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Wie gefährlich sind Terroranschläge mit manipulierten Viren?

von Anna Schughart
Ein „Killervirus“, das aus dem Labor entkommt. Terroristen, die eine globale Pandemie auslösen. Horrorszenarien sind schnell an die Wand gemalt. Doch wie geht man am besten mit Forschung um, die legitimen Zwecken dient, aber potenziell auch katastrophale Folgen haben kann?

Ron Fouchier hält es für unwahrscheinlich, dass Terroristen seine Arbeit als Bauplan für Biowaffen nutzen könnten: „Es gibt Krankheitserreger, die innerhalb von kurzer Zeit zum Tod führen und weitaus ansteckender sind als unsere Viren. Die würden sich als Waffe viel besser eignen“, sagte der Forscher schon 2013. Trotzdem hat seine Arbeit eine weltweite Debatte ausgelöst. Fouchier und seine Kollegen hatten das H5N1-Virus (Vogelgrippe) so bearbeitet, dass es nicht nur Vögel anstecken konnte, sondern über die Atemwege auch Frettchen – und damit potenziell auch Menschen.

Wie geht man mit Forschung um, die grundsätzlich gute Absichten verfolgt, zum Beispiel ein Virus besser zu verstehen, aber in den falschen Händen und unter falschen Umständen katastrophale Folgen haben könnte? Spätestens seit Fouchiers Experimenten wird das Problem „Dual-Use“ auch in der Biologie diskutiert. Vor einigen Wochen berichteten kanadische Forscher, sie hätten das Pferdepockenvirus im Labor synthetisiert. Das genetische Material dafür kam mit der Post. Das Virus ist ein Verwandter des Pockenvirus, das in der Natur nicht mehr existiert und für den Menschen hochgefährlich ist. Eine ähnliche Debatte läuft gerade um die Manipulation von Genmaterial mit der DNA-Schere Crispr.

Gregory Koblentz ist Politikwissenschaftler an der George Mason University in Fairfax. Er forscht unter anderem zum Thema „Biodefense“. Im Interview erklärt er, warum es seiner Meinung nach für Dual-Use bessere internationale Richtlinien geben müsste und was passiert, wenn jeder zu Hause DNA synthetisieren kann.

WIRED: Atomkraft kann zu friedlichen, aber auch zu kriegerischen Zwecken genutzt werden. Welche Gefahren gehen von solchem Dual-Use in der Biotechnologie aus?
Gregory Koblentz: Die meisten modernen wissenschaftlichen Technologien haben sowohl eine nützliche, zivile Anwendung, als auch eine militärische – Waffen mit eingeschlossen. Man kann der Problematik nicht entkommen, das ist die bedauerliche Realität. In der Biotechnologie gibt es zwei Gebiete, die besorgniserregend sind. Bestehende Einrichtungen – die zum Beispiel Impfstoffe oder Biopestizide produzieren – könnten für die militärische Nutzung umgewandelt werden. Ein Beispiel dafür ist der Irak, der in den 80ern und 90ern Anthrax produzierte. Auch terroristische Gruppen könnten Equipment, das sonst in Laboren genutzt wird, kaufen, um Waffen für die biologische Kriegsführung herzustellen.

WIRED: Welche Rolle spielt die Wissenschaft dabei?
Koblentz: Das ist der zweite Punkt: Wissenschaftler erforschen, wie man zum Beispiel das Genom von Influenza oder anderen Viren editieren kann. Das gleiche Wissen, das dazu dient, neue Medikamente oder Diagnosen zu entwickeln, kann auch die Übertragbarkeit oder Virulenz eines Krankheitserregers erhöhen. Dazu gehören Experimente, wie die an Influenza A/H5N1, die zum Beispiel dafür sorgen, dass ein Krankheitserreger auch über die Luft zwischen Menschen übertragen werden kann. Wenn diese Art von Forschung publiziert und verbreitet wird, könnte man sie auch für bösartige Zwecke missbrauchen.

Fouchiers Arbeit hatte nicht die nötige Qualität für ein wichtiges wissenschaftliches Journal

Gregory Koblentz

WIRED: Ist es dann besser, solche Experimente gar nicht erst durchzuführen?
Koblentz: Darum geht es nicht. Es war richtig, H5N1 in den wissenschaftlichen Review-Prozess aufzunehmen. Der Virus ist aktuell ein großes Gesundheitsrisiko. Es besteht die Gefahr, dass er sich auf natürliche Art und Weise so weiterentwickelt, dass er eine menschliche Pandemie auslöst. Gleichzeitig hat dieses Forschungsprojekt aber Risiken produziert, die nicht gut gehandhabt wurden.

WIRED: Können Sie das erklären?
Koblentz: Die Ergebnisse des Experiments wurden auf einer wissenschaftlichen Konferenz und in den Medien diskutiert, bevor ein wissenschaftliches Journal oder ein Institut beurteilt hatte, ob die Vorteile gegenüber den Risiken überwiegen. Stattdessen hat der Studienleiter, Ron Fouchier, vorher klar gemacht, wie gefährlich der Influenza-Stamm ist, den er produziert hat. Das hat auch den Review-Prozess beeinflusst: Andere Biologen haben mir gesagt, dass seine Arbeit nicht die nötige Qualität für ein wichtiges wissenschaftliches Journal hatte. Aber der Hype brachte die Veröffentlichung. Das schafft für Andere den schlimmsten Anreiz, diese Art von Forschung zu betreiben.

WIRED: Ob veröffentlicht oder nicht: Kann nicht jeder mit einem grundlegenden Verständnis von Biologie diese Experimente durchführen?
Koblentz: Das kommt auf den Fall an. Bei einem Experiment sind die Details wichtig: das Vorwissen, der Effekt, den das Experiment hat und die Fähigkeiten und Erfahrung, die nötig sind, um es zu replizieren. Generell gilt die Regel: Wissenschaftliche Arbeit sollte frei veröffentlicht und verbreitet werden, zum Vorteil der Menschheit. Aber es gibt eben Fälle, in denen Informationen einfach für andere Zwecke genutzt werden können.

WIRED: Gibt es eine Lösung?
Koblentz: Man braucht Regeln und Richtlinien, mit denen man das Risiko von Forschung bewerten kann. Das kann bei der Entscheidung helfen, wie man Ergebnisse verantwortungsbewusst veröffentlicht. Das ist schwierig. Es gibt dafür keine internationalen Standards.

WIRED: Dabei wird die Forschung zunehmend internationaler...
Koblentz: Ja, Wissenschaftler in einem Land mit einem Regelwerk arbeiten mit Wissenschaftlern aus einem anderen Land zusammen, das wieder andere Regeln hat. Dann wird das Ganze in einem Journal veröffentlicht, das in einem dritten Land mit wieder unterschiedlichen Richtlinien sitzt. Diese Fragmentierung ist keine gute Voraussetzung, wenn man innovative Forschung machen möchte. Die unterschiedlichen Länder können verschiedene Systeme haben, aber sie sollten sich alle auf die gleichen Prinzipien einigen, sodass es über Grenzen hinweg eine Stetigkeit gibt.

WIRED: Wer hält diesen Prozess auf?
Koblentz: Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist viel Autonomie gewohnt. Sie entscheidet, was sie erforschen will und wie sie ihre Arbeit macht. Die Diskussion über Sicherheit und Verantwortung verletzt ihre akademische Freiheit, die Offenheit der Wissenschaft. Es gibt also definitiv einen gewissen Widerwillen, sich voll darauf einzulassen.

WIRED: Müssten Politiker hier eingreifen?
Koblentz: Viele, die an Gesetzen und Richtlinien arbeiten, haben keinen wissenschaftlichen Hintergrund. Sie können die Nuancen dieser Fragen nicht verstehen und schaffen so Rahmenbedingungen, die die Wissenschaft unnötig behindern. Die Wissenschaftler haben hier also eine legitime Sorge. Auch davor, dass die Entwicklung und Erforschung von besseren Medikamenten, Impfstoffen oder Diagnostika schwerer werden könnte.

Die Diskussion über Sicherheit und Verantwortung verletzt die akademische Freiheit

Gregory Koblentz

WIRED: In Zukunft könnte Biotechnologie immer mehr zur Do-It-Yourself-Technologie werden. Wie kann man jemanden regulieren, der zu Hause in seiner Küche mit DNA experimentiert?
Koblentz: Man muss sich auf die Dinge mit dem höchsten Risiko konzentrieren. Es wird eines Tages vielleicht kleine DNA-Synthetisierer für zu Hause geben, die Genome drucken können. Es wird nicht möglich sein, zu kontrollieren, was Menschen alleine tun. Aber es gibt bestimmte Bereiche, wo man höhere Mauern dafür bauen kann, dass jeder Zugriff auf die gefährlichsten Informationen hat. Wir werden niemanden daran hindern, etwas zu entwickeln, das eine Lebensmittelvergiftung auslöst – aber wir versuchen, Einzelpersonen oder Gruppen davon abzuhalten, einen großen Ausbruch oder eine weltweite Pandemie auszulösen.

WIRED: Unter dem Strich: Wie akut ist die Gefahr durch Dual-Use?
Koblentz: Er ist keine unmittelbare Bedrohung wie Nordkorea oder der Islamische Staat, sondern ein langfristiges Problem. Das behaupten wir jetzt aber seit mehr als 15 Jahren und es besteht immer noch. Deshalb sollten sich zumindest die in der Biotechnologie führenden Länder zusammentun und ein besseres internationales System entwickeln. Sie müssen versuchen, Wissenschaft zu identifizieren, die besonders besorgniserregend ist.

WIRED: Und falls das nicht gelingt?
Koblentz: Die Lifescience-Community, die synthetic-biology-Community, die DNA-Synthese-Industrie sollten proaktiver handeln. Denn so können sie das Risiko verringern, dass diese Technologien zweckentfremdet werden. Sobald es einen Vorfall gibt, der Schaden anrichtet, besteht die Möglichkeit einer starken Gegenreaktion gegen das gesamte Forschungsfeld. Dabei hat die synthetische Biologie ein enormes Potenzial und viel in der Medizin oder anderen Bereichen zu bieten.

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