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Der „Jetman“ will den Menschen Flügel verleihen

von Chris Köver
Wer würde nicht gern wie ein Superheld über die Köpfe aller hinweg fliegen? Oder eben über den Ärmelkanal, wie 2008 der Schweizer Erfinder Yves Rossy. Dieser hat ein Jetpack entwickelt, das dem Menschen freien Flug ermöglicht. Mit WIRED redet er über Höhenflüge und Niederlagen.

Yves Rossy war mal Pilot der Schweizer Luftwaffe, später flog er die Boeing 747 für Swissair. Doch für Rossy war das nicht ausreichend Luftkontakt, er träumte davon, ohne eine Schutzhülle zu fliegen, wie ein Vogel. Den Traum hat er sich selbst erfüllt: Das von ihm entwickelte Jetpack, ein auf den Rücken geschnallter Karbonfiber-Flügel mit vier Triebwerken, erlaubt ihm bis zu 13 Minuten freien Flug, geschützt nur von einem Helm und einem Anzug. Rossy hat damit den Ärmelkanal überquert und den Grand Canyon, zuletzt flog er in Formation mit einem Airbus A380 über Dubai.

WIRED: Herr Rossy, welche Art von Vorbereitung braucht es für einen Flug wie zuletzt in Dubai?
Rossy: Erst mal müssen wir regelmäßig trainieren. Wie man auf den Bildern sieht, bin ich selbst der Rumpf des Fluggerätes. Normalerweise muss man bei einem Flugzeug die Maschine warten und den Piloten schulen. In diesem Fall bin ich selbst das Flugzeug, ich muss also nicht nur meinen Geist trainieren, sondern auch den Körper.

WIRED: Sie lenken den Flug nur mit Ihrem Körper?
Rossy: Ja, bisherige Fluggeräte lenkt man mit Steuerkommandos und sitzt oder liegt einfach darin, man folgt der Maschine. Unsere Flugmaschine funktioniert genau umgekehrt: die Maschine folgt dem Körper. Der Körper ist das Steuersystem, wie bei einem Vogel, der sein Gewicht verlagert.

Um den Grand Canyon zu überfliegen, musste ich mich als experimentelles Flugzeug registrieren lassen

WIRED: Wie sieht es mit den rechtlichen Bestimmungen aus?
Rossy: Wir brauchen eine Genehmigung. In manchen Ländern ist das ganz einfach, etwa in der Schweiz oder in Deutschland, dort bin ich einfach ein Skydiver. Stimmt ja auch: Ich springe am Anfang aus einem Flugzeug und am Ende lande ich mit einem Fallschirm. In anderen Ländern wird es absurd. Um den Grand Canyon zu überfliegen, musste ich mich von der Federal Aviation Administration als experimentelles Flugzeug registrieren lassen. Dann wurden Ausnahmen gemacht: für die 30 Minuten Treibstoff-Reserve – wir haben nur Treibstoff für 8 Minuten. Eine weitere Ausnahme für die Fluggeräte – ich fliege nur mit meinem Sinnen, einem Höhenmesser und einer Uhr. So weiß ich, wann die acht Minuten um sind, denn wenn mir der Treibstoff ausgehen würde, wäre das natürlich schlecht.

WIRED: Sie haben keine Anzeige für den Füllstand?
Rossy: Bisher nicht. Wir arbeiten daran, aber derzeit fliege ich nur nach Uhr.

WIRED: Ist der Airbus A380 nicht viel schneller als die Höchstgeschwindigkeit, mit der Sie fliegen können?
Rossy: Natürlich. Wir mussten erst mal besprechen: Was ist das geringste Tempo, mit dem der leere Airbus noch sicher fliegen kann. Das waren 135 Knoten, etwa 250 kmh. Damit konnten wir die Formation halten.

WIRED: Was wäre passiert, wenn Sie mit dem A380 kollidiert wären?
Rossy: Dem Airbus: gar nichts. Dieses Flugzeug wiegt 400 Tonnen, ich mit dem Flügel 160 Kilo. Für den bin ich wie eine Mücke. Der Pilot hätte das nicht mal gefühlt. Wir sind immer über Wasser geflogen. Sollten wir aus irgendeinem Grund zusammenstoßen oder den Flügel abstoßen müssen, wäre er ins Wasser gefallen, nicht jemandem auf dem Kopf. Ich bin kein Kamikaze, wir sind sehr sorgfältig bei der Definition der Risiken.

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WIRED: Okay, der Flügel und andere Menschen sind schon mal sicher. Aber was wäre mit Ihnen passiert?
Rossy: Worst case: Wir haben eine Kollision mit einem Vogel oder einem anderen Jetman und ich werde bewusstlos. Normalerweise würde es dann sehr schnell abwärts gehen, man würde nicht weiter gerade gleiten. Auf 250 Metern würde sich dann mein Fallschirm automatisch öffnen. Die Risiken sind also überschaubar. Aber das Leben ist halt gefährlich, am Ende sind wir alle tot. Man kann nicht jedes Risiko abdecken. Selbst bei einem Flugzeug decken wir nur den Ausfall eines Triebwerkes ab, nicht den Ausfall beider Triebwerke. Letzteres ist einfach zu unwahrscheinlich.

WIRED: Könnten Sie mir den Flügel aufsetzen, mich damit aus einem Flugzeug werfen und ich könnte fliegen?
Rossy: Wenn alles gut läuft, könnten wir den Flügel jedem erfahrenen Fallschirmspringer aufsetzen und er könnte das. Aber wir sind in einer Phase der Entwicklung, das heißt es gibt immer Dinge, die nicht funktionieren. Und wenn das passiert, braucht man einen trainierten Körper und die Fähigkeit, schnell und richtig reagieren zu können. Wir müssen ja nicht nur den Fallschirm managen, sondern auch alle Probleme, die mit den Triebwerken oder dem Rest des Flügels auftreten könnten. Außerdem macht der Umstand, dass man einen 65 Kilo schweren und zwei Meter breiten Flügel auf dem Rücken hat, es auch nicht einfacher, mit dem Fallschirm zu landen.

Ein Vogel denkt nicht: Ich sollte die Steuerung nach rechts drücken, er fliegt einfach nach rechts

WIRED: Das vergleichbare Mini-Fluggerät Gryphon, das von einer deutschen Firma entwickelt wird, soll Militärtechnologie werden. Würden sie ihre Technik ebenfalls ans Militär verkaufen?
Rossy: Ich hatte Kontakt mit dem Militär, aber sie wollten 100 km Reichweite und ein Ladegewicht von 50 Kilo. Sie wollen eine Waffe, die hinter die feindlichen Linien fliegen kann. Ich habe ihnen ganz ehrlich gesagt, dass das mit meinem Flügel nicht funktionieren wird. Man müsste den Ansatz ändern: ein größerer Flügel, und ein Soldat, der unbeweglich bleibt und von Hand steuert. Das war nie mein Ziel. Ich wollte wie ein Vogel fliegen, mit meinem Körper, ich wollte keine Maschine lenken. Das habe ich schon beim Militär und in der zivilen Luftfahrt gemacht. Mit unserem System ist man sehr nah dran. Ein Vogel denkt nicht: Ich sollte die Steuerung nach rechts drücken, er fliegt einfach nach rechts.

WIRED: Sie haben den Flügel selbst entwickelt und selbst finanziert?
Rossy: Anfangs ja, da hatte ich nur Hilfe von sehr guten Freunden in meiner Garage. Ich habe mein Gehalt als Pilot eingesetzt, um meinen Traum zu realisieren. Über 13 Jahre habe ich jedes Jahr das Äquivalent eines sehr schönen Wagens in die Entwicklung investiert, etwa 50.000 Euro pro Jahr. Später kamen auch Sponsoren, aber die kommen erst, wenn man schon ein funktionierendes Modell hat. Bevor ich 2008 den Ärmelkanal überflog, machte ich einen Aerodynamiktest in der Schweiz. Die Ingenieure dort sagten mir: Dieses Ding sollte nicht fliegen. Aber ich habe den Ärmelkanal damit überquert. Das ist eben neu: Der Körper eines Menschen ist eine flexible Struktur. Ich bin kein starres Flugzeug, sondern ein flexibler Rumpf. Damit konnte ich die Defizite des Flügels ausgleichen. Inzwischen haben wir diese Defizite korrigiert. Nach mehr als 15 verschiedenen Modellen ist der Flügel heute besser als ich es mit je erträumt hatte.

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