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Wie sieht der echte Stammbaum der Dinosaurier aus?

von Anna Schughart
Obwohl sie seit Millionen von Jahren ausgestorben sind, herrscht bei den Dinosauriern gerade viel Bewegung. Wissenschaftler sind sich sehr uneins darüber, wie der korrekte Dinosaurierstammbaum aussieht.

Mehr als 100 Jahre lang gab es praktisch nur einen Dinosaurierstammbaum und die Verwandtschaftsverhältnisse schienen klar: Auf der einen Seite stehen die Vogelbeckendinosaurier (die sogenannten Ornithischia) auf der anderen Seite gibt es die Echsenbeckendinosaurier (Saurischia), zu denen Sauropoden wie Brontosaurus und Theropoden wie Tyrannosaurus gehören.

Doch der Doktorand Matthew Baron stellte diese Ordnung, die sich so ziemlich in allen Lehrbüchern findet, Anfang diesen Jahres auf den Kopf. In einem Nature-Paper nahm er mit Kollegen Tyrannosaurus und seine Theropoden-Kollegen aus der Gruppe der Echsenbeckendinosaurier heraus und schoben sie näher zu den Vogelbeckendinosauriern. Herauskommt dabei die neue Ordnung Ornithoscelida.

Klingt nicht nach einem so großen Unterschied? „Das wäre, wie wenn man sich heute den Stammbaum der Säugetiere anschauen und sagen würde, dass wir glauben, dass Katzen und Hunde doch nicht so nah miteinander verwandt sind; dass die Hunde eher näher mit den Affen verwandt sind“, sagt einer der Co-Autoren der Studie, Paul Barrett.

Klar, dass andere Forscher da ziemlich skeptisch reagieren. Der von Baron vorgeschlagene Dinosaurierstammbaum sei eine „sehr provokative These“, sagt etwa Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie und zitiert dann den berühmten Astrophysiker Carl Sagan: „Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnlich starke Beweise.“ Wenn Baron oder irgendjemand anderes also behauptet, der Stammbaum der Dinosaurier müsse neu geschrieben werden, dürfen sie sich nicht wundern, wenn andere das überprüfen wollen.

Replik auf Baron

Zu den Menschen, die die Idee mit einiger Zurückhaltung betrachten, gehört beispielsweise der brasilianische Paläontologe Max Langer. In einer Replik auf Barons Nature-Artikel stellt er zusammen mit Kollegen – zu denen auch Rauhut gehört – dar, warum das so ist.

Dazu muss man verstehen, wie die Dinosaurierstammbäume überhaupt entstehen. „Ein solches Diagramm ist eine Hypothese“, erklärt Martin Sander von der Universität Bonn. Ihr zugrunde liegt eine sogenannte „Merkmalsmatrix“, in der die verschiedenen Dinosaurierarten nach ihren Skelettmerkmalen codiert werden: Wie sieht beispielsweise der Oberschenkelknochen dieser Art aus? Ist er gerade oder krumm, hat er an einer bestimmten Stelle eine Zacke? Aus diesem Datensatz stellt ein Algorithmus dann die verschiedenen Gruppen zusammen. „Dabei nimmt man an, dass die Evolution sparsam vorgegangen ist“, sagt Sander. Heißt: Veränderungen am Skelett treten nicht plötzlich, sondern in einzelnen „Evolutionsschritten“ auf. Anschließend muss man das Ergebnis bewerten und schauen, ob es Sinn hat.

Das Problem an dieser Methode ist jedoch: Ob man ein Merkmal als „vorhanden“ oder „nicht vorhanden“ codiert, ist teilweise sehr schwierig zu beurteilen und auch subjektiv. Außerdem hängt es davon ab, wie genau das Merkmal überhaupt definiert wurde.

457 Merkmale von mehr als 70 Arten

457 Merkmale von mehr als 70 Arten haben Baron und seine Kollegen für ihre Analyse verwendet, „aber nur etwa ein Drittel der Fossilien haben sie selbst untersucht“, sagt Rauhut. Den Rest hätten die Forscher anhand von Beschreibungen codiert. In der neu veröffentlichen Replik antwortet deshalb ein Team aus Wissenschaftlern, die zusammengenommen alle von Baron genutzten Fossilien selbst schon einmal untersucht haben. „Wir haben alle Merkmale anhand unserer eigenen Beobachtungen überprüft und zusätzlich noch ein paar weitere Arten hinzugefügt“, sagt Rauhut. Das Ergebnis? Alles nicht so eindeutig.

Zwar spreche ihre Analyse eher für die klassische Lösung, aber Barons These sei „nicht viel unwahrscheinlicher“, sagt Rauhut. Die Wissenschaftler haben aber auch Hinweise auf eine dritte (lange vergessene) Stammbaumkonstellation gefunden, in der es die Theropoden sind, die plötzlich alleine bleiben. „Das Spannendste an unserem Ergebnis ist eigentlich, dass es anhand der Daten, die wir haben, praktisch unmöglich zu sagen ist, was am Ursprung der Dinosaurier genau passiert ist“, sagt Rauhut.

Dass gerade jetzt so viel in Bewegung kommt, ist kein Zufall. Die Methoden, um diese Verwandtschaftsdiagramme aufzustellen, haben sich in der Vergangenheit verbessert. Es gibt mittlerweile auch viel mehr Fossilien. „Mit wenig Arten ist es leichter, einen klar getrennten Stammbaum zu konstruieren, als wenn man ganz viele Arten hat, die die Lücken füllen“, sagt Sander. Die neuen Funde verwischen die Grenzen.

Neue Methoden

Was also tun? „Wir brauchen zum einen mehr Funden von frühen Dinosauriern und ihren ganz nahen Verwandten“, sagt Rauhut. Es wäre außerdem gut, sich die bekannten Funde noch einmal ganz genau anzuschauen und zu überprüfen. „Vielleicht brauchen wir auch neue Methoden, um das aufzulösen“, sagt Sander. Das könnte in Zukunft vielleicht die Molekularbiologie sein. Zwar sind die Dinosaurier ausgestorben und DNA-Proben bekommt man von ihnen nicht mehr, „aber aus den Knochen lassen sich organische Moleküle isolieren, die auch Informationen zu den Verwandtschaftsverhältnissen haben“, sagt Sander. „Das ist aber noch Zukunftsmusik.“

Auch wenn die Suche nach der richtigen Lösung ziemlich schwierig ist, die Wissenschaftler werden sicher nicht aufgeben. „Dinosaurier sind ganz wichtige Modellorganismen zum Verständnis der Evolution“, sagt Sander. Ihre Entwicklung verrät viel darüber, wie die Evolution allgemein abläuft.

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