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Warum wir online für Musik bezahlen, obwohl wir nicht müssen

von Joely Ketterer
„Pay-what-you-want“ heißt das Prinzip: der Käufer bestimmt den Preis der Ware. 2007 startete die Band Radiohead die bisher bekannteste und profitabelste PWYW-Aktion. Nur mit dem digitalen Vertrieb ihres Albums „In Rainbows“ nahm sie mehr ein, als mit dem kompletten Verkauf der LP davor. Eine Studie der Universität Bonn erklärt jetzt: Warum zahlen wir online für Musik wie die von Radiohead, obwohl wir nicht müssen?

Für die digitale Version ihres Albums In Rainbows bot Radiohead seinen Fans an: Zahlt soviel ihr möchtet! Seit der Veröffentlichung 2007 haben schon einige Bands das PWYW-System ausprobiert. Denn, das Prinzip ist enorm erfolgreich. Über drei Millionen Alben verkaufte Radiohead mit der Strategie. Noch bevor die physischen Tonträger erhältlich waren, hatte die britische Rockband mehr eingenommen als beim gesamten Verkauf ihres vorherigen Albums Hail To the Thief. Woran liegt es, dass diese Verkaufsidee so erfolgreich ist?

Die Untersuchungen einer Gruppe Neuro- und Verhaltenswissenschaftlern an den Universitäten Bonn und Ulm geben jetzt einen Einblick in den Kopf von zahlungswilligen Fans. In ihrem Artikel für frontiers in Psychology schreiben die Forscher, dass unser Wille zu Zahlen tatsächlich etwas mit unserem Streben nach sozialer Akzeptanz zu tun hat. Eine Mischung aus Bildgebungstechnologien fürs Gehirn und simple Verhaltensanalyse führten sie zu ihren Erkenntnissen.

2012 fing alles an: Eine wissenschaftliche Arbeit ergab, dass ein Teil des Gehirns, der linguale Gyrus, neben seiner Funktion als Erklärer und Ordner von dem, was wir sehen, noch bei etwas Anderem hilft. Mit ihm deuten wir die Emotionen und Gesichtsausdrücke anderer Menschen. Das wiederum ermöglicht es uns, zwischen sozialer Akzeptanz und Zurückweisung zu unterscheiden.

„Pay-What-You-Want“ kann theoretisch genauso heißen: „pay nothing at all“

Diese Entdeckung konnte den Anstoß für die PWYW-Studie geben. Hier hörten 25 Teilnehmer jeweils 30 Sekunden Musik. Danach sollten sie entscheiden, ob sie das dazugehörige Album kaufen würden. Manche von ihnen hatten die Möglichkeit zu bestimmen, wieviel Geld sie investieren würden – sie konnten also auch entscheiden, die Songs zu behalten, ohne zu bezahlen. „Pay-What-You-Want“ kann ja theoretisch genauso heißen: „pay nothing at all“. Der Käufer hat es in der Hand. Und meistens zahlt er. Im Fall von Radiohead oft doppelt so viel, als das Album tatsächlich kosten würde.

Bei anderen Teilnehmern des Experiments, war der Preis von den Forschern schon festgelegt, den Testpersonen war er aber nicht bekannt. Sie konnten genauso einen Wert vorschlagen, wussten aber nicht, dass sie die Musik nur behalten dürfen, wenn ihr Vorschlag über dem angesetzten Betrag liegt. Während diesen Versuchen wurde die Gehirnaktivität der Teilnehmer beobachtet.

Im Falle des festgelegten Preises wurden Strukturen im Gehirn aktiv, die Teil des so genannten Belohnungssystems sind. Je mehr dem Zuhörer die Musik gefiel, desto stärker war die Aktivität und desto höher der Preisvorschlag hinterher. Klarer Fall: Die Freude an der Musik bestimmte auch die Freude am Geld ausgeben.

Wenn die Zuhörer den Wert selber bestimmen durften, beobachteten die Forscher etwas anderes: Die Stärke der Hirnaktivität hatte keineswegs eine unmittelbare Verbindung mit dem Preis, der später geboten wurde. Stattdessen zeigte sich ein anderer Bereich im Gehirn aktiv, der im Szenario mit dem festgelegten Preis überhaupt nicht aufgefallen war: der linguale Gyrus. 

Das Gehirn wechselt den Modus: Soziale Erwägungen kommen emotionalen und wirtschaftlichen in die Quere

Die Forscher durchkämmten hunderte Datenbanken zum Thema „lingualer Gyrus“ und fanden eben jene Studie von 2012, die besagt, dass dieser Bereich des Gehirns stark auf visuelle Stimulationen reagiert, die eine soziale Komponente haben. Wenn wir im Gesicht unseres Gegenübers einen Ausdruck der Zurückweisung entdecken, war der linguale Gyrus aktiv. Durften die Teilnehmer den Preis eines Musikstücks festlegen, wurde auch der linguale Gyrus aktiv. Dadurch wechselte das Gehirn den Modus: Soziale Erwägungen kamen emotionalen und wirtschaftlichen in die Quere.

Die Erklärung, so meinen die Forscher, ist noch immer nur eine Hypothese. Grundsätzlich ist es aber ein Prinzip, das nicht nur im Musikvertrieb funktioniert, sondern auch in der Gastronomie oder im Hotelbusiness. Sobald soziale Aspekte eine Rolle in unseren wirtschaftlichen Entscheidungen spielen, funktionieren wir anders: wir denken zum Beispiel an Fairness. Die Wissenschaftler hoffen in weiteren Studien mehr Belege für ihre Erkenntnisse zu finden. Das Radiohead-Szenario vor fast zehn Jahren hat die Musikindustrie verblüfft – an manchen Stellen entrüstet. Vielleicht könnte Kempinski ein ähnlicher Coup gelingen, wie damals Thom Yorke und Band.

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