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Fünf Fluggesellschaften bestellen den Concorde-Nachfolger Boom

von Dirk Peitz
Innerhalb von fünf Stunden soll für 100 Dollar jeder Punkt der Erde zu erreichen sein. Um das zu ermöglichen, will Blake Scholl mit seinem Startup Boom das erste zivile Überschallflugzeug seit der Concorde bauen. Aber warum bloß? Immerhin gibt es jetzt schon mehr als 70 Vorbestellungen.

Update 22. Juni 2017: Das Aus für die Concorde ist fast 14 Jahre her, und es sieht so aus, als könnte das eine Glückszahl für diejenigen sein, die an Überschallpassagierflugzeuge glauben: Das US-amerikanische Unternehmen Boom hat für seine Version der Concorde-Nachfolge 76 Bestellungen von fünf Fluggesellschaften erhalten, sagte Unternehmensgründer und Vorstandschef Blake Scholl. Was es mit Boom auf sich hat, lest ihr im Interview, das wir mit Scholl vor einigen Monaten führten:

Blake Scholl ist Mitte 30, Gründer des Startups Boom und hat einen verwegenen Plan: Er will ein Überschallflugzeug bauen und damit an die Zeiten der Concorde anknüpfen, als man in dreieinhalb Stunden von London nach New York fliegen konnte. Die Concorde aber wurde im Jahr 2003 außer Dienst gestellt, weil sie sich einfach nicht wirtschaftlich betreiben ließ.

Auf dem Flughafen Denver arbeiten in einer 3000 Quadratmeter großen Halle nun bereits Ingenieure am Prototypen des 40-Sitzers, der wie die Herstellerfirma heißen soll: Boom. Die Frage ist bloß: Hat vielleicht doch eher Blake Scholl einen Knall, schaffen zu wollen, was keinem Flugzeugbauer je gelungen ist – einen Jet zu konstruieren, der schneller als der Schall ist und dennoch Airlines einen Gewinn einbringt?

WIRED: Mr. Scholl, wie kamen Sie eigentlich auf die verrückte Idee, die Überschallfliegerei wiederzubeleben? Seit die Concorde auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, hat das niemand mehr versucht.
Scholl: Den Gedanken hatte ich tatsächlich gleich, nachdem das Ende der Concorde gekommen war. Ich dachte: Es macht doch keinen Sinn, dass wir in jedem Bereich permanent technologische Fortschritte erzielen – nur bei Flugzeugen nicht. Die sind heute noch genauso schnell beziehungsweise langsam wie vor 50 Jahren. Daran will ich jetzt etwas ändern.

WIRED: Wie kam es von der Idee zur Umsetzung?
Scholl: Vor ungefähr zwei Jahren habe ich meinen damaligen Job bei Groupon aufgegeben, die 2012 mein Startup gekauft hatten. Ich begann zur Überschallfliegerei zu recherchieren und dachte anfangs: Es wird schon gute Gründe geben, weshalb sich kein Flugzeugbauer wirklich ernsthaft engagiert auf dem Gebiet. Es stellte sich jedoch heraus, dass es absolut keine Gründe gab. Die Technologie ist bereits vorhanden, um moderne Überschallflugzeuge zu bauen. Das grundsätzliche Problem der Concorde war stets der hohe Kerosinverbrauch, und durch die mangelnde Effizienz ließ sich die Concorde als Flugzeugmodell nicht wirtschaftlich betreiben. Die Ticketpreise blieben stets zu hoch, die Strecke New York – London kostete hin und zurück 20.000 Dollar, und so blieben meist viele der 100 Sitze in der Concorde leer.

Man muss den Kerosinverbrauch der Concorde um lediglich 30 Prozent unterbieten

WIRED: Und deshalb soll die Boom nur 40 Plätze haben?
Scholl: Die Rechnung dahinter ist nicht sonderlich kompliziert. Man muss die Kraftstoffeffizienz des Flugzeugs erhöhen, um die Ticketpreise für eine große Gruppe von Menschen erschwinglich zu machen – und dann muss man ein Flugzeug mit der richtigen Zahl von Plätzen konstruieren, damit Airlines es verlässlich gefüllt kriegen. Und zwar nicht nur auf einer Strecke, sondern auf vielen Strecken weltweit. Nun stellt sich heraus: Man braucht den Kerosinverbrauch der Concorde um lediglich 30 Prozent zu unterbieten. Was nicht leicht ist, aber möglich. Dann kann man den Ticketpreis so weit drücken, nämlich auf 5000 Dollar, dass man mit einem Überschallflugzeug nur noch knapp über dem Businesstarif liegt, der heute für konventionelle Interkontinentalstrecken verlangt wird.

WIRED: Die Rechnung basiert aber auch darauf, dass der Kerosinpreis noch lange so niedrig bleibt wie heute, oder?
Scholl: Nicht zwangsläufig. Der entscheidende Punkt ist die Gewichtsreduzierung, die ein Flugzeug wie die Boom wirtschaftlich werden lässt. Wir konstruieren also ein sehr leichtes Flugzeug. Selbstverständlich nützt ein geringer Kerosinpreis dabei, die Tickets erschwinglich zu halten. Doch je weniger Sprit man verbraucht, desto weniger ist man von dessen Preis abhängig.

WIRED: Aber wie kommt nun die magische Zahl 40 Plätze zustande?
Scholl: Das erschien uns die Mindestzahl zu sein, damit Airlines eine ausreichende Marge pro Sitz erreichen können. Baut man ein größeres Flugzeug mit mehr Sitzen, wird die potentielle Marge zwar größer. Doch dann muss man ein technisch erheblich komplizierteres Flugzeug bauen, als die Boom es sein wird.

WIRED: Die großen US-Hersteller Boeing und Lockheed Martin arbeiten auch an Überschallmodellen. Bloß hüllen die sich im Gegensatz zu Ihnen in Schweigen. Was wissen Sie über die Konzepte der Konkurrenz?
Scholl: So weit ich weiß, passiert bei beiden nicht besonders viel. Lockheed ist bei seinem X-Plane-Project offenbar in der Designphase hin zu einem Prototyp, ähnliches gilt für die Pläne von Boeing. Zudem finanziert die NASA Forschung zu Überschallkonzepten. Doch nach allem, was wir wissen, ist keines der Konzepte auf eine baldige kommerzielle Nutzung hin ausgerichtet.

WIRED: Warum glauben diese etablierten Flugzeugbauer im Gegensatz zu Ihnen also scheinbar nicht an eine echte Zukunft der Überschallfliegerei?
Scholl: Nun, Lockheed baut heute fast ausschließlich Militärflugzeuge, insofern fällt die Firma eh raus, wenn es um zivile Luftfahrt geht. Betrachtet man hingegen Boeing und auch Airbus, dann sind die derzeit mit anderen Dingen als Überschallflugzeugen beschäftigt: Die konkurrieren in sämtlichen heute vorhandenen Modellklassen miteinander, da geht es um A 320 gegen Boeing 737 und nun vor allem A 350 gegen Boeing 787 – bei letzteren Modellen verlieren beide derzeit noch Geld. Würde ein Boeing-Ingenieur in der Situation zu seinem CEO gehen und ein Überschallkonzept ernsthaft vorschlagen, bekäme er vermutlich zur Antwort: „Wir haben wirklich gerade andere Sorgen!“

WIRED: Und das ist Ihre Chance als Startup?
Scholl: Ja. Ich glaube, dass auf dem Gebiet der Überschallfliegerei die nächsten technischen Innovationen nicht von den alten großen Herstellern kommen werden. Startups wie wir werden sie machen.

WIRED: Gilt diese Logik auch auf der anderen, der Airline-Seite? Die erste Fluggesellschaft, die die Boom kaufen will, und zwar zehn Stück davon, ist Virgin – und keine der alten großen Airlines. War Richard Branson mit seiner Raketenbegeisterung der logische Ansprechpartner für Sie?
Scholl: Wir können uns jedenfalls keinen besseren Launch-Partner vorstellen. Virgin ist eine mutige Airline, die gern neue Dinge ausprobiert. Und im Gegensatz zu anderen Fluglinien hat Virgin durch die Weltallsparte Virgin Galactic auch Testgelände zur Verfügung, die wir ebenso nutzen werden wie Virgins Hilfe bei der Herstellung unseres Flugzeugs. Für uns ist das ein Traum-Deal: Virgin ist zugleich Kunde und Produktionspartner.

WIRED: Welche Hilfe genau leistet Virgin Galactic?
Scholl: Auf deren Gelände in Südkalifornien kann man Überschallflugzeuge testen, und Virgin hat genau damit auch schon Erfahrungen, denn deren SpaceShipTwo ist ja im Kern ein Weltraumflugzeug, das Mach 3 fliegen kann. Entsprechend ist auch deren Expertise bei der Konstruktion solcher Überschallfluggeräte. Virgin verfügt über eine Infrastruktur, die ein Unternehmen wie unseres erst für viel Geld einkaufen müsste.

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WIRED: Was sind die größten technischen Herausforderungen, um ein Überschallflugzeug zu entwerfen?
Scholl: Es gibt, jedenfalls bei unserem Design, nicht die eine große Herausforderung. Sondern viele kleine. Das betrifft die Aerodynamik ebenso wie die Triebwerke, die Steuerung und die Sicherheits-Features. Um ein Überschallflugzeug zu konstruieren, muss man nichts völlig Neues erfinden – man muss die vorhandenen Technologien auf die richtige Weise miteinander kombinieren. Die Karbonfasermaterialien zum Beispiel, aus denen Rumpf und Flügel der Boom konstruiert sein werden, sind längst in Flugzeugen verbaut, etwa beim Airbus A 350 und der Boeing 787. Die Triebwerke des Boom sind im Prinzip auch keine Neuentwicklungen, wir werden lediglich bestehende adaptieren. Wenn man die Summe der Einzelteile im Flugzeugbau mit einer Farbpalette vergleicht, so benutzen wir die gleichen Farben wie andere Hersteller – wir malen nur ein sehr anderes Bild.

WIRED: Wie weit sind Sie denn bereits mit Ihrem Prototypen?
Scholl: Seit Mitte vergangenen Jahres arbeiten Ingenieure daran, und unser Ziel ist es, Ende 2017 erste Testflüge absolvieren zu können. Wir sind auf einem guten Weg, das zu schaffen.

WIRED: Eine Sache müsste Ihnen Kopfschmerzen bereiten – zivile Überschallflüge über Land sind fast überall auf der Welt verboten. Das bedeutet: Den Geschwindigkeitsvorteil, den Sie bei Interkontinentalflügen über Wasser gegenüber konventionellen Flugzeugen haben, büßen Sie ein, sobald Sie über Land fliegen. Im Grunde können Sie eigentlich nur Küstenstädte miteinander verbinden, da sind Sie schneller. Oder sollen die Regeln im Luftraum für Sie geändert werden?
Scholl: Aus unserer Sicht wäre es natürlich wünschenswert, wenn diese Regularien verändert würden. Aber ich gehe nicht davon aus, dass das schnell passieren wird. Doch die Frage wird schon drängend werden in Zukunft: Warum wird man doppelt so schnell von New York nach London kommen, während ein Flug von New York nach Los Angeles einmal quer über die USA noch genauso lange dauern wird wie heute, weil dort nicht mit Überschallgeschwindigkeit geflogen werden darf?

Die Welt wird allein dadurch eine bessere, dass sie uns Menschen kleiner erscheint

WIRED: Was ist eigentlich der große Vorteil, den die Menschheit davon hat, wenn sie zukünftig doppelt so schnell von A nach B kommt?
Scholl: Ich bin mir sicher, dass die Welt allein dadurch eine bessere wird, dass sie uns Menschen kleiner erscheint. So rücken wir zusammen. Und wie klein die Welt ist, verstehen wir besser, wenn wir sie im Überschalltempo überfliegen. Was dann die sekundären Effekte dieser Entwicklung sein werden, kann man noch gar nicht voraussagen. Ein einfaches, fast banales Beispiel zum Vergleich: Vor dem Beginn des Jet Age in den 60er Jahren gab es in den USA noch keine wirklichen nationalen Sportligen, einfach weil es zu lange dauerte, bis die Teams von einem Ort zum anderen gereist sind. In Zukunft könnte etwa ein American-Football-Team aus London in der NFL spielen. Es wird globale Ligen geben.

WIRED: Wann wird es denn so weit sein, dass wir in der Boom wirklich fliegen können?
Scholl: Ein paar Jahre wird es schon noch dauern. Wie lange genau der Prozess vom Prototyp bis zur kommerziellen Inbetriebnahme der Boom brauchen wird, lässt sich nicht voraussagen. Das Wichtigste wird sein, die absolute Sicherheit unseres Flugzeugs gewährleisten zu können. Sicherheit geht vor dem Tempo, mit dem wir an den Start gehen. Doch klar ist: Zehn Jahre wird es definitiv nicht dauern.

WIRED: Sie selbst sind auch Pilot. Was fliegen Sie so?
Scholl: Kleinere Flugzeuge, Viersitzer meistens. Zuletzt bin ich vor allem eine Cirrus geflogen, ein wundervolles kleines Flugzeug mit einem Fallschirmsystem. Wenn man mal in Schwierigkeiten kommt, kann man also trotzdem nicht abstürzen.

WIRED: Aber die Boom wollen Sie schon dann auch als Pilot steuern?
Scholl: Irgendwann einmal schon. Man gründet ja keine Firma, wenn man seine eigenen Produkte nicht selbst benutzen kann.

WIRED: Aber wie groß wird der Markt für Überschallflugzeuge wirklich werden? Die Concorde haben einst ja nur zwei Airlines geflogen, British Airways und Air France.
Scholl: Der Markt wird riesig werden, hunderte, wenn nicht tausende Überschallflugzeuge wird es geben, dessen bin ich mir sicher. Unsere Projektion ist folgende: Heute fliegen etwa 20 Millionen Menschen im Jahr in der Business Class zwischen Städten auf der Welt, wo auf dem Weg eine ausreichende Menge Meer vorhanden ist, dass sich Flüge mit der Boom in Mach 2.2 gemäß den derzeit geltenden Vorschriften lohnen würden. Würde man diese 20 Millionen Passagiere fragen, ob sie zum gleichen Preis lieber in dreieinhalb oder sieben Stunden an ihr Ziel kommen wollen, würden alle antworten: dreieinhalb. Um diese Menge an Menschen transportieren zu können, bräuchte es 500 unserer Flugzeuge mit je 40 Sitzen. Doch wir gehen eben davon aus, dass die Attraktivität des Überschallfliegens auch die Zahl der Menschen erhöhen wird, die so fliegen wollen. Bei 20 Millionen wird nicht Schluss sein.

Mach 2.2 wird ja nicht das Ende der Temposteigerung bleiben

WIRED: Wie wird sich die Luftfahrt insgesamt dadurch verändern?
Scholl: Ich gehe davon aus, dass ein Großteil der interkontinentalen Flüge zukünftig im Überschallbereich stattfinden werden. Aber bis dahin könnte es noch 20 oder 30 Jahre dauern. Auf den Kurz- und Mittelstrecken hingegen wird weiter in den heute üblichen Geschwindigkeiten geflogen werden – für einen 90-Minuten-Flug von Berlin nach London lohnt sich Überschall nicht, der Geschwindigkeitsvorteil stünde in keinem Verhältnis zu den höheren Kosten. Was den Tourismus angeht, so werden durch Überschallflugzeuge ganz neue Möglichkeiten geschaffen. Ein Beispiel: Von Europa aus fliegt man knapp 24 Stunden nach Australien, und jeder, der diesen Trip macht, bleibt möglichst eine Weile dort, damit sich die weite Reise überhaupt lohnt. Das wird sich ändern, wenn sich die Flugzeit extrem verkürzt: Mehr Menschen werden öfter Langstrecken fliegen. Und Mach 2.2 wird ja nicht das Ende der Temposteigerung bleiben.

WIRED: Wie wird die Welt am Ende aussehen?
Scholl: Ich stelle sie mir so vor, dass jeder Punkt der Erde innerhalb von fünf Stunden erreichbar sein wird, und man wird 100 Dollar dafür zahlen. Wer wollte nicht in einer solchen Welt leben? Ich jedenfalls würde es unbedingt wollen.

WIRED: Sind Sie persönlich überhaupt schon mal schneller als der Schall geflogen?
Scholl: Eben nicht! Damit ich es mal kann, musste ich diese Firma hier aufmachen. Allein wenn man Bilder sieht, die aus der Concorde gemacht wurden: Wenn man auf 18.000 Metern Höhe fliegt statt auf 12.000 wie heute auf einem Interkontinentalflug, erkennt man tatsächlich die Krümmung der Erde. Und das Blau des Himmels dort oben ist so tief, wie man es noch nie im Leben gesehen hat.

Mehr über die Zukunft der Luftfahrt gibt es in der neuen Ausgabe von WIRED – ab 4. Oktober am Kiosk.

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