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Diese Studenten bauen einen Aufzug ins All

von Moritz Geier
Ein 36.000 Kilometer langer Lift ins All soll Raketen überflüssig machen. Bei der European Space Elevator Challenge in München präsentierten Studenten selbstgebaute Modelle für einen solchen Weltraumaufzug. WIRED war dabei.

Kaishu Koike atmet noch mal tief durch, dann gibt er mit einem kurzen Winken das Startsignal. Er blickt nach oben, blinzelt gegen die gleißende Mittagssonne. Über ihm schwebt in 100 Meter Höhe ein weißer Heliumballon, festgehalten von ein paar Seilen und einem gelben, im Boden befestigten Kevlarband, dem besonders reißfesten Material. Das schuhkartongroße Gerät, das Koike gerade an diesem Band befestigt hat, meldet sich mit einem Surren, dann knackt es und das Gerät rauscht mit einer Geschwindigkeit von fast zehn Metern pro Sekunde nach oben.

Kurze Zeit später sitzt Koike, 19 Jahre, schwarzes Hemd, schwarze Hose, auf einer schattigen Bierbank und starrt auf seinen Laptop. Für fünf Tage ist er aus Japan nach Deutschland gereist, um auf einer Wiese hinter dem Forschungszentrum der Technischen Universität München in Garching an der European Space Elevator Challenge teilzunehmen. Jetzt ärgert er sich. Tuna, so heißt sein Modell wegen der thunfischartigen Form, hat den Heliumballon schnell erreicht. Aber die Fahrt nach unten verlief nicht nach Plan: Erst blieb das Gerät auf halber Strecke komplett stehen, dann schob es sich nur noch im Zeitlupentempo nach unten.

Drei Studententeams aus Japan und Deutschland sowie zwei deutsche Schülerteams sind an diesem drückend heißen Septembertag zusammengekommen, um eigene Modelle von etwas zu präsentieren, das es wohl auch in naher Zukunft noch nicht geben wird: einen Weltraumaufzug. Es ist ein Konzept, das verlockend einfach klingt: Ein extrem starkes Band hängt von einem Satelliten herunter, 36.000 Kilometer bis zur Erdoberfläche, gespannt allein durch Gravitation und Fliehkraft. An diesem Band könnte sich, so die Idee, ein Aufzug nach oben schieben, der Nutzlasten wie Ausrüstung und Proviant für die ISS sicher und umweltfreundlich ins All befördert – viel günstiger als Raketen das können.

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Auf der Wiese in Garching wummern Elektrobässe aus aufgestellten Lautsprechern, aber Koike steht der Sinn gerade nicht nach Sommerparty. Er starrt noch immer auf seinen Laptop, auf dem Bildschirm formieren sich Zahlen und Tabellen wie Truppen auf einem Schlachtfeld. „Es ist etwas komplett Unerwartetes passiert“, sagt er. Sensoren in seinem Aufzuggerät haben Daten gemessen, die ihm den vermasselten Abstieg erklären sollen: Maximalgeschwindigkeit beim Aufstieg: 9,6 m/s. Getragenes Gewicht: 2,47 kg bei 2,7 kg Eigengewicht. Verbrauchte Energie: 7,2 Kilojoule oder 2 Wattstunden. Alles in Ordnung, der Fehler liegt woanders: „Tuna war einfach zu schnell“, sagt Koike, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen. Mit sechs Metern pro Sekunde habe das Modell beim Abstieg das Softwarelimit überschritten, ein Notfallmechanismus habe das Gefährt per Notbremse gestoppt, erklärt er.

Die Konstruktion eines Weltraumaufzugs hat einige Tücken und mit ihren Modellen machen die Studenten diese Erfahrung im Kleinformat. Ist der Lift ins All also nur Science-Fiction? „Es ist nicht unmöglich“, sagt Martin Lades vom International Space Elevator Consortium. Er ist Physiker und Mitglied der Jury, die die Konstruktionen der Schüler und Studenten bewertet – mit einem Fokus auf Geschwindigkeit, Energieverbrauch und Konstruktionsqualität. Er glaubt, dass es irgendwann einen Weltraumaufzug geben kann. Das Hauptproblem sei nicht das Gefährt, sondern das Seil.

„Es gibt noch kein Material, das stark und leicht genug ist, sein eigenes Gewicht bis zum Boden zu tragen“, sagt Lades. Zwar gebe es zum Beispiel Spectra, das Wissenschaftlern Hoffnung macht, aber noch sei ein geeignetes Material nicht entwickelt worden. Auch die Produktion eines derart langen Seils sei im Moment kaum möglich. Weitere Hürden: rechtliche Fragen und die Energieversorgung. Letztere könne mit dem Einsatz von Solarzellen gewährleistet werden, glaubt Lades, und mit Techniken wie Power Beaming, also Laserstrahlen von der Erdoberfläche als Antrieb.

Dass in die Forschung für den Weltraumaufzug weltweit viel Geld gegeben werde, habe einen guten Grund: „Ein Aufzug würde eine Infrastruktur schaffen, mit der der erdnahe Orbit viel besser erschlossen werden kann. Man könnte öfter und mehr Material und Personal nach oben bringen“, so Lades.

Koike hat mittlerweile den Laptop zugeklappt, auf dem Tisch vor ihm liegt Tuna zwischen Kabeln, Schrauben, Werkzeugkisten und Spezi-Flaschen. Neben ihm sitzen seine Kollegen Yurina Higuchi und Takuro Sasaki, sie sind das jüngste Team im studentischen Wettbewerb. Koike hat nicht das energieeffizienteste Gefährt gebaut, auch nicht eines wie die Studenten der TU München, deren Aufzug das Vierfache seines eigenen Gewichts trägt.

Aber er hat das mit Abstand schnellste Modell konstruiert. In Japan studiert er Maschinenbau an der Nihon University. Acht Monate hat die Entwicklung von Tuna gedauert, zusammengesetzt hat er den Prototyp in nur zwei Wochen. Doch zwei Monate vor dem Wettbewerb kapitulierte seine Technik, Teile schmolzen. Er musste den von Akkus betriebenen Motor komplett austauschen.

Jetzt blickt Koike auf seine Konstruktion Tuna, auf die schwarze Karbonverkleidung knallt das Sonnenlicht. Für ihn sei die Idee des Weltraumaufzugs nur Science-Fiction, sagt er, er würde ja gern daran glauben. Dann muss er lachen. Hier in Garching ist der Weltraum eben doch noch sehr weit weg.

Mehr zu den Teams der European Space Elevator Challenge findet ihr hier.

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von WIRED Editorial