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„Rosetta soll keine alternde Rockband werden“

von Dominik Schönleben
Am Freitag endet mit Rosetta die bisher ambitionierteste Mission der europäischen Weltraumagentur ESA: die Erforschung des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. WIRED hat mit Matt Taylor, dem leitenden Wissenschaftler der Mission, darüber gesprochen, wie es danach für ihn und sein Team weitergeht.

Matt Taylor ist einer der vielen ESA-Forschern, die seit knapp 30 Jahren daran arbeiten, der Frage nach dem Ursprung des Lebens ein klein bisschen näher zu kommen. Als WIRED ihn im September 2014 im Forschungszentrum ESTEC besuchte, wenige Monate vor der ersten Landung auf einem Kometen, ließ er gleich die Hose runter, um sein neues Tattoo zu zeigen: Taylors Oberschenkel zierte die bereits erfolgreich aufgesetzte Landefähre Philae.

Ganz so problemlos setzte die Rosetta-Sonde ihren Lander dann leider doch nicht ab. Im November 2014 hüpfte der waschmaschinengroße Philae dreimal über die Oberfläche des Kometen Tschurjumov-Gerassimenko und kam schließlich im Schatten zur Ruhe – die Harpunen waren nach ihrer zehnjährigen Reise durchs All ausgefallen.

Keine Katastrophe, aber ärgerlich. Denn so wurde die Zeit, für die Experimente, die das mobile Labor auf dem Kometen durchführen sollte, auf knapp 60 Stunden reduziert. Danach ging Philae der Strom aus, zu wenig Sonneneinstrahlung, erneute Kontaktversuche schlugen fehl.

Als Mission Scientist ist es Taylors Job, die vielen Forscher im Projekt auf einen Nenner zu bringen – denn die haben oft ganz unterschiedliche Interessen. Trotz der kleinen Landungspanne konnten die wichtigsten Fragen der Mission geklärt werden. Taylors Ankündigung, dass dies die „sexieste“ Weltraum-Mission seit der Mondlandung sei, sie schien sich zu bewahrheiten.

Doch am Freitag ist alles vorbei. Die Rosetta-Sonde wird kontrolliert auf dem Kometen abstürzen und dabei letzte Daten live zurück zur Erde funken. Taylor denkt, dass es kein Crash werden wird – die Sonde fliegt nur mit Schrittgeschwindigkeit. Beim Aufprall wird der Komet vermutlich etwas nachgeben, Staub aufgewirbelt werden und dann ist die Mission zu Ende. Oder vielleicht doch nicht? Im Interview erzählt Taylor, wie es weitergeht.

WIRED: Ist die Rosetta-Mission wirklich zu Ende?
Matt Taylor: Ja, das ist tatsächlich das Ende. Das haben wir schon alleine damit sichergestellt, dass wir die Sonde auf dem Kometen absetzen. Weil Rosetta für den Flug im Weltall designt wurde, geht es danach nicht mehr weiter.

WIRED: Und dafür ist jetzt der richtige Moment gekommen?
Taylor: Was wir jetzt machen, kann nicht länger hinausgezögert werden. Wir verlangen der Mission wirklich das letzte bisschen ab, das wir können. In ein paar Tagen, nach dem kontrollierten Absturz auf dem Kometen, können wir sowieso keine Daten mehr mit Rosetta sammeln. Die Sonne würde sich zwischen die Erde und den Kometen schieben und die Datenübertragung würde abbrechen. Die Landung auf dem Kometen ist das Letzte und das Beste, was wir tun können mit der Sonde.

WIRED: Es gibt also keine andere Möglichkeit?
Taylor: Eine Alternative wäre gewesen, Rosetta in den Winterschlaf zu versetzen und ein paar Jahre zu warten, bis sie die Sonne umrundet hat. Dann wäre sie für mich aber wie eine dieser Rockbands, die in den 60ern groß waren und immer noch auf Tour sind, aber lieber vor ein paar Jahren hätten aufhören sollen. Rosetta hört jetzt auf der Höhe ihrer Kunst auf, wenn sie noch alles kann. Wir wüssten sowieso nicht, ob sie noch einmal zurückkommen würde, wenn wir sie jetzt abschalten. Wir wollen einfach eine dieser schrecklichen Comeback-Touren verhindern, bei der man feststellen muss, dass der Leadsinger nicht mehr singen kann und der Gitarrist sein Instrument nicht mehr beherrscht.

WIRED: Aber die Forschung geht weiter?
Taylor: Natürlich. Die Daten der letzten zwei Jahre werden noch viele Jahre analysiert werden. Ich wage sogar zu sagen, dass wir noch einige Jahrzehnte Arbeit vor uns haben. Einige Ergebnisse haben wir schon, aber die großen Resultate warten noch auf uns, wenn wir alles zusammensetzen und ein prägnanteres Bild vor Augen haben.

Wenn das Leben ein Kuchen wäre, dann gibt es auf den Kometen das Mehl, die Eier und die Butter

WIRED: Welche Fragen müssen noch beantwortet werden?
Taylor: Vieles, das früh in der Mission passiert ist, braucht viel Zeit, um analysiert zu werden. Gerade erst jetzt wurden Daten veröffentlicht, die aus der Perihelion-Phase vom August 2015 stammen. Dabei untersuchen wir die Entwicklung des Kometen. Nächstes Jahr werden wir die gesamte Mission näher betrachten. Zuerst kurzfristig und dann werden wir alle alle Datensätze kombinieren. All das soll die Fragen beantworten, die wir uns vor über 30 Jahren gestellt haben, als die Mission konzipiert wurde.

WIRED: Eine der zentralen Fragen von Rosetta war, ob das Leben auf der Erde von Kometen stammt. Haben Forscher darauf schon eine Antwort gefunden?
Taylor: Wir wussten, dass wir verschiedene Typen von Wasser messen würden – genauer gesagt die Wasserstoff-Isotope. Wir verglichen das Wasser, das wir auf dem Kometen fanden, mit dem auf der Erde. Wir wollten hier eine Verbindung finden.

WIRED: Was würde es bedeuten, wenn das Wasser ähnliche Strukturen besitzt?
Taylor: Wir gehen davon aus, dass im frühen Sonnensystem der Erde jegliches Wasser entzogen wurde. Wie kam es also Wasser zurück? Asteroiden und Kometen könnten eine Möglichkeit gewesen sein. Während dieser Zeit – vor vier Milliarden Jahren – wurden die Planeten des Sonnensystems von diesen kleinen Körpern bombardiert. Es wird das Große Bombardement genannt.

WIRED: Und was ihr auf dem Kometen Tschurjumov-Gerassimenko fandet, hat hier Klarheit geschaffen?
Taylor: Es gab viel organische Materie auf dem Kometen. Er ist schwarz, weil er bedeckt davon ist. Wir haben bereits während der Stardust-Mission die Aminosäure Glycerin auf einem Kometen gefunden, aber mit Rosetta war das Ergebnis eindeutig. Wir sind direkt auf dem Kometen, Probleme durch eine Kontamination kann es hier nicht geben.

Wenn es die Mission nie gegeben hätte, und sie heute jemand bei der ESA einreichen würde – ich bin mir nicht sicher, ob sie genehmigt werden würde

WIRED: Das Leben auf der Erde kommt also tatsächlich von Kometen?
Taylor: Auf den Kometen gibt es tatsächlich die Bausteine des Lebens. Und wir glauben, dass sie durch Einschläge auf die Erde gekommen sind. Die Erde war warm und nass – also gab es die Möglichkeit, dass daraus Leben entsteht. Nur damit eines klar ist: Es gibt kein Leben auf Kometen, keine kleinen Würmer oder so. Dort gibt es nur die Zutaten. Wenn das Leben ein Kuchen wäre, dann gibt es auf den Kometen das Mehl, die Eier und die Butter dafür.

WIRED: Welche Auswirkungen hat das Missionsende für die Forscher der ESA?
Taylor: Vor allem für das Flight Control Team von ESOC in Darmstadt ist es eine abrupte Veränderung. Am Freitag arbeiten sie noch an Rosetta, am Montag sind sie dann schon bei einer anderen Mission.

WIRED: Und für dich persönlich?
Taylor: Ich bleibe bei der Mission, weil die Forschung weitergeht. In vielen Fällen geht die Forschung erst jetzt richtig los. Die Experten eines Themas sind meist die Menschen, die sich bisher um die Instrumente gekümmert haben. Und die waren bisher ziemlich damit beschäftigt sie perfekt zu kalibrieren. Das fällt jetzt weg. Jetzt können sie Früchte ihrer Arbeit ernten, sich die Daten anschauen und forschen.

WIRED: Plant die ESA nach Rosetta schon etwas ähnlich Ambitioniertes?
Taylor: Wir flogen zu einem Objekt, von dem wir nicht einmal wussten, wie es aussieht. Wir wollten dort zum ersten Mal landen. Bei Rosetta gab es viele erste Male. Es ist großartig, dass das damals so bewillig wurde, wir waren mutig so etwas zu tun. Wenn wir Rosetta nicht gemacht hätten, es die Mission nie gegeben hätte, und sie heute jemand bei der ESA einreichen würde – ich bin mir nicht sicher, ob sie genehmigt würde. Sie ist einfach so riesig, so viel war ungetestet.

WIRED: Was aber wäre die logische Fortsetzung von Rosetta?
Taylor: Die nächste Kometenmission müsste wohl eine sein, bei der wir Gesteinsproben zurückbringen. Aber das wäre eine sehr große Mission und nur in Kooperation mit anderen Weltraumagenturen möglich. So etwas ist derzeit jedoch nicht geplant.

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