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Powered by Müll: Fahren bald alle Autos mit Abfall?

von Anna Schughart
In London fahren Busse mit Biodiesel aus Kaffeesatz, in Deutschland macht eine Firma aus Stroh Biomethan: Welches Potenzial hat die nächste Generation von Biokraftstoffen?

Der durchschnittliche Londoner trinkt pro Tag 2,3 Tassen Kaffee. So produziert die Stadt im Jahr 200.000 Tonnen Kaffeesatz. Normalerweise würde der zu großen Teilen auf der Müllhalde landen. Stattdessen wandert ein Teil davon bald in die Tanks der berühmten roten Doppeldeckerbusse. Bio-Bean, ein Startup aus London, verwandelt den Kaffeerest in Kraftstoff, der dann mit normalen Diesel gemischt wird. „Mit den richtigen Verarbeitungsprozessen könnte der Biokraftstoff komplett aus Kaffee hergestellt werden“, teilt das Unternehmen mit.

Kaffeesatz, Fritteusenfett oder Stroh – mit vielen verschiedenen Abfällen kann man Kraftstoff für Autos herstellen. Die offizielle Bezeichnung für sie lautet: fortschrittliche Biokraftstoffe. Sie sind sozusagen die Biokraftstoffe 2.0 und unterscheiden sich von den „herkömmlichen“ Biokraftstoffen vor allem in einem Punkt: Sie werden nicht, wie zum Beispiel Rapsdiesel, aus potenziellen Futter- oder Lebensmitteln produziert. Die Frage „Tank oder Teller?“ stellt sich bei ihnen nicht.

Die Idee dahinter bleibt dennoch gleich: Auch mit den fortschrittlichen Biokraftstoffen sollen CO2 und andere Treibhausgase reduziert werden. „Dabei kommt es sehr darauf an, welches Material für die Herstellung verwendet wird“, sagt Hannes Böttcher vom Öko-Institut in Berlin. Die Auswahl scheint groß: Da sind die Reste, die in der landwirtschaftlichen Produktion entstehen, wie Stroh, Nussschalen oder Gras. Aber auch Holz, Papier oder beispielsweise Biomüll können verwendet werden.

Die deutsche Firma Verbio macht aus Stroh Biomethan für Erdgasfahrzeuge. „Wir sind das einzige Unternehmen in Europa, das diese Technologie in großem Maßstab betreibt“, sagt Ulrike Kurze von Verbio. Der Prozess ist im Grunde nichts anderes als eine normale Vergärung: Das Stroh kommt zusammen mit Wasser und Bakterien in einen großen Fermenter. Dabei entsteht Rohbiogas, das zu 60 Prozent aus Methan und zu 40 Prozent aus anderen Gasen besteht. „In einer zweiten Anlagen werden diese anderen Gase dann abgetrennt“, erklärt Kurze. Zurück bleiben fast hundert Prozent Methan.

Mit dem Biomethan (das Verbio auch aus Schlempe herstellt) beliefert das Unternehmen dann Erdgastankstellen. Zu den Kunden gehören unter anderem die Stadtwerke Augsburg, deren Busflotte komplett aus Erdgasbussen besteht. Aber auch Busse in anderen Städten wie Gießen oder Greifswald fahren mit „Stroh im Tank“. Theoretisch ließen sich in Deutschland acht bis zwölf Millionen Tonnen Stroh pro Jahr in Kraftstoff umwandeln, sagt Kurze: „Damit könnte man circa fünf Millionen PKWs betreiben.“

Tatsächlich könnten die fortschrittlichen Biokraftstoffe in Zukunft immer häufiger in den Tanks von Autos, LKWs und Bussen landen. Der Dieselskandal habe dafür gesorgt, dass sich die Autobauer jetzt wieder für Alternativen interessierten, sagt Kurze. Auch die EU möchte die fortschrittlichen Biokraftstoffe stärker fördern. Die EU-Kommission will ihren Anteil im Transportsektor bis 2030 auf 3,6 Prozent steigern.

Damit sich die Bio-Alternative an der Tankstelle durchsetzt, darf sie nicht mehr kosten. „Teilweise sind die fortschrittlichen Biokraftstoffe noch recht teuer“, sagt Böttcher – unter anderem, weil man den Ausgangsstoff (ob das jetzt Holz im Wald oder Bioabfall ist) erst noch einsammeln muss. Ein weiteres Problem: Es könnte irgendwann zu wenig Abfall geben. Denn so gering ist das Interesse an den vermeintlichen Reststoffen oftmals gar nicht. Sägespäne werden zu Pellets, mit Schwarzlauge wird geheizt. „Es ist erstaunlich, wie viel schon genutzt wird“, sagt Böttcher. Bei andern Quellen dagegen wisse man noch nicht, welche Auswirkungen es hätte, wenn man sie intensiv nutzen würde. Was bedeutet es beispielsweise für den Naturschutz, wenn wir das Restholz aus dem Wald einsammeln und nicht einfach dalassen?

Dazu kommt: Elektroautos und die power to gas-Technologie (bei der man beispielsweise Windkraft zur Herstellung von Methan nutzt) sind ernstzunehmenden Konkurrenten für die Abfallkraftstoffe. Die unterschiedlichen Technologien könnten allerdings verschiedene Bedürfnisse befriedigen, findet Kurze – das Elektroauto für die Stadt, das Erdgasauto für längere Strecken oder den schweren LKW-Verkehr.

Welches Potenzial haben die fortschrittlichen Biokraftstoffe also? „Sie werden sicher nicht den Treibstoff, den wir heute verbrauchen, eins zu eins ersetzen“, sagt Böttcher. Auch ob sich eine der verschiedenen Technologien durchsetzen wird, kann man jetzt noch nicht sagen. „Am Ende wird es wahrscheinlich eine Mischung“, sagt Böttcher. Bis dahin müsse man aber noch viel forschen und ausprobieren.

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