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Bietet der Cliqz-Browser mehr Schutz für eure Daten?

von Karsten Lemm
Fast 60 Prozent der User surfen mit Chrome durchs Netz. Dabei gibt es reichlich Alternativen. Wir haben uns zwei vielversprechende Neulinge angesehen und mit den Entwicklern gesprochen. Teil 1: Cliqz, der Browser für alle, die sich gegen Datenkraken wehren wollen.

Als Google vor acht Jahren seinen eigenen Browser vorstellte, gehörte das Web noch Microsoft: Internet Explorer war die klare Nummer eins, gefolgt von Firefox und – im Rückspiegel kaum sichtbar – Opera und Apples Safari. Doch Google wollte mehr sein als eine Suchmaschine und wettete darauf, durch seinen eigenen Chrome-Browser auch neue Nutzer für Web-Dienste wie Gmail und Google Docs zu finden.

Die Rechnung ging auf, auch dank der Dominanz von Android auf Mobilgeräten. Heute ist Chrome mit knapp 60 Prozent Marktanteil der unbestrittene Dominator im Netz – und alle, die beim Surfen eingeloggt bleiben, liefern Google fleißig Daten zu. Safari hat derweil mit Hilfe der Popularität des iPhones Platz zwei erobert, während Firefox und Internet Explorer (seit Windows 10 Edge genannt) deutlich zurückgefallen sind. 

Neuerdings aber regt sich Widerstand gegen die Übermächtigen aus Kalifornien: Cliqz aus München und das internationale Projekt Vivaldi haben sich in Stellung gebracht, um jenseits des Mainstreams Nutzer zu gewinnen, die nach Alternativen suchen. Wir haben mit den Entwicklern gesprochen und uns beide Browser näher angesehen. 

 

Teil 1: Cliqz – mehr Schutz für die Privatsphäre

Kaum eine Handlung im Netz bleibt unbeobachtet. Fast alle großen Websites (auch WIRED.de) nutzen Cookies und andere Verfahren, um zu messen, wie oft Besucher vorbeischauen, woher sie kommen und welche Inhalte sie interessieren. Anzeigenvermarkter wie Adnexus oder Googles DoubleClick und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter folgen einem quer durchs Netz. 

Die gesammelten Daten sollen helfen, Werbung auf den Geschmack von Nutzern abzustimmen: Wer oft Kicker und 11 Freunde besucht, bekommt eher Anzeigen für Sportschuhe zu sehen als für Sofas. „Google kann Nutzer auf über 80 Prozent der Websites identifizieren“, stellten Princeton-Forscher bei einer umfangreichen Untersuchung fest.

Vielen Menschen ist dieses Tracking nicht geheuer, und Cliqz verspricht besseren Schutz vor der allgegenwärtigen Verfolgung. Der Browser, der aus einer populären Firefox-Erweiterung hervorgegangen ist, verwischt die Spuren, die Surfer im Netz hinterlassen: Statt Tracker grundsätzlich zu blockieren, wie es etwa die beliebte Browser-Erweiterung Ghostery tut, prüft Cliqz, welche Daten übermittelt werden – und verändert sie bei Bedarf. 

Dabei gilt die Grundregel: Alles, was Rückschlüsse auf den Einzelnen erlaubt, macht der Browser unkenntlich, lässt aber Informationen durchgehen, die auf zahlreiche Nutzer zutreffen und deshalb aus Sicht der Entwickler unproblematisch sind. Diese Methode habe den Vorteil, seltener zu Fehlern zu führen, weil der Cliqz-Filter weniger radikal in die Abläufe eingreife als herkömmliche Blocker, sagt Jean-Paul Schmetz, Gründer und Geschäftsführer der Münchner Firma: „Mit Cliqz funktioniert alles wie gewohnt – nur das Tracking wird unterbunden.“

Um zu entscheiden, wann der Filter wie stark eingreifen soll, wertet Cliqz allerdings selbst Nutzerdaten aus, streng anonymisiert, wie die Entwickler versichern. So kann der Algorithmus etwa entscheiden, ob die Übermittlung des Gerätetyps unbedenklich ist, weil Tausende von Surfern mit demselben Smartphone oder Laptop unterwegs sind, oder ob sie unterbunden werden sollte.

„Human Web“ nennt Cliqz dieses Verfahren und beteuert, niemand müsse sich wegen der Analyse Sorgen machen: „Deine Privatsphäre ist uns heilig. Cliqz erhebt keine persönlichen Daten.“ Technisch Versierten erlauben die Entwickler mit dem Transparenz-Cockpit einen Blick unter die Haube: Die Funktion zeigt live, welche Informationen der Browser an Cliqz übermittelt. „Wir sagen nicht: ,Glaubt uns bitte‘, sondern ,Schaut euch die Daten an‘“, erklärt Schmetz. Wer trotzdem Bauchschmerzen hat, kann wählen, am Human Web nicht teilzunehmen. Ebenso ist es möglich, Tracker über die Einstellung „Streng“ komplett zu blockieren, ähnlich wie bei Ghostery & Co. 

Alternativen zum eigenen System lässt Cliqz dagegen nicht zu. Obwohl der Browser auf Firefox basiert, akzeptiert er generell keine Erweiterungen. Dadurch sind Tausende von Hilfsprogrammen („Add-ons“) aus der Firefox-Bibliothek mit Cliqz nicht zu gebrauchen. Schmetz verteidigt die Entscheidung mit höherer Sicherheit: „Wir haben uns etliche Add-ons angeschaut, und viele werden unbewusst installiert, ähnlich wie ein Virus. Es gibt keine sicheren Browser-Erweiterungen.“

So sind Cliqz-Nutzer auf Bordmittel angewiesen. Ein Cookie-Manager fehlt, aber zumindest einen Werbeblocker – derzeit noch im Beta-Stadium – bringt der Browser mit. Er lässt sich bequem über ein Menü neben der Adressleiste an- und ausschalten, genau wie der Tracking-Filter. Allerdings sind die Einstellmöglichkeiten bisher sehr rudimentär. Seine Firma sei noch dabei, den besten Weg für einen fairen Werbeblocker zu finden, erklärt Schmetz: „Das Problem ist ja nicht Werbung an sich, sondern die Verletzung der Privatsphäre.“ Da viele Websites auf die Werbeeinahmen angewiesen sind, sei ein pauschales Ausblenden der Anzeigen „eine sehr schwierige Entscheidung“.

Hinter dem Drahtseilakt der Entwickler steht sicher auch, dass Cliqz mehrheitlich dem Medienkonzern Burda gehört, der eigene Angebote wie Focus Online und Bunte.de ebenfalls weitgehend durch Werbung finanziert. Mit einer Minderheitsbeteiligung ist seit kurzem auch die Mozilla Foundation an Bord, die hinter Firefox steht. Als Ziel der Zusammenarbeit nennen die Partner die „Entwicklung innovativer Produkte im Bereich Datenschutz bei der Suche im Internet“.

Den Anfang macht die hauseigene Suchmaschine, die Cliqz mitbringt. Gleich beim Eintippen eines Begriffs in die Adresszeile beginnt der Browser, Vorschläge zu machen und zeigt bis zu drei Top-Treffer an. Als Basis für die Ergebnisse dienen Statistiken aus dem „Human Web“. Was relevant ist, beurteilt Cliqz im Wesentlichen danach, wie viele Nutzer früher schon Ähnliches gesucht und welche Websites sie dann besucht haben.

Das funktioniert gut, solange es um allgemeine Fragen nach dem Wetter, Wechselkursen oder Wikipedia-Einträgen geht. Bei komplexeren Anfragen zeigt Cliqz sich dagegen oft ratlos und leitet Nutzer an herkömmliche Suchmaschinen weiter. Dazu genügt es, ein zweites Mal die Return-Taste zu drücken, und wer will, kann über Kurzbefehle wie #go, #bi oder #du bestimmte Suchmaschinen direkt ansteuern, etwa Google, Bing oder DuckDuckGo.

Mit der eigenen Suchmaschine will Cliqz eines Tages auch Geld verdienen, nach der gleichen Methode wie Google: mit Anzeigen, die neben den Suchergebnissen erscheinen. „An dem Prinzip gibt es grundsätzlich nichts auszusetzen“, sagt Schmetz. Zum gläsernen Surfer würden Nutzer nur durch konsequentes Datensammeln. Cliqz aber vergesse alles immer gleich wieder: „Wir speichern Ihre Suchanfragen nicht“, versichert der Cliqz-Chef.

Das WIRED-Urteil:
Cliqz ist eine interessante Alternative zu den bekannten Browsern. Das Konzept ist gelungen umgesetzt: Der Browser zeigt auf einen Blick, wie viele Tracker die besuchte Website einsetzt, und erlaubt es, den Schutz bei Bedarf gezielt zu deaktivieren. Nur begrenzt hilfreich ist dagegen die eigene Suchmaschine, die erkennbar noch in den Anfängen steckt. Schmerzlich bemerkbar macht sich in vielen Situationen, dass Cliqz keine Erweiterungen zulässt. Für fortgeschrittene Nutzer, die bestimmte Cookie-Manager, Video-Helfer oder andere Add-ons verwenden möchten, eignet Cliqz sich daher nur als Zweit-Browser.

Cliqz ist erhältlich für Windows-, Mac- und Linux-Rechner sowie mobil für iOS- und Android-Smartphones.

In Teil 2 lest ihr unseren Test von Vivaldi, den Browser für Individualisten.

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