Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Der medibus ist die fahrende Hightech-Arztpraxis für Geflüchtete

von Katharina Nickel
Mit dem medibus ist die erste mobile Impfaktion für Geflüchtete in Berlin gestartet. Das Besondere an der fahrenden Arztpraxis: Dolmetscher für 50 Sprachen lassen sich live per Video zuschalten.

Ab sofort können sich in Berlin lebende Geflüchtete direkt vor ihren Unterkünften impfen lassen. Die Charité-Universitätsmedizin und das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten haben das mobile Versorgungskonzept medibus entwickelt und zusammen mit der Deutschen Bahn, dem Telekommunikationsunternehmen Cisco und der SAVD Videodolmetschen GmbH realisiert. Nun wurde die fahrende Arztpraxis vor einer Notunterkunft in der Hauptstadt vorgestellt.

Der Prototyp ist ein von der Bahn umgebauter, etwa zehn Jahre alter Linienbus mit zwölf Metern Länge. Er ist in drei Bereiche eingeteilt: Neben dem Fahrersitz befindet sich die Rezeption und in der Mitte der Laborbereich, der auch für chirurgische Eingriffe genutzt werden kann. Im hinteren Bereich ist ein abgeschlossenes Arztzimmer eingebaut. „Mit einem Reisebus wäre der Umbau sicher auch gelungen, der Linienbus bietet jedoch mehr Barrierefreiheit”, sagte Christian Gravert, Leitender Arzt der Deutschen Bahn bei der Vorstellung. Wie in einer gewöhnlichen Arztpraxis könnten täglich 30 bis 40 Patienten im medibus behandelt werden.

Womöglich sind die Geflüchteten am Ende sogar besser geimpft als die Berliner selbst

Mario Czaja, Berliner Senator für Gesundheit und Soziales

„Es besteht eine große Impfbereitschaft unter den Flüchtlingen. Vielen ist die Notwendigkeit dieser Schutzmaßnahme bekannt“, sagte Mario Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales in Berlin. Viele hätten jedoch lediglich in der Erstuntersuchung einen Impfschutz bekommen. Daher sei es wichtig, präventive und nachhaltig Folgeimpfungen vorzunehmen. Außerdem müssten rund 20.000 geflüchtete Kinder in die Berliner Schulen integriert werden. Der Schulbesuch setze aber eine Impfung voraus, sagte Sandra Scheeres, Aufsichtsratsvorsitzende der Charité und Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft. 2000 Kinder konnten an einem Wochenende von der Charité bereits durchgeimpft werden, das Ziel sei letztlich eine Quote von 100 Prozent. „Womöglich sind die Geflüchteten am Ende sogar besser geimpft als die Berliner selbst“, so Czaja.

Für die IT-Infrastruktur des Busses sorgt Cisco. Hat sich der Patient an der Rezeption angemeldet, kann er sich mit jedem Smartphone per WLAN über einen QR-Code ein Video ansehen, das über die Impfung und den Bus informiert.

Im Beratungsgespräch mit dem anwesenden Arzt kommt dann das Wiener Dolmetscher-Unternehmen SAVD ins Spiel. Wenn aus dem Pool von etwa 50 Sprachen die jeweilige ausgewählt ist, werden Arzt und Patient direkt mit einem geeigneten Dolmetscher verbunden, und das innerhalb von maximal zwei Minuten. 750 Dolmetscher können per Bild und Ton im medibus zugeschaltet werden, 100 davon im Schichtdienst, 650 arbeiten im Home-Office. Um die Intimsphäre der Patienten zu schützen – beispielsweise, wenn sie für die Behandlung Kleidungsstücke ablegen müssen – kann die Bildschirmkamera ausgeschaltet werden.

„Für die Flüchtlinge ist es ein ganz anderes Gefühl, wenn ein Mensch aus ihrem Kulturkreis in ihrer eigenen Sprache real mit ihnen kommuniziert“, sagte Martin Kröger von Cisco. „Durch die Videokonferenzen können Sprachbarrieren abgebaut werden. Die Geflüchteten sollen verstehen, was bei der Untersuchung passiert.“ Solange eine LTE-Verbindung verfügbar sei, funktioniere das System problemlos und vor allem ruckelfrei.

Ute Hübler koordiniert als Dolmetscher-Supervisorin die Verfügbarkeiten ihrer Mitarbeiter. „Falls wir dennoch mal überlastet sind, kann ich mich mit unserem Concierge-Team in Verbindung setzen, das weitere Dolmetscher aus dem Bereitschaftsdienst hinzuholt“, sagte sie. 90 Prozent der Übersetzer säßen in Deutschland und Österreich, die übrigen seien über die gesamte EU verteilt.

+++ Mehr von WIRED regelmäßig ins Postfach? Hier für den Newsletter anmelden +++

„Arabisch und Syrisch werden am häufigsten gefordert “, berichtete Hübler weiter. „Doch in vielen Sprachen gibt es unterschiedliche kulturelle und regionale Ausprägungen und Dialekte. Arabisch ist nicht gleich Arabisch. Deshalb arbeiten wir fortlaufend an der Ausweitung unseres Dolmetscher-Netzwerks und können bereits für viele dieser Dialekte Übersetzer anbieten.“ Auch geschlechtsspezifisch stehen schon jetzt geeignete Dolmetscher bereit.

icon_cookie

Um diese Inhalte zu sehen, akzeptieren Sie bitte unsere Cookies.

Cookies verwalten

Narin Amar spricht bereits ein wenig Deutsch. Die 38-jährige Jesidin ist seit elf Monaten in Deutschland. Seit neun wohnt sie in einer Notunterkunft in Berlin-Charlottenburg. Sie findet den medibus sinnvoll. „Die Dolmetscher sind gut, sie erleichtern vor allem den älteren Bewohnern die Kommunikation.“ In der Hand hielt sie ihren gelben Impfpass, den bekommen nach der Impfung alle Geflüchteten.

Noch bis Ende des Jahres ist der medibus-Prototyp in Berlin im Einsatz. Er wird aus Mitteln des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten finanziert und kostet pro Tag 350 Euro. Bewährt sich das Modell, könnte es deutschlandweit eingesetzt werden, auch außerhalb von Flüchtlingsunterkünften. „Die medizinische Versorgung im ländlichen Raum ist bisher unzureichend, vor allem, weil viele Ärzte in die Städte abwandern“, erklärte Mirko Bass von Cisco. „Da könnte die Deutsche Bahn als größer Busanbieter Deutschlands neue Versorgungsnetze schaffen.“

Einen ersten Prototyp der mobilen Arztpraxis hat die Bahn schon Mitte des Jahres vorgestellt. Damit verbundene Pilotprojekte zur Gesundheitsmobilität sind bereits gestartet, beispielsweise die mobile hausärztliche Versorgung im ländlichen Hessen und die ärztliche Versorgung von Flüchtlingsunterkünften in Schleswig-Holstein. Mit dem Impfbus wird nun eine weitere Versorgungslücke geschlossen.

Die Video-Dolmetscher-Technologie hat Cisco Anfang 2015 bereits in einer provisorischen Arztpraxis in Hamburg eingesetzt – die befand sich allerdings noch in einem Schiffscontainer.

GQ Empfiehlt
Deshalb brauchen wir Smart Cities in Deutschland

Deshalb brauchen wir Smart Cities in Deutschland

von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Die Straßen der Zukunft brauchen keine Ampeln mehr

Die Straßen der Zukunft brauchen keine Ampeln mehr

von Benedikt Plass-Fleßenkämper