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Automatische Gesichtserkennung gegen den Terror – kann das funktionieren?

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
Terror und Gewalt vor der Tat verhindern – so das Vorhaben von  Thomas de Maizière. Der deutsche Innenminister will Bahnhöfe und Flughäfen mit smarten Videokameras überwachen. Terrorverdächtige, so die Idee, könnten via automatischer Gesichtserkennung identifiziert werden. Aber kann das  funktionieren?

Kampf gegen den Terror – das ist auch in Deutschland das Thema der Stunde. Biometrie-Software soll helfen, Terrorverdächtige aufzuspüren. Aber dabei bleibt es nicht. An Bahnhöfen und Flughäfen könnte sie bald zum Einsatz kommen, um auch die Gewalt bei Fußballspielen in den Griff zu bekommen. So zumindest lautet der Plan des Innenministers Thomas de Maizière (CDU).

Dazu arbeitet das Innenministerium schon mit der Deutschen Bahn zusammen. „Wir haben mit der Bahn ein Konzept entwickelt, um die Videoüberwachung, gerade an Bahnhöfen, massiv zu verbessern“, sagte de Maizière. „Bremen gehört zu den 20 Bahnhöfen, bei denen eine solche Verbesserung im Schwerpunkt vorangetrieben wird. Zudem arbeiten wir daran, dass wir auch die Software solcher Videokameras intelligenter nutzen.“

Die Politik ist kritisch
Videoüberwachung. Automatische Gesichtserkennung. Polizei. Lauter Reizworte. Die Reaktionen in der Politik ließen nicht lange auf sich warten. So warfen Die Grünen dem Innenminister vor, einen „präventiven Überwachungsstaat“ zu schaffen, zudem sei diese Art der Überwachung laut Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic kein „Allheilmittel gegen die Sicherheitsprobleme“. Auch die FDP und die Linke übten harsche Kritik.

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Aus Kreisen des Koalitionspartners kommen gemischte Stimmen. Die einen fragen bei der SPD nach den Kosten des Projekts. Andere machen sich Gedanken um die Kontrolle der Daten und die Auswirkungen auf die Privatsphäre. Viele, so wird aus Gesprächen mit Bundestags-Abgeordneten klar, glauben nicht daran, dass die Technik wirklich einsatzbereit ist.

Totalüberwachung mit Videokameras: Technisch machbar oder nicht?
Ist die Technik wirklich noch nicht ausgereift? Dauert es tatsächlich noch Jahre, bis man sie einsetzen kann? Das klingt nach einer Aussage, die den Geschmack von #Neuland hat. Denn die biometrische Erkennung von Personen ist nichts Neues, es gibt sie schon seit einigen Jahren. Sei es im Kleinen wie beim Entsperren von Smartphones mittels Gesichtserkennung, sei es im Großen wie bei der Arbeit des US-Heimatschutzministeriums.

Laut dem Fachmagazin Security Insider arbeitet moderne Software mittlerweile so gut, dass selbst starke Verstümmelungen bei den gescannten Personen kein Problem mehr darstellen. Der Grund: Die Programme konzentrieren sich auf einzigartige Details wie Ränder der Augenhöhlen oder Kieferpartien. Auf diese Weise lassen sich Menschen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren.

„Gesichtserkennung per Software, das ist technisch heute kein Thema mehr“, sagt auch Florian Bröder. Der IT-Consultant aus Mainz erklärt im WIRED-Interview, man brauche zur automatisierten Überwachung drei Komponenten: Eine Datenbank zur Speicherung, eine entsprechende Bildanalyse-Software und spezielle Kameras – all das kann man kaufen oder erhält es, teilweise kostenfrei, in der Cloud. Auch die Software dazu? „Entweder direkt einkaufen oder weit fortgeschrittene Bausteine zur Bildverarbeitung in eigene Software einbetten“, meint Bröder und verweist exemplarisch auf OpenCV. „Die Auswertung danach ist dann technisch ein Kinderspiel.“

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OpenCV ist nur ein Beispiel von vielen. Google setzt schon seit ein paar Jahren auf das Thema, auch die Gesichtserkennung von Facebook dürfte jeder kennen. Und die russische App FindFace arbeitet derart beeindruckend, dass sie jüngst für einige Diskussionen sorgte. Selbst die deutsche Polizei, die oft als rückständig dargestellt wird, arbeitet schon mit biometrischer Erkennung – zum Beispiel im Rahmen der EU-Fingerabdruck-Datenbank EURODAC.

Alles ganz einfach. Direkt aus dem Netz als Baukasten. Oder als fertiges Paket von großen Anbietern. Ist es wirklich so?
Alexander Nouak, Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie und langjähriger Biometrie-Experte, sieht das nicht so. „Auch wenn Kameras und Computersysteme derzeit bei steigender Leistungsfähigkeit kostengünstiger werden, sind die Anforderungen enorm“, sagt Nouak gegenüber WIRED. Das Problem seien die verschiedenen Ein- und Ausgangsbereiche von Bahnhöfen oder Flughäfen, die mit entsprechender Technik überwacht werden sollen.

„Viele Kameras müssen mit einem zentralen System kommunizieren, das hinreichend leistungsfähig sein muss, um alle relevanten Bilder analysieren zu können. Eine derartig umfassende Lösung existiert derzeit nicht. Die erwarteten Investitionen wären entsprechend hoch.“ Zudem gibt es Nouak zufolge an deutschen Bahnhöfen und Flughäfen derzeit noch keine entsprechende technische Infrastruktur.

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Die Rechtssprechung erschwert die Umsetzung
Neben den technischen Hürden existieren auch rechtliche und politische Herausforderungen, die den großflächigen Einsatz von Gesichtserkennungssoftware verhindern. Dem Bundesverfassungsgericht nach muss ein hinreichender Anlass bestehen, um Menschen zu überwachen und die Daten aufzuzeichnen. Es gibt also keinen generellen Freibrief für den Kamera-Einsatz. Das sagt auch das Innenministerium auf seiner Website. Dort steht unter anderem zum Thema Videoüberwachung: „In den meisten Ländern bestehen Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Videoüberwachung zum Zweck der Gefahrenabwehr. Die Regelungen weisen jedoch Unterschiede auf, etwa hinsichtlich der Orte, die überwacht werden können oder der Dauer der Speicherung der Aufzeichnungen“. Anders ausgedrückt: Es gibt noch keine einheitliche Lösung, sondern nur einzelne Regelungen.

Deswegen wird klar, warum Thomas de Maizière seine Forderung nach moderner Fahndung via intelligenter Systeme einschränkte. Er sagte, die Sicherheitsbehörden müssen „technisch können, was ihnen rechtlich erlaubt ist“. Hinzu kommt noch ein weiteres Problem. Alexander Nouak beschreibt es so: „Eine hundertprozentige Trefferquote wird es auch in naher Zukunft nicht geben. Das heißt, dass es bei großen Menschenmengen wahrscheinlich zu Fehlmeldungen kommt, die durch Polizeibeamte überprüft werden müssen.“

Trotzdem sieht der Biometrie-Experte einen positiven Aspekt: „Dennoch ist davon auszugehen, dass mit dem Einsatz biometrischer Technologien die Erfüllung polizeilicher Aufgaben erleichtert werden wird.“ Ob und wann diese Art der automatischen Überwachung kommen wird, ist allerdings ungewiss – auch wenn mancher Politiker das wahrscheinlich anders sieht. Oder sehen möchte.

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