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Das Universum im Labor: Was wird Darmstadts neuer Teilchenbeschleuniger können?

von Sofie Czilwik
In Darmstadt hat der Bau einer neuen Anlage zur Teilchenbeschleunigung begonnen. Das internationale Projekt FAIR soll die Forschung über das Universum maßgeblich voranbringen. Im Interview erklärt die Physikerin und FAIR-Sprecherin Jutta Leroudier, warum die neue Anlage der Geländewagen unter den Beschleunigungszentren ist, während das CERN in Genf eher einem Sportwagen gleicht.

Zwei Millionen Kubikmeter müssen im hessischen Darmstadt weichen, damit Wissenschaftler 13 Milliarden Jahre Universum erforschen können. Ihr Projekt trägt den Namen FAIR, die englische Abkürzung beschreibt eine Anlage zur Forschung mit Antiprotonen und Ionen. Angedockt ist sie an das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt.

Bis 2025 soll FAIR stehen. Physikerin und Pressereferentin am GSI Jutta Leroudier spricht im WIRED-Interview darüber, wie das Projekt sich vom weltweit größten Zentrum für Teilchenphysik, dem CERN in Genf, unterscheidet.

WIRED: Wie wird die FAIR-Anlage aussehen, wenn sie 2025 in Betrieb geht?
Jutta Leroudier: Herzstück wird der 1100 Meter lange supraleitende Ringbeschleuniger sein, der teilweise unterirdisch verläuft und der seit dieser Woche gebaut wird. Mit dieser Anlage werden wir in Bereiche vordringen, an die wir mit unserer jetzigen Beschleunigeranlage nicht heranreichen.

WIRED: Können Sie diese Bereiche etwas genauer beschreiben?
Leroudier: Beschleunigeranlagen funktionieren ja folgendermaßen: Ein Teilchenstrahl, bestehend aus geladenen chemischen Elementen, wird durch Magnete beschleunigt. Wenn diese eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht haben, stellen wir ihnen ein Hindernis in den Weg, beispielsweise eine Goldfolie. In dem Moment, in dem die Atomkerne aus unserem Teilchenstrahl auf die Atomkerne der Goldfolie knallen, entstehen hohe Drücke, Dichten und Temperaturen. Mit der FAIR-Anlage werden wir in der Lage sein, zehntausend Mal mehr Teilchen pro Sekunde durch den Beschleuniger zu schicken

WIRED: Klingt nach einem ganz schönen Knall…
Leroudier: Je nachdem welche Teilchen wir verwenden, können wir hundertfach höhere Energien erreichen. Das heißt, unsere Instrumente können präziser arbeiten, unsere Messergebnisse verbessern sich und unsere Aussagen werden verlässlicher. FAIR wird eine große und komplexe Anlage, mit der wir unsere Forschungsvielfalt weiter abdecken und ausweiten können.

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WIRED: Aber was genau erforschen Sie da eigentlich?
Leroudier: Das Spektrum ist sehr breit. Es geht um ganz grundlegende Forschung und Projekte, wie z.B. die Entdeckung von chemischen Elementen. Wir suchen aber auch nach Anwendungen für die Krebstherapie, bis hin zu Nanofiltern wie sie in der Industrie Verwendung finden.

WIRED: Das klingt ja bodenständig nach all dem Knallgerede.
Leroudier: Dabei bleibt es ja nicht. Wir wollen das Universum ins Labor holen. Weil wir nicht zu einem Stern oder Neutronenstern fliegen können, um uns vor Ort das Innere dieser kosmischen Objekte anzuschauen, werden wir mit FAIR Weltall-Bedingungen hier auf der Erde erzeugen. Zum Beispiel werden wir Materie herstellen können, wie sie in Planeten und Sternen vorkommt oder Sternexplosionen simulieren.

WIRED: Womit wir dann doch wieder beim Knall wären. Wozu ist so eine Explosion denn gut?
Leroudier: Ein großes Rätsel für uns ist immer noch die Masse. Masse ist ein ganz merkwürdiger Stoff. Wir versuchen herauszufinden, wie Materie überhaupt zu Masse kommt und welche Prozesse und Teilchen dafür verantwortlich sind, dass Materie Masse besitzt. FAIR bringt uns da einen großen Schritt weiter.

WIRED: Das sind auch Fragestellungen, mit denen sich das CERN in Genf, eines der bekanntesten Kernforschungszentren weltweit, beschäftigt. Wie unterscheidet sich ihre Arbeit?
Leroudier: Teilweise überschneiden sich unsere Bereiche. Wir nehmen aber einen anderen Blickwinkel ein. Ein Kollege erklärte es mal so: Stellen Sie sich vor, es ginge um die Erforschung eines völlig unbekannten Landes. Das CERN-Team würde sich in einen Sportwagen setzen und durch das Land düsen und grob schauen, wo die Grenzen des Landes sind. Hier sind Berge, da Flüsse, dort Seen. Und wir beim GSI/FAIR würden eher einen Geländewagen oder vielleicht sogar das Fahrrad nehmen und detailliert das gesamte Gelände anschauen. So hätten wir dann eine ausführliche Kartografie des Landes, auch wenn wir nicht so schnell zu den Grenzen vordringen würden.

WIRED: Was heißt das in der Physik?
Leroudier: Bleiben wir beim Beispiel Masse. Die letzte große Entdeckung von CERN war das Higgs-Teilchen. Das Higgs-Teilchen ist ein Überträger der Kraft. Damit können sie aber nur einen Teil der Masse erklären, genau genommen zwei Prozent. Die restlichen 98 Prozent, die erklären, wie sich Masse genau verhält, die versuchen wir hier bei GSI/FAIR zu lösen.

WIRED: Sehen Sie sich als Konkurrent zu CERN?
Leroudier: Ich würde eher sagen, dass sich unsere Forschung an vielen Stellen ergänzt. Wir arbeiten oft direkt zusammen, zum Beispiel haben GSI-Mitarbeiter an einem CERN-Programm für die Beschleunigung von Bleiatomen mitgeholfen. Teilweise haben wir aber auch komplett unterschiedliche Forschungsbereiche. Die Maschinen beim CERN und hier am GSI/FAIR sind komplett anders ausgelegt. Der CERN-Beschleuniger beschleunigt hauptsächlich leichte Teilchen. Wir hier in Darmstadt haben die Expertise für schwere Ionen und außerdem können wir jedes Element aus dem Periodensystem beschleunigen, das kann das CERN nicht.

WIRED: Erreichen Sie auch Lichtgeschwindigkeit, wie beim CERN?
Leroudier: Sowohl das CERN wie auch zukünftig FAIR können Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Dabei hat sich das CERN auf leichte Teilchen, Protonen, spezialisiert. Damit kommen sie dem Urknall schon sehr nahe. FAIR wird schwere Teilchen bei sehr hohen Intensitäten beschleunigen können. Damit können wir erforschen, was kurz nach dem Urknall, etwa eine Tausendstelsekunde später, und seitdem geschah.

WIRED: Eigentlich sollte Ihre Anlage bereits dieses Jahr in Betrieb gehen, und sie sollte auch günstiger sein. Was ist passiert?
Leroudier: Wir haben hier neueste Technologien im Einsatz, wir haben viele Neuentwicklungen extra für FAIR angefertigt. Man kann sagen, dass wir uns am Rande davon bewegen, was überhaupt technisch möglich ist. Wir mussten in den vergangenen Jahren eben auch viele technische Probleme lösen. Wenn sich irgendwo etwas geändert hat, egal ob beim Bau, bei der Beschleunigungsanlage oder bei den Experimenten, hat sich das auch auf alle anderen Bereiche ausgewirkt. FAIR ist ein Projekt, das man mit keinem anderen auf der Welt vergleichen kann. Wir betreten hier bei vielem absolutes Neuland, hinsichtlich des Baus aber auch bezogen auf die Experimente.

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