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Ein deutscher Physiker will Leben auf fremde Planeten bringen

von Anna Schughart
Es gibt viele Planeten im All, die zwar Leben beherbergen könnten, es aber nicht tun. Der Physiker Claudius Gros möchte das ändern. Seine Idee: Sonden sollen Bakterien und andere Mikroorganismen auf unbewohnte Welten abwerfen. Eine gute Idee?

Den Plan für sein Genesis Project hat Claudius Gros schon viele Jahre. Doch jetzt, sagt er, sei die Vorstellung, Leben auf Exoplaneten zu bringen, nicht mehr reine Science-Fiction. Der Physiker am Institut für Theoretische Physik der Goethe Universität Frankfurt hat deshalb in der Zeitschrift Astrophysics and Space Science beschrieben, wie man Ökosphären auf Planeten entwickeln könnte, die sonst vielleicht für immer unbewohnt bleiben würden. Im WIRED-Interview erklärt Gros, wie genau das Genesis Project ablaufen würde, warum die Menschheit davon keinen Nutzen hätte und wieso wir seiner Meinung nach trotzdem eine aktive Rolle im Kosmos einnehmen sollten.

WIRED: Herr Gros, wollen Sie Gott spielen?
Claudius Gros: Das ist zumindest ein Argument der Gegner des Genesis-Projekts. Für mich hat das aber wenig mit Gott zu tun, weil die Evolution ja auch wenig mit Gott zu tun hat. Das Wort „anmaßend“ wird von Kritikern auch häufig benutzt. Das kann ich überhaupt nicht verstehen: Wenn wir ein Braunkohlegebiet renaturieren, spielen wir dann Gott? Im Grunde genommen ist das dasselbe, nur in einem sehr, sehr viel kleineren Maßstab. Wir könnten den Prozess auch komplett der Natur überlassen, aber wir versuchen, ihn zu beschleunigen.

WIRED: Das Projekt, das Sie vorschlagen, will Leben auf unbewohnte Planeten bringen. Wie soll das funktionieren?
Gros: Wir geben dem Leben eine Möglichkeit, sich auf einem Planeten zu entwickeln, auf dem es sonst keine Chance hätte. Dazu braucht es eine ganze Reihe von Schritten. Zu erst muss man einen geeigneten Planeten finden.

WIRED: Was macht ein Planeten denn zu einem guten Kandidaten?
Gros: Am Besten hat er viel Vulkanismus. Vulkane sind die einzige Quelle, die für CO2-Nachschub für die Pflanzen sorgt. Eine große Biosphäre, die sich rasant entwickeln soll, benötigt viel CO2, da jedes Jahr ein Teil der Biomasse durch Ablagerung im Boden und in den Ozeanen verloren geht. Der beste Planet wäre auch einer, wo die Kruste schon voroxidiert ist.

Genesis soll den Planeten auf den optimalen Zustand für eine Entwicklung von Einzellern zu komplexeren Lebewesen bringen

WIRED: Was bedeutet das?
Gros: Wenn man komplexes Leben wie auf der Erde haben möchte, braucht man unbedingt Sauerstoff in der Atmosphäre. Alle Vielzeller, die wir auf der Erde kennen, brauchen Sauerstoff. Auf der Erde gab es eine Milliarden Jahre lang hoch entwickelte eukaryotische Zellen, die sich aber nicht zu Vielzellern entwickelten. Die Vermutung ist: Weil der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre noch zu gering war.

WIRED: Wie wurde er dann höher?
Gros: Der Sauerstoff, der von der Biosphäre über Millionen von Jahren produziert wurde, wurde erst dafür verwendet, um das Eisen, Silizium, Magnesium und Phosphor in den Kontinenten zu oxidieren. Erst danach konnte sich der Sauerstoff richtig in der Atmosphäre anreichern. Vorher konnte es kein höheres Leben geben.

WIRED: Man findet also einen geeigneten Planeten und dann...
Gros: …dann müsste man eine interstellare Sonde bauen. So weit ist die Forschung noch nicht, aber es gibt schon ein Projekt, das in diese Richtung geht: das Starshot-Projekt. Die Genesis-Sonde wäre allerdings nicht so schnell wie Starshot unterwegs, damit sie abbremsen kann. Wenn die Genesis-Sonde angekommen ist, kann sie langsam bis zum Planeten steuern, in die Umlaufbahn eintreten und dort ein paar Jahrhunderte bleiben.

WIRED: Und was tut sie dort so lange?
Gros: Zuerst würde sie den Planeten genau untersuchen, ob dort nicht doch schon Leben vorhanden ist, das man von der Erde aus nicht entdecken konnte. Wenn er unbelebt ist, dann würde die Sonde photosynthetische Bakterien absetzen, zum Beispiel Cyanobakterien. Wenn diese Mikroorganismen sich dann exponentiell vermehrt haben, wirft man Amöben oder andere Einzeller ab, die Bakterien fressen, selber aber keine Photosynthese machen. Dann ist die Aufgabe vorbei, mehr kann man nicht machen.

WIRED: Was hat man damit gewonnen?
Gros: Die Menschheit nichts, der Planet Zeit. Genesis soll den Planeten auf den optimalen Zustand für eine Entwicklung von Einzellern zu komplexeren Lebewesen bringen. Der optimale Zustand, das ist der präkambrische Evolutionszustand der Erde. Also der Zeitpunkt, vor der kambrischen Explosion, bei der innerhalb von zwanzig bis vierzig Millionen Jahren fast alle heutigen Arten entstanden sind. Dort hinzukommen, braucht aber viel Zeit: Der größte Teil der Evolution auf der Erde ist darauf verwendet worden, die interne molekulare Chemie der Einzeller zu entwickeln. Die ist nämlich hochkomplex. Danach den Bauplan für höhere Lebewesen zu entwickeln, war relativ gesehen eine kleine Aufgabe.

Planeten, die wie die Erde sind, würde man in Ruhe lassen, man möchte die Vielfalt des Lebens nicht stören

WIRED: Das heißt, der Planet würde viel schneller mit seiner eigenen kambrischen Explosion beginnen, weil keine Zeit mehr darauf verwendet werden muss, Bakterien zu entwickeln?
Gros: Und vor allem nicht Eukaryoten, also Lebewesen mit Zellkern. Vielzeller entstehen nur aus Eukaryoten.

WIRED: Warum ist Zeit so entscheidend? Man könnte doch einfach abwarten, ob sich unter den richtigen Bedingungen von selbst Leben entwickelt.
Gros: Auch wenn wir nicht wissen, wie viele Exoplaneten es gibt, ist eine Erkenntnis gesichert: Es gibt sehr, sehr viele verschiedene Typen. Wir sind sicher, dass wir Planeten finden werden, die nur zeitweise habitabel sind, vielleicht nur 500 Millionen Jahre oder eine Milliarden Jahre lang. Das Genesis-Projekt würde hauptsächlich Planeten ansteuern, wo das Leben von sich aus einfach nicht genügend Zeit hätte und wo ein Zeitvorsprung wichtig ist. Planeten, die wie die Erde sind, würde man in Ruhe lassen, man möchte die Vielfalt des Lebens nicht stören.

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WIRED: Ist eine Sonde, die Bakterien auf vermeintlich unbewohnte Planeten abwirft, nicht gefährlich? Wenn es dort doch Lebewesen gibt, haben die es vielleicht plötzlich ganz neuen Krankheiten zu tun.
Gros: Das kommt auf die Größe der Lebewesen an. Wenn es sich auch um Einzeller handelt, kann es in beide Richtungen gehen: Die irdischen Lebewesen oder die extraterrestrischen Lebewesen könnten absterben – oder es gibt eine Mischung. Wenn es dort Vielzeller gibt, sollte man aber auf keine Fall Mikroorganismen hinschicken, das wäre wie eine Krankheit. Aber wir sind uns relativ sicher, dass wir Vielzeller spätestens von der Umlaufbahn aus entdecken würde.

WIRED: In Ihrem Paper schreiben Sie, dass Sie die Zahl der geeigneten Planeten in einer Entfernung von hundert Lichtjahren auf etwa ein Dutzend schätzen. Sind die Erfolgschancen für das Genesis-Projekt damit nicht äußerst gering?
Gros: Ich habe sehr konservativ geschätzt, andere glauben, dass bis zu zehn, 20 Prozent der Sterne bewohnbare Planeten haben. Ich würde aber sagen: Wenn die Sonde erst mal ankommt und technisch noch funktioniert, dann ist es relativ sicher, dass sich Leben entwickelt. Ob sich auch komplexes Leben entwickelt, das wissen wir natürlich nicht.

Wenn es keinen Nutzen für uns hat, ist die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass wir Schaden anrichten

WIRED: Und das würde man auch nie herausfinden, dafür sind die Entfernungen zu groß, oder?
Gros: Ob der Prozess, eine Ökosphäre zu etablieren, geklappt hat, wüsste man nach einigen Tausend Jahren. Die Sonde würde natürlich schon versuchen, Daten zurückzusenden. Wenn dann noch jemand auf der Erde ist, den das interessiert, umso besser. Aber wenn nicht, dann macht sie halt alleine weiter.

WIRED: Also hat die Menschheit nichts vom Genesis-Projekt?
Gros: Es ist für mich sehr wichtig, dass das Projekt gerade keinen Nutzen hat. Die meisten Menschen glauben, dass wir auf der Erde relativ viel zerstört haben, weil wir Dinge brauchen – Land für Landwirtschaft oder Städte zum Beispiel. Es gibt ganz wenige Fälle, bei denen die Menschen Natur einfach nur aus Lust und Laune heraus zerstört haben. Welchen Anlass sollten wir aber haben, etwas mit viel Geld und Aufwand auf ferne Planeten zu schicken, nur um etwas zu zerstören? Wenn es keinen Nutzen für uns hat, ist die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass wir Schaden anrichten.

WIRED: Wobei die Vorstellung einer zweiten Erde – beispielsweise auf Proxima Centauri b – schon verlockend ist.
Gros: Ganz ausgeschlossen ist eine zweite Erde nicht. Wenn es in zehn Millionen Jahren noch Menschen gibt, dann dürften die natürlich zu einem der Planeten reisen, wenn dort eine Biosphäre entstanden ist. Aber zu argumentieren: Das ist der Nutzen, das ist das Ziel des Genesis-Projekts, ist schwer. Übrigens: Proxima Centauri b würde Genesis nicht ansteuern. Der Planet ist so nah, dass man ihn wissenschaftlich untersuchen sollte.

WIRED: Wie gut stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass das Genesis-Projekt eines Tages tatsächlich umgesetzt wird?
Gros: Ich glaube, die Mehrheit ist eher dagegen, weil es Geld kostet und keinen direkten Nutzen für die Menschheit hat. Staatlich Organisationen wie die ESA oder die NASA würden mit Sicherheit bei der Entwicklung und Forschung helfen. Ich bin darüber hinaus überzeugt, dass es genügend interessierte Menschen geben würde, entweder Milliardäre oder Individuen, die sich zusammenschließen, sodass das Projekt schlussendlich umgesetzt werden könnte. Das ist ja auch eine philosophische Frage, die voraussetzt, dass wir unseren Status im Kosmos überdenken.

Wir müssen uns fragen: Wollen wir passiv oder aktiv im All sein?

WIRED: Was meinen Sie damit?
Gros: Bis jetzt war die Vorstellung, aktiv im Kosmos einzugreifen, Science-Fiction. Jetzt gibt es aber einen Vorschlag, der zwar nicht hundertprozentig, aber doch sehr realisierbar scheint und wir müssen uns fragen: Wollen wir passiv oder aktiv im All sein?

WIRED: Und wie argumentieren Sie für eine aktive Rolle der Menschheit im Kosmos?
Gros: Dafür gibt es keine rationalen Gründe. Ich versuche auch niemanden zu überzeugen. Für mich ist das etwas Ästhetisches. Ich empfinde das Leben als etwas sehr Schönes. Und ich finde, es ist ein schöner Gedanke, wenn wir dazu beitragen könnten, dass sich Leben auf anderen Planeten entwickeln könnte.

WIRED: Ist es nicht auch möglich, dass wir Menschen das Ergebnis eines solchen Genesis-Projekts sind, aber eben von Außerirdischen?
Gros: Dafür gibt es keine Hinweise. Wir wissen, dass die Entwicklung der Einzeller sehr lange gedauert hat. Bakterien haben 500 Millionen Jahre gebraucht, um zu dem zu werden, was sie heute sind. Die Entwicklung der Eukaryoten hat danach noch mal eine Milliarden Jahre gedauert. Es gibt keine plötzlichen Sprünge. Aber die Menschheit könnte mit dem Genesis-Projekt einen echten Zyklus starten: Es wäre ein schöner Gedanken, wenn eines Tages, sagen wir im Jahr Fünfhundertmillionen, die Bewohner eines Genesis-Planeten ihr eigenes Projekt starten würden.

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