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Philaes Landung auf dem Kometen ist geglückt — doch nicht alles verlief nach Plan

von Dominik Schönleben
Am Mittwochabend gelang der ESA ein Meilenstein der Weltraumforschung: die Landung auf einem Kometen. Philae, ein vollautomatisches Labor aus Köln, wurde auf 67P/Tschurjumow-Gerassimenko abgesetzt. Die wichtigsten 64 Stunden des Landers haben jetzt begonnen, während derer Forschungsdaten von der Kometenoberfläche versendet werden können. Diese Daten sollen die Frage beantworten, ob das Leben auf der Erde von Kometen stammt, wie die Forscher der ESA vermuten.

Es waren nervenaufreibende Stunden am Mittwoch für die Wissenschaftler im ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt: „I need a drink, all we do in this mission is wait... we bloody wait!“, fluchte Matt Taylor neben uns, während wir nervös auf die Landebestätigung von Philae warteten. Er lief die ganze Zeit durch den Saal und twitterte zur Beruhigung seiner Nerven ein Foto nach dem anderen. Project Scientist Taylor ist Heavy-Metal-Wissenschaftler und die Rampensau der ESA. Er repräsentiert die junge Astronomen-Generation, die jetzt ein Projekt zu Ende bringt, dessen Planung vor knapp 30 Jahren begann.

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Als dann Philae die erfolgreiche Landung meldete, nur wenige Minuten nach der vorausberechneten Zeit um 17:02 Uhr, stand Taylor da, die Daumen lässig auf sich selbst gerichtet. In seinem lila Flanellhemd, das halbnackte Robo-Frauen mit Maschinenpistolen im Anschlag zeigt. Man könnte Taylor dafür Sexismus unterstellen. Doch er trägt das Hemd mit solcher Selbstironie, dass man es ihm nicht übel nehmen konnte, als er auf die Frage „Warum dieses T-Shirt?“ nur mit „Why not?“ antwortete. Taylor glaubt, wichtigtuerische Klamotten seien völlig überbewertet an einem Tag wie diesem. Gestern zählte für ihn nur die Wissenschaft. 

This is a big step for human civilization!

Jean-Jacques Dordain, ESA Director General

„This is a big step for human civilization!“, verkündete ESA Director General Jean-Jacques Dordain später vor der Presse und bezog sich damit auf die berühmten Worte von Neil Armstrong. Denn der Erfolg der Rosetta Mission darf auf eine Stufe mit der Mondlandung oder der Internationalen Raumstation ISS gestellt werden, darin sind sich die Forscher einig. Die ESA feiert sich für ihre Landung — doch nicht alles verlief nach Plan.

Auch Taylor war zuversichtlich und ließ sich die erfolgreiche Landung von Philae sogar im Vorfeld auf seinen Oberschenkel tätowieren. Vielleicht ein wenig zu selbstbewusst für eine Landung, deren Chance zu scheitern auf 25 Prozent geschätzt wurde. So analysierte es zumindest Mission Manager Fred Janser bei der letzten von insgesamt vier GO/NOGO-Entscheidung. Der Gas-Antrieb des Landers hatte sich beim letzten Check nicht zurückgemeldet. Doch Jansen gab das GO. Eine bessere Chance als an diesem Tag würde es nicht geben. Und vielleicht würde der Gas-Antrieb im entscheidenden Moment ja doch funktionieren.

Nach der Trennung von der Rosetta Sonde am Morgen dauerte der Weg des Landers Philae zu seinem Ziel nur noch sieben Stunden – nach zehn Jahren und 6,4 Miliarden Kilometern Anflug. Nun mussten die Wissenschaftler ihre Kontrolle an Newtons-Gesetze abgeben, die Philae an sein Ziel trugen. Nur von der Gravitation angetrieben fiel der Lander wortwörtlich auf den Kometen.

Da dieser jedoch ungefähr die Konsistenz von Kork oder Styropor hat und seine Anziehungskraft extrem schwach ist, erwartete Philae eine weiche Landung. Die größte Gefahr dabei: Der Lander hätte einfach vom Kometen abprallen können. Um das zu verhindern, sollte eigentlich ein Gas-Antrieb auf dem Dach eingesetzt werden. Er sollte Philae während der Landung auf den Kometen drücken. Zusätzlich war geplant, dass beim Aufprall zwei Harpunen bis zu zwei Meter tief in den Kometenkern hineingeschossen werden. 

Um 17:04 Uhr funkte der Lander die ersten Daten mit 28 Kilobit pro Sekunde  zurück zur Bodenstation. Doch für die Forscher blieb unklar: Saß Philae wirklich auf? Wie befürchtet hatte der Gas-Antrieb nicht gefeuert. Und es kam noch schlimmer: Auch die Harpunen wurden möglicherweise nicht ausgelöst. Hatte Philae sich eventuell schon wieder vom Kometen gelöst? 

Um 17:04 funkte der Lander die ersten Daten zurück zur Bodenstation

Nach der ersten Angst trafen jedoch beruhigendere Daten ein: „The Lander is sitting on its own“, verkündete Andrea Accomazzo, Rosettas Flight Director, direkt aus dem Kontroll-Zentrum in Darmstadt. Philae war trotz der ausgefallenen Systeme erfolgreich gelandet.

Was genau mit den Harpunen passierte, war zu diesem Zeitpunkt immer noch unklar. Mittlerweile ist bestätigt, dass sie bei der Landung nicht ausgelöst wurden. Das könnte einige der Experimente, die der Lander auf dem Kometen durchführen soll, erschweren. Vor allem Bohrungen in den Kometenkern wären dann nur eingeschränkt möglich. Mission Manager Fred Jansen bestätigt, dass der Lander durch den Einsatz des Bohrers kippen könnte. Auch einen weiteren Versuch, die Harpunen zu verankern hält er für zu gefährlich, bevor sicher sei, wie die Lage genau ist.

Die nächsten 64 Stunden sind die heiße Phase.

Die nächsten 64 Stunden gelten als wirklich heiße Phase. Jetzt führt Philae die wichtigsten Untersuchungen durch, danach ist die erste Ladung seiner Batterie aufgebraucht. Wie lange danach noch geforscht werden kann, hängt davon ab, wie effektiv die Solarpanele des Landers arbeiten. Deren Arbeit wiederum ist abhängig davon, wie viel Staub sich bereits auf sie gelegt hat. 

Die Forscher hoffen auf mehrere Monate voller Experimente. Doch ob es dazu kommt, wird sich erst zeigen, wenn klar ist, wie stabil Philae auf dem Kometen steht. Ohne die Harpunen könnte sich der Lander lösen, wenn der Komet ausgast. Pro Sekunde verliert der Komet 300 Milliliter Wasser, in Hochzeiten sogar bis zu fünf Liter. Je näher der Komet der Sonne auf seiner elliptischen Bahn kommt, desto mehr Gas stößt er aus. Dieser Vorgang bildet den typischen Kometenschweif, und könnte dafür sorgen, dass Philae seine Stabilität verliert.

Da die Harpunen nicht ausgelöst wurden, kommt ein zweites Problem hinzu: bei der Landung prallte Philae zweimal vom Boden ab, bevor der Lander stabil stehen blieb. Seinen eigentlichen Landeplatz verfehlte Philae deshalb um gut einen Kilometer, so Stephan Ulamec während des Briefings am Morgen nach der Landung.

Die ersten Fotos der Lander-Kamera vom Landungsort sind bereits eingetroffen und zeigen, dass der neue Landeplatz aus zwei Gründen nicht ganz ideal ist: Einer der Füße befindet sich frei in der Luft, weil Philae auf einer Kante gelandet ist. Außerdem ist der Bereich, in dem sich Philae nun befindet, schlechter beleuchtet als der ursprüngliche Landeplatz. Auch dies könnte sich auf die Forschungsergebnisse auswirken. Aufgrund der niedrigen Sonneneinstrahlung können die Solarpanele weniger gut arbeiten — Philae könnte also bald die Energie ausgehen.

Doch selbst wenn die Sonne erst in mehreren Monaten wieder im richtigen Winkel auf die Solarpanele trifft, ist dies kein Aus für die Mission. Der Lander kann bis dahin in einen Tiefschlaf versetzt werden, erklärte Fred Jansen, Mission Manager.

Holger Sierks, Principal Investigator der OSIRIS-Kamera, ist derzeit mit seinen Geräten noch auf der Suche nach Philae. Die Sonde Rosetta fotografiert derzeit den Kometen und hat nichts mehr im Sinn, als den Lander zu finden und ein Foto von ihm zu machen.

"I want to thank everybody who worked on this mission", sind die abschließenden Worte von Fred Jansen dem Mission Manager. Er kann kaum glauben, dass er und sein Team es wirklich geschafft haben, und ist den Tränen nahe.

Der Dank der Wissenschaftler geht vor allem auch an den Designer von Philae, der dem Lander die Möglichkeit gab zu hüpfen. Ohne genau diese Funktion wäre die Landung wohl gescheitert.

Jean-Pierre SHIVA Principal Investigator betont, die Probleme bei der Landung sollten nicht als Fehlschlag gewertet werden. Es sei großartig, was bereits erreicht wurde. Nämlich viel mehr, als man zu Beginn der Mission gehofft hatte.

Auch Gerhard Schwehm, der ehemalige Mission Manager von Rosetta, zeigte sich trotz der Probleme erleichtert über die dann doch geglückte Landung. Schwehm hatte das Abenteuer Rosetta seit den ersten Plänen vor knapp 30 Jahren begleitet — bevor er es an Jansen übergab. Mehr über seine Geschichte und die Hintergründe der Mission erfahrt ihr in der WIRED Germany Mulitmedia-Story.

Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens
Seit Jahrtausenden blicken Menschen in den Sternenhimmel und fragen sich woher wir stammen. Die Reise der Sonde Rosetta zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko könnte uns eine Antwort darauf liefern. Zur Multimedia-Story. 

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