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Studie zeigt: Open-Source-Code von Frauen wird häufiger akzeptiert als der von Männern

von Chris Köver
GitHub ist die weltweit größte Plattform für das gemeinsame Arbeiten an Open-Source-Software. Eine Gruppe von US-Wissenschaftlern hat jetzt Daten der vergangenen Jahre analysiert und herausgefunden: Die Beiträge von Entwicklerinnen werden häufiger angenommen — allerdings nur, wenn ihr Geschlecht nicht zu erkennen ist.

Eigentlich waren die fünf ForscherInnen der North Carolina State University mit einer umgekehrten Hypothese gestartet: Sie gingen davon aus, dass Beiträge von Entwicklerinnen in Open-Source-Projekten seltener angenommen werden. Das war nicht komplett abwegig, denn dass in der Software-Branche Vorurteile gegen Frauen gepflegt werden, ist ein offenes Geheimnis: Studien belegen diese Doppelmoral etwa bei der Bewertung von Bewerbungen, im direkten Umgang miteinander oder bei der Lohneinordnung.

Die bislang größte Auswertung von Daten zu dieser Frage ergab dann aber genau das Gegenteil: Die Beiträge von Entwicklerinnen zum Code eines Projektes, Pull Requests genannt, wurden von den Administratoren auf der Programmier-Plattform GitHub nicht etwa seltener, sondern statistisch gesehen häufiger angenommen als die von Entwicklern.

Es klingt nach einer Sensation, allerdings nur vordergründig.

Vordergründig klingt das nach einer Sensation, allerdings nur vordergründig. Denn der Erfolg der Entwicklerinnen hielt, wie sich bei näherer Betrachtung zeigte, nur so lange an, wie sie ihr Geschlecht in ihrem Profil verschleierten. Waren sie durch Profilnamen oder Foto klar als Frau erkennbar, hatten sie es auf einmal schwerer und ihre Einreichungen wurden im Schnitt eher abgewiesen. Anders gesagt: Sexismus.

Als Ausgangsmaterial für die Studie besorgte sich das Forscherteam zunächst Daten, die die GitHub offen zur Verfügung stellt: zur Zahl der Nutzer, der Projekte und Pull Requests. Diese Daten reicherten sie mit weiteren Informationen zum Status jeder einzelnen Pull Request an, die sie selbst aus der Webseite extrahiert hatten.

Was ihnen jetzt noch fehlte, war das Geschlecht. GitHub macht dazu keine Angaben. Um festzustellen, welche NutzerInnen sich als Frauen, welche als Männer identifizieren, mussten die ForscherInnen die E-Mail-Adressen auf GitHub mit einem Google+ Profil verknüpfen — wo Nutzer ihr Geschlecht selbst angeben. Aus den insgesamt 4.037.953 GitHub-Profilen in ihren Daten konnten sie mit dieser Methode rund 35 Prozent einem Geschlecht zuordnen: mehr als 1,4 Millionen Profile.

Ein ganz ordentlicher Datensatz also, um die Ausgangsfrage zu untersuchen: Hat die Open-Source-Software-Szene einen Knick in der Optik, wenn es um Geschlecht geht? Werden die Einreichungen von Frauen seltener akzeptiert als die von Männern?

Die Geschlechterverhältnisse ähneln denen in deutschen Vorständen.

Um sie zu beantworten, berechnete das Team die „Merge Rate“ für die Anfragen von Frauen wie Männern: Wie oft wurde ein Pull Request — also eine vorgeschlagene Änderung am Programmcode — in das Projekt übernommen? An den Ergebnissen lassen sich zwei aufschlussreiche Dinge erkennen. Erstens: Die Geschlechterverhältnisse in Open Source-Projekten ähneln denen in deutschen Vorständen. In absoluten Zahlen ist der Anteil an Frauen lächerlich gering. Zweitens: Die wenigen Frauen sind echte Cracks. Fast 80 Prozent ihrer Vorschläge wurden angenommen, dagegen nur rund 75 Prozent der Vorschläge, die Männer gemacht hatten.

„Unsere Hypothese war nicht nur falsch,“ schreiben die ForscherInnen, „es geht sogar in eine andere Richtung als angenommen: Frauen neigen zu einer höheren Akzeptanzrate als Männer!“ (Offen bleibt, ob das Ausrufezeichen am Ende dieses Satzes Begeisterung oder lediglich Schock ausdrücken soll.)

Auf der Suche nach Gründen für das überraschende Ergebnis stellt das Team weitere Hypothesen auf. Vielleicht, mutmaßten sie, läge es daran, dass die Frauen sich in den Projekten, an denen sie mitarbeiten, einfach schon besser auskennen. Auf GitHub können sowohl sogenannte Insider (also autorisierte MitarbeiterInnen) als auch Outsider (jeder dahergelaufene GitHub-Nutzer) Vorschläge einreichen. Aber selbst das Team die Outsider-Anfragen aus den Daten herausrechneten, hatten die Frauen eine noch höhere Akzeptanzrate.

Eine Elitetruppe, die ihre männlichen Kollegen an die Wand codet.

Eine weitere Möglichkeit, die das Team in Erwägung zieht, ist der so genannte Survorship-Bias: Womöglich haben es Frauen in den Software-Projekten einfach schwerer, sich mit ihren Vorschlägen durchzusetzen und steigen gleich am Anfang entmutigt aus. Übrig bliebe dann nur die Creme, eine Art Elitetruppe von Entwicklerinnen, so fähig und durchsetzungsstark, dass sie ihre männlichen Kollegen an die Wand coden und argumentieren können.

Um das zu untersuchen, verglichen die ForscherInnen die Performance in Kombination mit der Zahl der Einreichungen. Aber die hohe Akzeptanzrate von Entwicklerinnen blieb bestehen — egal, ob sie nur einen einzigen oder mehr als 60 Einreichungen gemacht hatten.

Auch die Hypothese, dass Frauen vielleicht nur Kleinkram am Code ändern wollen, und ihre Vorschläge daher eher angenommen werden, ließ sich nicht erhärten. Die Pull Requests von Entwicklerinnen entfernten insgesamt mehr Code, fügten mehr neuen Code hinzu und änderten mehr Dateien als die von Männern, sie waren also alles andere als konservativ. „Ausgehend von allen Metriken sind die Beiträge von Frauen signifikant größer als die von Männern,“ schreibt das Team.

Schließlich fragten sich die ForscherInnen, ob man diese Gleichung womöglich umdrehen sollte: Kann es sein, dass die Einreichungen von Frauen womöglich sogar bevorzugt werden, gerade weil sie von Frauen kommen? Die Projekt-Administratoren könnten positiv sexistisch handeln und Frauen bewusst bevorzugen, um sie zu unterstützen.

Werden Einreichungen von Frauen bevorzugt, gerade weil sie von Frauen kommen?

Um das zu untersuchen, trennten die Forscherinnen die Profile in zwei Kategorien: Geschlechtsneutral waren dabei Profile, die eine generische Grafik verwendeten und einen neutralen Login-Namen wie „akofink“. Geschlechtsmarkiert waren hingegen Profile, die einen klar männlichen oder weiblichen Namen verwendeten oder per Foto einem Geschlecht zuzuordnen waren. Um ganz sicher zu gehen, präsentierte das Team die geschlechtsneutralen Profile zusätzlich einer menschlichen Jury.

Das Ergebnis birgt die vermutlich interessanteste Erkenntnis des gesamten Papers: Kam der Vorschlag von einer „Insiderin“, also einer bekannten Person, machte es keinen Unterschied, ob die Entwicklerin als Frau zu erkennen war oder nicht: Die Vorschläge wurden mit der gleichen Wahrscheinlichkeit angenommen. Handelte es sich aber um Vorschläge von Outsiderinnen, so sah man einen signifikanten Unterschied: Entwicklerinnen, die als Frauen zu erkennen waren, wurden dann deutlich öfter abgelehnt als diejenigen mit geschlechtsneutralen Profilen. Der Gender Bias, also der Verzerrungseffekt durch das Geschlecht, scheint also vor allem zu wirken, wenn es sich um eine unbekannte Person handelt.

Die wahrscheinlichste Theorie, um die oben genannten Beobachtungen zu erklären, so schließen die AutorInnen: Frauen in der Open-Source-Szene sind im Schnitt schlichtweg kompetenter als ihre männlichen Kollegen. Gleichzeitig werden sie aber auf Basis des Geschlechts diskriminiert.

Da drängt sich als nächstes die Frage auf: Warum sind Frauen im Schnitt die besseren Entwicklerinnen? Wenn man davon ausgeht, dass dieser Unterschied nicht genetisch, hormonell oder durch irgendeinen anderen biologischen Faktor bedingt ist (und auch nicht dadurch, dass Frauen von einem anderen Planeten kommen), kann es dafür nur soziale Gründe geben.

Frauen sind die besseren EntwicklerInnen – vermutlich gerade weil sie diskriminiert werden.

Auch hier bieten die AutorInnen als Erklärung den Survivorship Bias an. Womöglich neigten weniger kompetente Frauen auf dem Weg von der Schule an die Uni und in den Job eher dazu, aus der Informatik auszusteigen und sich einen anderen Job zu suchen. Männer blieben dagegen eher dabei, egal wie viel sie tatsächlich drauf haben. Auch ein anderer Verzerrungseffekt könnte eine Rolle spielen: Frauen wären dann im Schnitt besser als Männer, weil sie höhere Ansprüche an sich stellen und erst dann Code zu einem Open Source-Projekt beitragen, wenn sie ihre Fähigkeiten als sehr hoch einschätzten. Männer hätten kein solches Problem mit dem eigenen Selbstbewusstsein.

Das Paper liegt derzeit auf einem so genannten Pre-Print-Server, es wurde noch nicht von anderen Wissenschaftlern überprüft und veröffentlich. Die Methodik und die angebotenen Begründungen erscheinen jedoch plausibel. Am Ende bleibt man etwas durchgerüttelt mit folgenden Erkenntnissen zurück: Frauen sind im Schnitt die besseren EntwicklerInnen, vermutlich gerade weil sie diskriminiert werden. Irgendwie will da keine rechte Freude drüber aufkommen.

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