Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Telefonieren beim Autofahren ist gefährlich – auch mit Freisprechanlage

von Chris Köver
Beim Fahren ein Telefon am Ohr zu haben ist verboten – das gilt in Deutschland wie in vielen anderen Ländern. Nur wer eine Freisprechanlage verwendet, darf am Steuer sprechen. Eine Studie der Universität Sussex hat jetzt allerdings nachgewiesen, dass auch Gespräche per Freisprecheinrichtung den Fahrer maßgeblich ablenken. Brauchen wir ein generelles Telefonverbot im Auto?

Dass man beim Fahren nicht gleichzeitig Nachrichten ins Smartphone tippen oder auch nur einen Anruf annehmen sollte, leuchtet ein. Wer auf ein Mobiltelefon schaut, schaut nicht auf die Straße – und dass ist schlecht, wenn man sich mit mehr als einer Pferdestärke in einer schweren Blechkiste vorwärtsbewegt. Psychologen der University of Sussex haben jetzt allerdings herausgefunden, dass Telefonieren auch dann maßgeblich ablenkt, wenn man dabei die Augen nicht von der Straße nimmt.

Für ihre Studie haben die Forscher 60 Testpersonen in einen Fahrsimulator gesetzt und ihre Reaktionszeiten auf Gefahren gemessen, etwa Fußgänger, die überraschend die Straße überqueren, oder entgegenkommende Fahrzeuge. Fahrer, die währenddessen ein Gespräch führten und einfache Fragen beantworten mussten, brauchten bis zu eine Sekunde länger, um auf die gefährlichen Situationen zu reagieren. Ihr Sichtfeld war auf einen viermal so schmalen Bereich verengt und sie begingen mehr sogenannte „looked but failed to see“-Fehler, sahen also eine Gefahr, ohne sie zu registrieren (die Forscher setzten Eyetracker ein, um das zu beobachten).

Die Erklärung, sagt Graham Hole, Leiter der Studie, liege in einem Konflikt um die Rechenkapazität unseres Gehirns. Das Beantworten von Fragen und Aufgaben, die eine visuelle Vorstellung erfordern, nutzten die gleichen Gehirnregionen die wir auch beim Fahren brauchen. „Gespräche sind viel visueller als wir meinen, und das führt dazu, dass Fahrer einen Teil der Außenwelt zugunsten ihrer inneren ‚visuellen Welt‘ ignorieren.“ Schon eine einfache Frage wie „Wo hast du die blaue Mappe hingelegt“ kann dazu führen, dass der Angesprochene mental das Auto durchstöbert, während er zugleich den Verkehr im Blick behalten muss. Auch stellen wir uns in Gesprächen oft das Gesicht der Person am anderen Ende der Leitung vor.

Das Mobiltelefonverbot am Steuer, fordern die Forscher, müsse auf Basis dieser Ergebnisse ausgeweitet werden. Das Telefonieren mit einer Freisprechanlage sollte in Großbritannien ebenso verboten werden wie das mit einem Telefon am Ohr.

Man könnte jetzt einwenden, dass schließlich auch Beifahrer im Auto sitzen und diese womöglich ebenfalls ein Gespräch mit dem Fahrer führen. Sollte künftig also jede Form von Smalltalk im Auto verboten sein – und erst Recht Gespräche darüber, wie man die Möbel in der Wohnung umarrangieren könnte?

Frühere Studien haben aber laut Hole einen entscheidenden Unterschied festgestellt: Ein Beifahrer hält die Klappe, wenn eine Situation auf der Straße auftaucht, die die Konzentration des Fahrers erfordert, etwa jemand auf der Fahrbahn steht oder ein schlecht geparktes Fahrzeug umschifft werden muss. Ein Gesprächspartner am Telefon bekommt das im Zweifelsfall gar nicht mit.

Doch gilt das beschriebene Problem wirklich für alle Menschen? Können nicht zumindest einige von uns doch besser Multitasken als andere? Diese Vorstellung ist weit verbreitet, wissenschaftlich gesehen allerdings Quatsch. Das bestätigt auch Don Norman, Psychologe und einer der renommiertesten Designexperten der Welt, der große Firmen bei der Entwicklung ihrer Nutzer-Interfaces berät. „Wir denken vielleicht, wir könnten gleichzeitig auf der Straße laufen und ein Gespräch am Telefon führen oder eine Aufgabe diktieren,“ sagt Norman.

+++ Mehr von WIRED regelmäßig ins Postfach? Hier für den Newsletter anmelden +++

In Experimenten würde man aber genau erkennen: Wer etwa eine Straße überquert und dabei ein Gespräch führt, tut nicht beides gleichzeitig, sondern legt in Wirklichkeit eine kurze Pause ein, um nach links und rechts zu schauen. Erst wenn die Gefahrenstelle navigiert ist, reden wir weiter. Norman rät deshalb: Beim Laufen Nachrichten diktieren oder telefonieren sollte man höchstens in der Natur oder an anderen wenig befahrenen Stellen. Denn die Aufmerksamkeit lässt sich nicht teilen. Das Risiko, überfahren zu werden, sei beim Telefonieren höher.

In Deutschland ist das Telefonieren hinterm Steuer schon heute nur dann erlaubt, wenn der Motor ausgeschaltet ist. Wer beim Fahren mit einer Freisprechanlage telefoniert, muss das Gespräch beginnen, bevor er den Motor startet – so ein aktuelles Urteil in der Frage. Doch vielleicht sollte man Telefonate hinterm Steuer einfach ganz verbieten. Schließlich gibt es beim Autofahren schon genug zu multitasken. Und wer sich mit mehr als einer Pferdestärke in einer schweren Blechkiste vorwärts bewegt, braucht seine visuelle Rechenleistung für wichtigere Dinge als ein Gespräch. 

GQ Empfiehlt
Wen sollten autonome Autos opfern?

Wen sollten autonome Autos opfern?

von Chris Köver