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Digital ist besser / Snapchat ist das neue YouTube

von GQ
Neugier, Enthusiasmus, Selbermachen statt Konsumieren: Für unseren Kolumnisten ist Snapchat die perfekte Antwort auf Youtube. Begreift das doch endlich!, ruft er mit seiner aktuellen Kolumne. „Kein anderer Dienst wird die kommenden Internet-Jahre in Sachen Kommunikation und Vermarktung so beeinflussen.“

Das geht vorbei. Das ist ein Hype. Das ist Unsinn, Quatsch, interessiert keinen. Da sind nur ein paar Jugendliche, und die gehen ja bekanntermaßen schnell auch wieder woanders hin.

Das sind Aussagen, die man 2007 zum Start von Twitter und ein Jahr später beim Launch der deutschen Version von Facebook hören konnte. Und die nun in Bezug auf Snapchat von denen kommen, die sich ein Leben ohne Facebook oder Twitter kaum noch vorstellen können. Von denen, die sogar ihr Geld damit verdienen, Unternehmen einen Platz im Social-Media-Himmel zu verkaufen.

Dabei wird Snapchat hierzulande massiv unterschätzt. Was man auch daran sehen kann, dass es noch keinen Snapchat-Klon aus Deutschland gibt (oder habe ich etwas übersehen?).

Deutsche sind Gewohnheitsmenschen, neuer ist ihnen nicht geheuer

Kein Wunder: Laut Global Web Index nutzten Deutsche zu Beginn des Jahres 2015 einen, sehr selten auch mal zwei verschiedene Social-Media-Dienste regelmäßig. In Vietnam, der Türkei, Indien, Thailand, Südafrika und China sind es mindestens drei, oft vier Accounts, die bespielt werden, und bei den vorhandenen, aber weniger genutzten Konten gehen die Zahlen noch weiter auseinander.

Wir sind Gewohnheitsmenschen hier, neuer ist uns nicht geheuer. Das muss gar nichts Schlechtes sein, zeigt aber, woher das Misstrauen und Abwarten gegenüber Snapchat rühren.

Ich hingegen lehne mich nach einer Eigentestphase gern so weit aus dem Fenster, dass ich fast hinausfalle, und behaupte: Snapchat ist das neue YouTube. Vielen Leserinnen und Lesern wird das schnuppe sein, denn sie haben schon die unfassbare Reichweite und Wichtigkeit von YouTube seit Jahren missachtet. Doch ich glaube, dass kein anderer Dienst die kommenden Internet-Jahre in Sachen Kommunikation und Vermarktung so beeinflussen wird wie Snapchat.

Ja, das liegt auch an Integrationen wie Snapcash, mit denen Nutzerinnen und Nutzer ihren Kontakten ebenso schnell eine Summe Geld zukommen lassen können wir ein Emoji; es liegt auch an den angekündigten E-Commerce-Optionen, bei denen Snapchatter Produkte direkt in der App kaufen können. Viel mehr aber bewegt mich die generelle Aufstellung von Snapchat zu Neugier und einem gewissen Enthusiasmus.

Snapchat gehört neben einigen Messenger-Diensten zu den ersten Social Networks, die auf mobilen Devices gestartet sind und bisher keine Browser-Version haben. Weil sie keine brauchen. Weil nämlich niemand unter 25 weiß, was ein Webbrowser überhaupt ist. Das digitale Leben der jungen Generation findet in Apps statt, nicht im Web.

Wer Snapchat nur passiv konsumiert, hat wenig Spaß an der App

Außerdem ist der Fokus von Snapchat einzigartig. Der Home-Screen ist die Kamera des mobilen Geräts, die eigene Produktion von Content steht im Vordergrund. Wer Snapchat nur passiv konsumiert, hat wenig Spaß an der App. Das von vielen Expertinnen und Experten gescholtene und als grausam bewertete User Interface der App spiegelt in Wahrheit Nutzungsgewohnheiten einer jungen Netzgeneration wider, die mit Links und Klicks nichts anzufangen weiß und stattdessen swipt und tappt und gedrückt hält – 3D-Touch wird in den kommenden Jahren auf allen Smartphones vorhanden sein.

Wer jemals Jugendliche beim einhändigen Wisch-Navigieren mit dem Daumen durch ihre diversen Apps beobachtet hat, erkennt den Unterschied zu Erwachsenen, deren Zeigefinger der einen Hand suchend über dem Screen schweben, während die andere das Gerät hält. In Snapchat zoomt man mit der Kamera, indem man den Finger auf dem Aufnahmeknopf lässt und von dort nach oben zieht. In allen anderen Apps muss man per „Pinch and zoom“ mit zwei Fingern und somit mit zwei Händen arbeiten. Alles im Interface von Snapchat ist auf die einhändige Bedienung ausgerichtet und damit auf die Zielgruppe, die den Dienst so erfolgreich gemacht hat.

Ich wüsste gerne, wer alles versucht, Snapchat zu kaufen. Ein Angebot in Höhe von drei Milliarden Dollar von Facebook wurde bereits ausgeschlagen, das letzte Wort ist aber sicher noch nicht gesprochen. Der Netzromantiker in mir hofft dabei, dass Snapchat mit den vorhandenen und beachtlichen eigenen Fundings ein zusätzlicher Player auf dem Markt bleiben und nicht von einem etablierten Platzhirschen geschluckt wird.

Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass YouTube jemals jemand Konkurrenz machen könnte?

Und obwohl der verbitterte Realist in mir weiß, dass es am Ende nicht um Kreativität oder Spaß, sondern ums schnöde Geld geht, hoffe ich auf ein paar weitere kreative neue Features der App, die seit vielen Jahren zu den ersten gehört, die Messaging- und Kommunikationsdienste nicht einfach nur in ein neues Gewand gesteckt, sondern tatsächlich neu definiert haben.

Der Dienst verzeichnet derzeit zehn Milliarden Video Views pro Tag, womit auch kürzeste Clips gemeint sind. Selbst, wenn diese bei YouTube länger sein sollten: Die Google-Tochter liegt mit vier Milliarden bereits jetzt weit dahinter. Ich bleibe dabei: Snapchat ist das neue YouTube. Und wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass dem Video-Giganten jemals jemand Konkurrenz machen könnte?

Letzte Woche bei „Digital ist besser“: Ihr wollt Snapchat doch gar nicht verstehen! 

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