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Was passiert im Gehirn eines Fußballers, der einen Elfmeter verschießt?

von GQ
Was passiert eigentlich im Gehirn von Elferschützen und wie schießt man den perfekten Strafstoß? Experten geben Antworten. Eine davon: Die Fußballer machen leider genau die Fehler, die sie zu vermeiden versuchen. Das ist zu erklären.

Nicht nur deutsche und italienische Fans verfolgten am vergangenen Samstagabend angespannt das Elfmeterschießen im Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft. Jedem Zuschauer dürfte es schwergefallen sein, angesichts dieses Krimis nicht nach Luft zu schnappen, das Gesicht zu verziehen und Mitleid mit denen zu haben, die ihre Elfmeter am Tor vorbei schossen oder deren Schüsse gehalten wurden.

Simone Zaza und sein ausgeklügelter Anlauf mögen den deutschen Fans vielleicht eine kleine Erleichterung verschafft und eine Welle von Memes ausgelöst haben – aber was passiert eigentlich im Gehirn eines Fußballers, der zum Elfmeter antritt? Und warum scheinen trainierte Profis psychisch zu zerbrechen, wenn sie allein vor dem Tor stehen?

Laut Forschern der britischen Bangor University verfehlen Spieler in gravierenden Momenten das Tor, weil sie genau den Fehler machen, den sie zu vermeiden versuchen. Bekannt ist das als „ironischer Fehler“. Dieser könnte im Gegenzug auch erklären, warum die Deutschen typischerweise so gut sind im Elfmeterschießen.

„In einem Wettkampf wie der EM 2016 platziert ein Spieler den Ball auf dem Elfmeterpunkt und sagt zu sich selbst: ‚Ziel links, aber triff auf keinen Fall den linken Pfosten.‘“, erklären der Sportpsychologe Recep Gorgulu und Tim Woodman, Professor und Leiter der Sportschule der Bangor University. „Während dem Training oder einem weniger wichtigen Spiel würden sie ohne Probleme das Netz treffen.“

„Das ist aber ein Spiel mit viel höherem Druck – ein Stadion voll schreiender Fans und hunderte Millionen Zuschauer in der ganzen Welt, die beobachten, wie er diese Schritte zurück macht.“, sagen die Forscher über das Viertelfinale zwischen Deutschland und Italien. In den meisten Fällen schieße der Spieler den Ball auch nicht weit am Torpfosten vorbei oder über die Latte, sondern genau an den linken Pfosten. „Weil er sich vorgenommen hat, genau das nicht zu tun, nennen wir das den ‚ironischen Fehler‘.“

Gorgulu und Woodman erklären, dass das Gehirn sich auf zwei Prozesse verlassen muss, wenn es den Körper zu etwas veranlasst: einen operierenden und einen überwachenden. Der operierende Prozess ist dafür verantwortlich, alle Schritte zu identifizieren, die uns zum gewollten Ziel führen. Beim Elfmeter wären: die Anzahl der Schritte, die man rückwärts geht; die Stelle, an der man den Ball treffen möchte; das Anlaufnehmen; den nicht-schießenden Fuß neben dem Ball zu platzieren; und dorthin zu treffen, wohin man gezielt hat.

Zur gleichen Zeit laufe ein überwachender Prozess: Er funktioniert wie eine Radarortung, die nach Informationen dazu sucht, was falsch laufen könnte. In diesem Fall wäre das: den Pfosten zu treffen. Sobald er die Risiken erkannt hat, veranlasst der überwachende den operierenden Prozess, stärker nach Schritten zu suchen, die dafür sorgen, dass alles nach Plan läuft. In diesem Fall wäre das: das Tor zu treffen. „Beide Prozesse arbeiten unter einem Kontrollsystem und agieren zusammen als Teil einer Rückkopplungsschleife“, erklären die Forscher.

Durch den Versuch, den Fehler zu vermeiden, werden die Gedanken noch mehr auf ihn fokussiert

Recep Gorgulu und Tim Woodman

Dieses System führt normalerweise zum Erfolg und gibt uns die mentale Kontrolle über unsere Vorhaben. In Drucksituationen, wie während eines Elfmeterschießens bei der Europameisterschaft 2016, ist der Raum im Gehirn, der für den operierenden Prozess zuständig ist, allerdings überlastet. Das „Ich weiß, was zu tun ist“ konkurriert mit dem „Ich bin nervös“ um den begrenzten mentalen Platz und die Panik macht die Selbstsicherheit weniger effektiv.

Auf der anderen Seite bleibt der überwachende Prozess unter Druck weitgehend unbeeinträchtigt, weil es auf einem unbewussten Level arbeitet und keinen kognitiven Platz wegnimmt. Wenn wir unter Druck sind, setzt sich deswegen der überwachende Prozess durch.

Wenn nach Informationen gesucht wird, was unter Druck schieflaufen kann – und hier liegt die Ironie des Ganzen –, bringt das Gehirn das, was misslingen könnte, ins Bewusstsein der Person. Anders gesagt: Der mentale Prozess, der dem Spieler helfen sollte, nicht den linken Pfosten zu treffen, ist genau der Grund, weswegen er ihn am Ende höchstwahrscheinlich trifft. „Durch den Versuch, den Fehler zu vermeiden, werden die Gedanken noch mehr auf ihn fokussiert“, erklären die Forscher.

Jüngste Entdeckungen der Bangor University zeigen, dass neurotische Spieler zwar eher diese sogenannten „ironischen Fehler“ machen, die anfälligsten Spieler aber diejenigen sind, die ihre Angst überspielen, indem sie „cool“ tun. Das liegt daran, dass ihr Gehirn von Aussagen überladen wird, die ihr Verhaltensweise begrenzen: „Sei cool“ und „Zeig nicht, dass du Angst hast“. Das deutsche Team zum Beispiel übt einige Methoden dagegen und ist dadurch mental wie körperlich extrem diszipliniert.

Der einfachste Weg, „ironische Fehler“ zu vermeiden, ist, die Angst mit Hilfe von Entspannungsstrategien zu hemmen. Spieler können etwa Techniken zur Atemkontrolle oder sogenannte progressive Muskelentspannung anwenden, bei der Muskelgruppen so fest wie möglich angespannt und für einige Sekunden gehalten werden. Die Muskeln werden dann schrittweise bis zu ihrem ursprünglichen Zustand entspannt und der Spieler spürt eine Erleichterung, die seine Angst mindert.

Ein anderer Weg ist es, negative Instruktionen positiv umzuformulieren. Anstatt sich selbst zu sagen „Schieß nicht gegen den linken Pfosten“, könnte der Spieler auch den genauen Punkt anpeilen, wo er das Netz treffen möchte. Es wird interessant zu beobachten, ob dieser Ratschlag in den kommenden Spielen der Europameisterschaft 2016 auf dem Weg zum Finale umgesetzt wird.

Wie man wissenschaftlich gesehen den perfekten Elfmeter erzielt:

MBNA sprach vor Kurzem mit Elfmeter-Experte Ben Lyttleton, um herauszufinden, wie man den perfekten Elfmeter schießt. Lyttleton, Autor von Elf Meter: Die Kunst des perfekten Strafstoßes, hat Clubs und Nationalmannschaften zu Elfmeterstrategien beraten und ist ebenfalls der Meinung, dass das Ganze zum großen Teil Kopfsache des Spielers ist. Hier sind seine Empfehlungen:

#1 Gewinne den Münzwurf und mach den ersten Schuss
Das Team, das als erstes schießt, wird mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch das Elfmeterschießen gewinnen – teilweise weil die Verwandlungsrate für geschossene Elfmeter, die dazu dienen „im Elfmeterschießen zu bleiben“, in großen Turnieren um 62 Prozent sinkt, während die Verwandlungsrate für geschossene Elfmeter, die zum Sieg verhelfen sollen, um 92 Prozent steigt.

#2 Hebe dir nicht den besten Spieler bis zum Schluss auf
Keiner möchte das Elfmeterschießen verlieren, bevor der beste Schütze seinen Versuch bekommt – was passieren könnte, wenn er erst an fünfter Stelle kommt. Studien, die jedem Schuss eine „Wichtigkeitsvariable“ zuordnen, zeigen, dass der erste und vierte für das Endergebnis am bedeutsamsten sind. Die Reihenfolge ist also wesentlich.

#3 Warte, bis sich der Torwart bewegt
Statistiken lassen erkennen, dass diese Methode erfolgreicher ist, als den Ball einfach aufs Tor zu bolzen, egal wohin der Keeper sich bewegt – auch wenn es schwieriger durchzuziehen ist.

#4 Lass den Torschützen warten
Studien zeigen, dass wenn ein Torhüter den Schützen für 1,7 bis 4,5 Sekunden warten lässt, bevor der Schiedsrichter pfeift, die Verwandlungsrate in großen Turnieren um 61 Prozent sinkt.

#5 Körpersprache spielt eine Rolle
Falls ein Spieler erfolgreich ist, wenn der Punktestand gleich ist und er mit beiden Armen ausgestreckt jubelt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sein Team weiterhin trifft und hält – und am Ende sogar gewinnt – um 82 Prozent.

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED UK

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