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Untote Gene erwachen erst, wenn wir sterben

von Cindy Michel
Erst wenn das Herz nicht mehr schlägt, erwachen sie zum Leben: untote Gene. Was sich wie der Untertitel für einen seltsamen Horrorstreifen liest, entspricht aktuellen Forschungsergebnissen. Gene, die nach dem Tod eines Lebewesens nicht nur weiter existieren, sondern dadurch sogar erst aktiviert werden, könnten neue Methoden in der Forensik eröffnen, in der Krebsforschung und bei Organtransplantationen.

„Wir sind davon ausgegangen, dass der plötzliche Tod eines Wirbeltiers mit einem Auto vergleichbar wäre, dem der Sprit ausgeht. Für eine kurze Weile sind die Kolben noch aktiv und die Zündkerzen blitzen ein letztes Mal auf, bevor das Auto komplett liegen bleibt und stirbt“, erklärt Peter Noble, Mikrobiologe an der University of Washington. Dies beschreibe seine Erwartungshaltung, als er sich zusammen mit einem Team von Wissenschaftlern an die Erforschung der DNA von Mäusekadavern und toten Zebrafischen machte.

„Was wir in unserer aktuellen Studie herausgefunden haben überraschte.“ Denn hunderte von Genen laufen selbst Stunden nach dem Tod eines Organismus noch auf Hochtouren, manche sogar noch Tage danach. „In der Autoanalogie würde das bedeuten, dass der Wagen, lange nachdem ihm der Sprit ausgegangen ist, plötzlich zu hupen beginnt oder der Scheibenwischer einsetzen würde.“

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Was im Körper eines toten Lebewesens passiert, fasziniert Noble schon seit Langem. So hatte er vor zwei Jahren ein Paper veröffentlicht, indem er die Bakterien und Mikroben in verschiedenen Organen einer menschlichen Leiche untersucht. In seiner aktuellen Studie blickt der Forscher „aus reiner Neugier“ noch tiefer – und analysiert das Genom verstorbener Mäuse und toter Zebrafische, „um zu sehen, was mit dem Erbgut passiert, wenn man stirbt“, so Noble.

Für ihre Forschungen extrahierte und kontrollierte das Team Boten-RNA (m-RNA) aus dem Gewebe kürzlich verstorbener Tiere. m-RNA nimmt in der Genexpression einen wichtigen Part ein, ein höheres Level dieser Moleküle, soll eine höhere Genaktivität anzeigen. In einer ihrer Versuchsreihen konnten die Forscher 1063 verschiedene untote Gene protokollieren. Dabei stellten sie fest, dass insgesamt 515 der Mäusegene noch 48 Stunden nach dem Tod des Lebewesens aktiv waren, während 540 der Zebrafischgene sogar noch komplette vier Tage später funktionierten.

„Das verschlägt einem die Sprache“, berichtet Noble weiter in seiner Studie. Am meisten überraschten die Forscher allerdings die Zombie-Gene, die erst nach dem Tod des Tieres aktiv wurden und in den darauffolgenden 24-Stunden ihren funktionalen Höhepunkt erreichten.

Noble folgert, dass diese Gene von wieder anderen unterdrückt wurden. Erst als die „Unterdrücker“ mit dem Lebewesen starben, wurden die „abgeschalteten“ reanimiert. Viele der untoten Gene sind laut der Studie typisch für die embryonale Entwicklung. Dies würde wiederum bedeuten, dass der Degenerierungprozess von Leichen eng mit dem Entstehungsprozess von Leben verknüpft ist.

Andere Zombie-Gene haben Einfluss auf das Immunsystem oder den Stresslevel und wieder andere fördern das Wachstum von Krebszellen. Noble und sein Team glauben, dass diese mit Krebs assoziierten post-mortem aktiven Gene teilweise erklären könnten, warum Empfänger von Organtransplanten häufiger an Krebs erkrankten. Bisher glaubte die Forschung den Grund dafür bei speziellen Arzneien zur Unterdrückung der eigenen Immunabwehr gefunden zu haben.

Diese Erkenntnisse seien erst der Anfang, wie Noble meint. Denn im Tod läge die Verständnis für das Leben: „Wir können so viel mehr über das Leben lernen, wenn wir den Tod untersuchen.“

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