber kann sich in alle Richtungen neigen, er kann beschleunigen und abbremsen. Ich fliege selbst Helikopter und habe Spaß daran, mich durch die dritte Dimension zu bewegen.

WIRED: Warum ist Ihr Seilroboter einzigartig?
Bülthoff: Wir haben natürlich auch schon früher Experimente mit Bewegungssimulatoren gemacht. Das sind meistens riesige Geräte, die auf einer Plattform stehen, die man kippen und bewegen kann, aber der Arbeitsbereich ist beschränkt – so kann man die Plattform nur circa anderthalb Meter bewegen. Der Seilroboter hat dagegen einen viel größeren Arbeitsraum und kann in jeder Richtung Bewegungen auf sechs bis acht Meter simulieren. Er hat eine Gesamtleistung von bis zu 500 PS und kann so auf mehr als 1,5 G beschleunigen.

Mich interessiert, wie der Mensch etwas lernt, was er seiner Natur nach nicht kann: fliegen

Heinrich Bülthoff

WIRED: Und muss dann ziemlich schnell wieder abbremsen, oder?
Bülthoff: Natürlich können wir nur kurzfristig beschleunigen. In einem Raum von 15 x 12 x 8 Metern ist man mit diesen starken Beschleunigungen nach ein bis zwei Sekunden ja schon fast an der Raumgrenze angelangt. Damit wir sicher abbremsen können und die Versuchsperson nicht gegen die Wand fahren, mussten wir viele Sicherheitsmodalitäten entwickeln.

WIRED: Was wollen Sie jetzt mithilfe des Seilroboters herausfinden?
Bülthoff: Mich interessiert, wie der Mensch etwas lernt, was er seiner Natur nach nicht kann: fliegen. Beim Gehen etwa bewegen wir uns in zwei Dimensionen. Das Gleichgewichtsorgan in unserem Ohr kann aber Beschleunigungen in alle Richtungen wahrnehmen. Zu Raumwahrnehmung und Navigation in 2D wurde schon viel geforscht. Mit unserer Konstruktion können wir jetzt Bewegungen in 3D simulieren und analysieren, wie sich Menschen darin orientieren. Was passiert im Gehirn, wenn wir eine Aufgabe wie das Steuern eines Helikopters lösen? Was sind die kleinsten Bewegungen, die wir noch registrieren können?

WIRED: Und haben Sie auf diese Fragen schon erste Antworten?
Bülthoff: Vor einigen Wochen haben wir mit den ersten Experimenten begonnen. Mein Doktorand Thomas Hinterecker wollte herausfinden, wie gut Menschen mit verbundenen Augen – also nur mithilfe der Signale ihrer Beschleunigungssensoren im Innenohr –  abschätzen können, wie weit sie im Raum bewegt wurden. Die ersten Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Menschen Distanzen in der Horizontalen mit höherer Präzision berechnen können als in der Vertikalen.

WIRED: In anderen Experimenten setzen Sie auch Virtual-Reality-Brillen ein. Wozu?
Bülthoff: Wir wollen herausfinden, wie die Raumwahrnehmung mit anderen Sinnen gekoppelt ist. Normalerweise nehmen Menschen Bewegung vorwiegend über die Augen wahr. Deshalb nutzen wir bei unseren Experimenten Virtual-Reality-Brillen. So können wir die physikalische Bewegung im Simulator gegen die virtuelle Bewegung in der VR-Brille ausspielen. Welchen Beitrag zur Bewegungswahrnehmung liefert das Innenohr, wie viel vom Sehsystem? Wir nutzen dazu auch Game-Engines, mit denen wir relativ realistische Welten für unsere Experimente generieren können.

WIRED: So wie in einem Flug- oder Fahrsimulator?
Bülthoff: Tatsächlich werden wir den Roboter auch als Flugsimulator für Helikopterpiloten und für Fahrsimulationen einsetzen. So können wir zum Beispiel das Training von Piloten verbessern und realistischere Fahrsimulationen möglich machen.

GQ Empfiehlt
Wen sollten autonome Autos opfern?

Wen sollten autonome Autos opfern?

von Chris Köver