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Berlin sagt Nein zum Ausbau der Videoüberwachung – und könnte so eine leidige Debatte beenden

von Max Biederbeck
Berlins hat sich gegen die Überwachung von öffentlichen Plätzen per Kamera entschieden. Eigentlich war sie fester Teil des „Präventions- und Sicherheitspakets“, mit dem die regierende SPD auf den Anschlag vom Breitscheidplatz reagieren wollte, doch die Koalitionspartner winkten ab. Ein Nein, das auch für die bundespolitische Debatte um Sicherheitstechnologie wegweisend sein könnte.

Andreas Geisel muss in der Zwickmühle gesteckt haben. Auf der einen Seite hat der Berliner Innensenator (SPD) die Aufgabe, für Sicherheit auf den Straßen der Hauptstadt zu sorgen. Auf der anderen saßen ihm von Anfang an die Koalitionspartner im Nacken. Im noch frischen Vertrag von Rot-Rot-Grün heißt es nämlich: „Der Schutz der Grundrechte steht für die Koalition an oberster Stelle“. Mehr Überwachung – das galt von Anfang an als Quasi-Tabu-Thema.

Und so kam es dann auch. Als Geisel am Montag mit seinen Senatskollegen über neue Sicherheitsmaßnahmen für die Hauptstadt diskutierte, sagte er: Wir brauchen zumindest eine begrenzte Ausweitung der Videoüberwachung. Die Kollegen sagten: Die Polizei darf – wie bisher – Großveranstaltungen mit Kameras überprüfen, aber mehr nicht. Vor Kameras machten Terroristen sowieso nicht halt. Die 15.000 festinstallierten Systeme, die es bereits in Berlin gibt, seien genug.

Das ist ein doch sehr klares Nein, dass Rot-Rot-Grün da in eine aufgeheizte Debatte wirft. Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière hätten gern mehr Kameras. Auch die Öffentlichkeit: Rund 70 Prozent der Bürger wollen die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen ausgeweitet sehen. Zuletzt haben sogar Vertreter der Polizei die Ausweitung der Technologien von Kamerasystemen favorisiert. „Ich bin davon überzeugt, dass wir an sogenannten kriminogenen Punkten mehr intelligente Videoüberwachung brauchen“, sagte etwa Wolfgang Blindenbacher gegenüber WIRED. Er ist Leiter der Kommission Verkehrssicherheit bei der Deutschen Polizeigewerkschaft und Experte für Videoüberwachung.

Für politische Entscheider ist es einfach, eine tolle Technologie einzukaufen, statt sich des eigentlichen Problems anzunehmen

Tobias Matzner, Universität Tübingen

Aber bringen mehr Kameras wirklich etwas, selbst wenn noch so viel Hightech drin steckt? Es gibt durchaus einen Markt für „intelligente Kameras“, die nicht einfach nur stundenlang Videomaterial mitschneiden, sondern selbstständig über Wichtig und Unwichtig entscheiden. Die verschiedene Verhaltensmuster automatisch erkennen, so überforderte Überwachungsbeamte entlasten – und gleichzeitig Datenschützer beruhigen. Schließlich sammeln sie nicht länger Massen von Daten und auch nicht anlasslos. So die Theorie.

„Für politische Entscheider ist es einfach, eine tolle Technologie oder zusätzliche Kameras einzukaufen, statt sich des eigentlichen Problems anzunehmen“, erklärt Tobias Matzner, der an der Universität Tübingen das Projekt Ethik der intelligenten Videoüberwachung leitet. Es sagt: Sowohl die Lobby als auch die Produkte für mehr Hightech-Videoüberwachung existieren längst, denn „Kameratechnologie ist ein Weg, schnelle Antworten zu präsentieren“.

Nur: So weit, wie sich viele das wünschen, ist die Technologie noch nicht. Bei der Strafverfolgung könne Videoüberwachung durchaus helfen, sie werde aber bis auf weiteres keine Anschläge verhindern, sagt Matzner. „Vandalismus ist für eine intelligente Kamera vielleicht gut sichtbar, aber wie soll sie zum Beispiel eine herumliegende Tasche einordnen oder den Plan eines gut vorbereiteten Terroristen erkennen?“, fragt er. Generell gebe es nach wie vor keine Beweise für die Wirksamkeit selbst der modernsten Kameratechnologien bei der Vorbeugung von Straftaten.

Wenn Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Ende der Klausurtagung in Berlin festhält, man solle „nicht in Reflexe“ verfallen, die in „Freiheitsabschaffung“ mündeten, dann bestätigt er Matzner und alle Kritiker neuer Überwachungstechnologien. Seine Aussagen kommen zu einem kritischen Zeitpunkt, denn die Berliner Entscheidung hat auch Signalwirkung für die Bundesminister.

Denn die wissen durchaus, dass Videoüberwachung ein schwieriges rechtliches Feld ist. Die Bundesländer können teilweise selbst darüber entscheiden, ob und wie sie Kameratechnologie einsetzen wollen. Wenn Maas und de Maizière Hightech-Kameras als wichtigen Eckpunkt einer Sicherheitsstrategie verkaufen wollen, müssten sie und alle Länder an einem Strang ziehen. Dem hat Berlin jetzt schon einmal einen Riegel vorgeschoben.

Übrigens, Innensenator Andreas Geisel ging nicht völlig ohne Ergebnisse aus dem Treffen am Montag: Die Berliner Polizei wird unter anderem neue Maschinenpistolen im Wert von 8,8 Millionen Euro anschaffen. Sicher ist Sicher.

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