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Neues vom Admin / Was es bedeutet, wenn ein Süßigkeiten-Konzern die Domain .kinder kauft

von Armin Hempel
Wem gehört die Internet-Adressenendung .kinder? Einem Süßwarenhersteller oder doch eher der Allgemeinheit? Armin Hempel kommentiert den Streit zwischen Ferrero und dem Deutschen Kinderschutzbund, den der italienische Konzern vorerst für sich entscheiden konnte.

Seit 1998 ist die Internetverwaltung ICANN für die Vergabe von eindeutigen Domainnamen zuständig. Ein solcher Name besteht dabei immer aus Zeichenfolgen, die durch Punkte getrennt werden, wie zum Beispiel auf dieser Seite: wired.de. Der Teil hinter dem letzten Punkt in diesem Domainnamen (.de) ist die Top-Level Domain (TLD), bildet also die höchste Ebene der Namensauflösung.

Neben den rund 200 länderspezifischen TLDs existierte bisher eine kleine Anzahl generischer TLDs, die ursprünglich die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen anzeigen sollten, wie beispielsweise .com für Unternehmen oder .edu für Bildungseinrichtungen. Einiges ist schon dabei problematisch: Seit 2001 haben nur noch Bewerber aus den Vereinigten Staaten die Gelegenheit, an eine .edu-Domain heranzukommen, während man andererseits schon lange kein Unternehmen mehr besitzen muss, um den Zuschlag zu einer .com-Domain zu erhalten. Die zunächst eigentlich sinnvolle Gruppierung der Domainnamen nach Organisationsformen wird also schon seit einigen Jahrzehnten verwässert und damit ad absurdum geführt.

An dieser Stelle beginnt der Wahnsinn aber erst so richtig: Seit Mitte 2013 werden nun schrittweise die sogenannten New gTLDs, also neue generische Top-Level Domains, eingeführt — vorgeblich, weil die eindeutigen Domainnamen im Netz zur Neige gingen. Dass die ICANN hauptsächlich aus den Einnahmen des Bewerbungsverfahrens Rücklagen von über 115 Millionen Dollar gebildet hat, verleiht dieser Entscheidung allerdings einen mehr als faden Beigeschmack.

,Kinder‘ ist angeblich eine internationale Marke und kein allgemeiner Begriff.

Die Bandbreite der neuen TLDs erstreckt sich nun von gerade noch sinnvollen Städtenamen-Domains wie .berlin über eher zweifelhafte Kategorien wie dem obligatorischen .sexy und bis zum letzte Woche freigeschalteten .kinder, das dem Ferrero-Konzern exklusiv zugesprochen wurde. Moment mal — .kinder als Eigentum von Ferrero? Problematisch daran ist nicht unbedingt die Endung selbst, sondern die Argumentation des Süßwarenhändlers, die darauf hinausläuft, dass es sich bei „Kinder“ um eine internationale Marke und nicht etwa um einen allgemeinen Begriff handele — denn als Allgemeingut wäre eine solch exklusive Nutzung nicht drin gewesen.

Protest dagegen regte sich leider erst viel zu spät: Der Deutsche Kinderschutzbund, die Kinderkommission des Bundestages und zuletzt das Bundesfamilienministerium verfassten Ende 2014 einen Protestbrief — die Einspruchsfrist gegen die Entscheidung war allerdings schon seit 21 Monaten abgelaufen.

Die Antwort fiel dementsprechend eher enttäuschend aus: Die ICANN schlug vor, dass man sich doch an Ferrero wenden solle, um eine Einigung zu erzielen. Dies wird ein Bündnis um den Kinderschutzbund herum wohl auch versuchen, die Erfolgsaussichten sind aber eher gering. Der Streit um .kinder ist exemplarisch für die große Verwirrung, die die Einführung der neuen TLDs mit sich gebracht hat. Einerseits bestehen Zweifel daran, dass die Infrastruktur der Root Zone des Domain Name Systems, also des Telefonbuchs des Internets, noch leistungsstark genug ist, um der zusätzlichen Belastung durch die neuen Domains auf Dauer gerecht werden zu können.

Auf der anderen Seite könnten die bisher rund 1700 neuen Domains zu ganz neuen Dimensionen des Online-Betruges führen — schließlich ist es schon jetzt nicht immer einfach, anhand des Domainnamens einer besuchten Website zu erkennen, ob es sich bei dieser wirklich um die des gewünschten Anbieters handelt.

Die gute Nachricht: Sollte Ferrero die Exklusivrechte für .kinder behalten, werden wir uns zumindest um zweifelhaftes Film- und Fotomaterial unter dieser TLD wohl keine Sorgen mehr machen müssen. Darüber hinaus prognostizieren Experten, dass bei ungefähr 5000 neuen Top-Level-Domains endlich Schluss mit dem Wahnsinn wäre, denn viel mehr hielte die Infrastruktur des Internets wirklich nicht aus.

In der letzten Folge „Neues vom Admin“ überlegte Armin Hempel, warum das 3D-Touch-Feature seines neuen iPhones nicht nur Segen, sondern auch Fluch sein könnte. 

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