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„Das System muss sich ändern“: Wie die Union Facebook zum Kampf gegen Fake News zwingen will

von Max Biederbeck
Die CDU/CSU-Frakion im Bundestag fordert, dass Facebook seiner Verantwortung im Kampf gegen Hass-Content und Falschmeldungen nachkommt – notfalls auch mit hohen Strafen und einem Gegendarstellungsrecht für die User. WIRED hat mit dem netzpolitischen Sprecher der Union, Thomas Jarzombek, über diese Forderungen gesprochen.

Zwischendurch geriet Eva-Maria Kirschsieper schlicht durcheinander. Am vergangenen Mittwoch traf sich die Cheflobbyistin von Facebook Deutschland mit Politikern der CDU/CSU-Fraktion. Im Bundestag diskutierte sie mit den Parlamentariern unter anderem das Thema der Stunde: Fake News. Aber „Fake News“ spricht sich eben ähnlich wie „Facebook“ und so kam es zu einem freudschen Versprecher. Kirschsieper erklärte: „Man muss natürlich sagen, Fake News ist kein definierter Begriff, Fake News kann Propaganda sein, Facebook kann lügen sein.“

So mancher Unionspolitiker dürfte da aufgehorcht haben. Viele im politischen Berlin fürchten den ausufernden Hass und die Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken, vor allem im Wahljahr, und wollen die Betreiber in die Pflicht nehmen. Facebook etwa beauftragte in Deutschland bisher nur ein völlig überlastetes Unternehmen mit der Sperrung von Hasskommentaren. Das scheint zu wenig, um der Flut an Informationen Herr zu werden. Auch die Kooperation mit den Journalisten des Recherche-Netzwerks CORRECTIV und die Taskforce von Bundesjustizminister Heiko Maas, reichen nicht aus, so sieht es jedenfalls die Union (und zum Teil auch die SPD).

In einem Positionspapier, über das sie am Dienstagnachmittag abgestimmt hat, fordert die die CDU/CSU-Frakion im Bundestag, dass Facebook und Co. ihrer Verantwortung nachkommen. Die Betreiber der sozialen Netzwerke, auch Twitter und Google, sollen ihren Nutzern Richtigstellungen anzeigen, sobald sie ein Posting als als Fake identifiziert haben. Die Konzerne müssten dafür sorgen, dass „alle Nutzer, die mit Fake News konfrontiert worden sind“, über „deren Identifizierung als solche sowie gegebenenfalls ihre Richtigstellung obligatorisch informiert werden“, zitiert der SPIEGEL aus dem Papier. Dazu will die Union einen Anspruch auf Gegendarstellung durchsetzen, verlangt von neue Beschwerdestellen bei Facebook für die User und hohe Geldbußen, wenn Facebook und Co. den bestehenden Regeln aus dem Telemediengesetz nicht nachkommen.

Bleibt fraglich, wie realistisch solche Forderungen sind, und wie die Union sich deren technische Umsetzung vorstellt. WIRED hat darüber mit Thomas Jarzombek (CDU) gesprochen, er ist netzpolitischer Sprecher der Union und verantwortlich für die digitale Agenda.

WIRED: Herr Jarzombek, warum glaubt die Union, mehr Druck auf Facebook ausüben zu müssen.
Thomas Jarzombek: Auf dem unverbindlichen Wege sind wir ja nicht zum Ziel gekommen. Der Justizminister hat mit seiner Taskforce über ein Jahr lang Verhandlungen und Gespräche geführt und am Ende haben wir noch immer eine unbefriedigende Situation.

WIRED: Zahlreiche gesellschaftliche Organisationen kooperieren mit Facebook, es gibt einen regelmäßigen Austausch mit den Behörden und mit der Bundesregierung. Jetzt werden mit CORRECTIV auch noch Journalisten ins Boot geholt. Was genau ist denn so unbefriedigend?
Jarzombek: Vor allem die Intransparenz. Insbesondere die Frage, was eigentlich passiert, wenn man sich bei Facebook an die Beschwerdestelle wendet. Nach welchen Kriterien entscheiden die Zuständigen? Mich irritiert außerdem persönlich, wie der Umgang mit den Dienstleistern aussieht, die für Facebook in Berlin nach Hass-Inhalten suchen. Die von Überlastung am Rande des Möglichen berichten und auf unvorstellbare Art und Weise mit heftigstem Material konfrontiert werden. Das System muss sich ändern.

Die sozialen Netzwerke brauchen funktionierende Beschwerdestellen. Woanders klappt das doch auch. 

Thomas Jarzombek

WIRED: Durch mehr Druck und Geldstrafen?
Jarzombek: Mit gesetzlichen Mindeststandards, wie sie Beschwerdestellen für Jugendschutzfragen schon lange kennen. Solche Stellen brauchen auch die sozialen Netzwerke. Wo klar ist: Die Reaktionszeiten dürfen nicht länger als 24 Stunden sein. Die Entscheidungsmechanismen sind transparent, es müssen regelmäßig Berichte veröffentlich werden, und es muss ein ordentliches Widerspruchsverfahren für User geben. Die Unternehmen müssen auch die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter einschränken, die sich mit schwierigem Material beschäftigen, und sie müssen ihnen einen Psychologen zur Seite stellen.

WIRED: Als die Union vergangene Woche mit Facebook und Co. über diese Themen diskutierte, klang auch die mangelnde Zahl an Mitarbeitern an, die sich um Fakes und Hass im Netzwerk kümmern. Sollten die Unternehmen einfach mehr Leute einstellen?
Jarzombek: Das ist nicht das richtige Ziel. Natürlich braucht das Netzwerk Mitarbeiter, um liefern zu können. Genauso brauchen wir aber auch einen gemeinsamen Standard, der für alle Anbieter gilt. Wo auch ein kleines Startup genau weiß, woran es ist und wie es mitmachen kann. Die deutschen Internet-Provider bekommen das ja auch hin, die Mittelständler organisieren ihre Beschwerdestellen auf vorbildliche Weise. Warum sollen das die Großen auf dem Markt nicht tun?

WIRED: Man kann doch Unternehmen aus dem Mittelstand nicht mit Facebook und seinen 29 Millionen Nutzern in Deutschland vergleichen.
Jarzombek: Klar, die Nutzerzahl ist größer. Aber dafür verdient Facebook ja auch maßgeblich mehr Geld. Das Verhältnis ist das gleiche.

WIRED: Dann mal zu den von Ihnen geforderten Mindeststandards: Richtigstellung, Identifizierung, Gegendarstellung zu Postings. Ich sehe einen Albtraum in meinem Newsfeed auf mich zukommen.
Jarzombek: Man muss unterscheiden. Beim Thema Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Mobbing und Aussagen, die strafrechtlich relevant sind, werden Links gemeldet und über besagte Beschwerdestellen geregelt. Die nächste Frage lautet: Wie geht man mit dem Thema Fake News um? Das ist ein kompliziertes Feld, da muss man Mechanismen ausprobieren. Unsere Anforderungen, wie auch immer der Justizminister sie umsetzt, beinhalten ein Recht auf Gegendarstellung. Das ist eine elementare Sache aus dem Presserecht, von der ich glaube, dass es richtig ist, sie auf die Neuzeit zu übertragen.

WIRED: Aber im Presserecht geht es um einzelne Artikel, nicht um Millionen von Postings in kurzer Zeit. Sie sagen, der Justizminister müsse die Umsetzung klären. Selbst keinen Vorschlag?
Jarzombek: Wir haben hier erst einmal ein Positionspapier und keinen Gesetzentwurf. Insofern ist das jetzt eine Diskussionsgrundlage von uns und die tatsächliche Vorarbeit macht dann der Justizminister, das ist seine Aufgabe. Der muss schauen, wie man jetzt aus den Vorgaben ein konkretes Gesetz macht. Aber wir wollen die Hoheit über die Ziele, die damit verfolgt werden.

WIRED: Okay, Technologie beiseite. Ist es nicht widersinnig, Postings immer wieder hochzuspülen, indem man sie dem User erst als identifiziert, dann als verbessert mitteilt, und dann kommt noch eine Gegendarstellung dazu? Das klingt nach Informations-Overkill und mehr Verwirrung statt weniger.
Jarzombek: So wird es nicht kommen. Wenn Sie der Geschädigte sind, müssen Sie sich ja selbst überlegen, ob Sie die Mechanismen anwenden wollen oder nicht.

Es wird keinen Schiedsrichter geben, der am Ende sagt, das ist richtig und das ist falsch

Thomas Jarzombek

WIRED: Das müssen Sie erklären.
Jarzombek: Wenn etwas Falsches über Renate Künast geschrieben wird, dann klagt sie dagegen und das finde ich gut. Wie gesagt: Sie hat ein Recht auf Gegendarstellung. Ob ihre Version dann stimmt oder nicht, weiß ja im Zweifel auch niemand – aber Sie können sich als Leser selbst ein Bild machen, weil Sie dann ja auch sehen, was ein Betroffener dazu sagt. Nicht mehr und nicht weniger. Und genauso wird das in den sozialen Netzwerken auch sein. Es wird da keinen Schiedsrichter geben, der am Ende sagt, das ist richtig und das ist falsch. So stelle ich mir das Internet nicht vor.

WIRED: Ich rede nicht von den großen Falschmeldungen, sondern von den vielen kleinen für den Alltags-User. Wie stellen sie sich das Ganze dort vor?
Jarzombek: Nehmen wir an, bei Facebook schreibt jemand etwas über Sie und Sie finden: Das ist falsch. Dann wird diese Richtigstellung an die gleichen Menschen eingeblendet, die vorher auch den anderen Post gelesen haben. Und dann sehen sie original und Gegendarstellung nebeneinander und können entscheiden.

WIRED: Und wenn ein Beitrag schon hundertmal geteilt wurde? Soll das dann überall dabei stehen?
Jarzombek: Auf dem Detailgrad sind wir mit unserem Positionspapier noch nicht, das werden wir bei der konkreten Gesetzgebung diskutieren.

Es wird immer mal wieder zu Overblocking kommen – und zu Fehleinschätzungen

Thomas Jarzombek

WIRED: Sie planen also ein Gegendarstellungsrecht gegenüber anderen Facebook-Usern.
Jarzombek: Das tun wir. Es wird Momente geben, wo Sie sich überlegen, ob es wirklich klug ist, es einzufordern. Sie wärmen einen Sachverhalt damit ja nur noch fünfmal auf.

WIRED: Man könnte auch auf der Löschung eines Beitrags bestehen.
Jarzombek: Damit bin ich sehr vorsichtig. Ich finde, bei aller Kritik an Facebook, die Idee interessant, dass investigative Teams heftige Falschaussagen überprüfen und kennzeichnen. Auch da wird das Original nicht gelöscht, sondern dargestellt, dass es sich vermutlich eine Falschaussage handelt, mit Quellenangaben.

WIRED: Facebook hat in der Vergangenheit auch immer wieder normale Posts offline genommen, weil es automatische Filter eingesetzt hatte. Etwa das ikonische Kriegsfoto des weinenden vietnamesischen Mädchens Kim Phuc. Wenn das Netzwerk Ihren Forderungen nachkommen will, wird es auf mehr Automatisierung setzen müssen. Mehr Möglichkeiten für Fehler.
Jarzombek: Dass Facebook Filter einrichtet, um etwa kinderpornografische Inhalte zu löschen, finde ich richtig. Es wird immer mal wieder zu Overblocking kommen – und Fehleinschätzungen des Programms. Solange es bei einer marginalen Minderheit bleibt, und solange es Widerspruchrechte gibt, ist das nicht tragisch. Wie gesagt: Es muss ein ordentliches Widerspruchsverfahren geben, wenn ein Roboter wieder einmal zu viel des Guten getan hat.

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