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Predictive Policing: Software ist keine Wunderwaffe gegen Einbrüche

von Sarah Heuberger
Mit Big Data den Einbrecher schnappen? Das Max-Planck-Institut hat untersucht, wie gut die Datenanalyse bei der Polizeiarbeit hilft. Dominik Gerstner hat die Studie geleitet und spricht mit WIRED über die eher durchwachsenen Resultate.

Verbrechen mithilfe von Datenanalyse vorhersagen, bevor sie stattfinden. Darauf hoffen immer mehr Polizeibehörden und setzen auf Software, die errechnen kann, wo zum Beispiel als nächstes Wohnungseinbrüche passieren. Damit beschäftigt sich auch die Dokumentation Pre-Crime, die ab heute im Kino zu sehen ist. Dominik Gerstner vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht hat den Einsatz einer solchen Software in den Polizeibehörden Karlsruhe und Stuttgart untersucht und ist zu eher ernüchternden Ergebnissen gekommen. Dennoch ist er überzeugt, dass Big Data in der Polizeiarbeit weiter eine wichtige Rolle spielen wird. Warum, das erklärt er im Gespräch mit der WIRED.

WIRED: Wie funktioniert die Software Precobs, deren Einsatz Sie in Ihrer Studie untersucht haben?
Dominik Gerstner: Die Grundidee hinter dem Programm Precobs ist nicht, dass alle Wohnungseinbrüche insgesamt vorhergesagt werden sollen, sondern es geht darum, Einbrüche zu identifizieren, auf die potenziell weitere Einbrüche folgen werden. Dieses sogenannte Near-Repeat-Phänomen wurde schon bei vielen Delikten und in vielen Regionen beobachtet, aber ist nicht zwangsläufig allgemein gültig.

WIRED: Es gibt ja nur Daten zu Einbrüchen, die auch der Polizei gemeldet wurden. Fallen dann nicht die Gebiete, in denen es weniger Kontakt zur Polizei gibt durchs Raster?
Gerstner: Das stimmt, ja. In Deutschland werden aber in den allermeisten Fällen die Einbrüche angezeigt, das hat auch mit dem Versicherungsanspruch zu tun.

WIRED: Die Software Precobs ist das Produkt eines privaten Unternehmens, dem Oberhausener Institut für musterbasierte Prognosetechnik. Konnten Sie bei Ihrer Studie Einblick in die Algorithmen der Software bekommen?
Gerstner: Der Vorteil bei der Software ist, dass es kein komplexer mathematischer Algorithmus ist, den die Polizisten nicht verstehen. Es ist klar nachvollziehbar. Es gab aber auch gewisse Bereiche, in die wir keinen Einblick bekommen haben. Das ist aber verständlich, weil das Unternehmen natürlich auch Konkurrenz hat. Das Programm benötigt zum Beispiel Near-Repeat-Areas, das sind die Gebiete, für die bestimmte Einbrüche vorhergesagt werden. Wie die zustande gekommen sind, ist für uns nicht hundertprozentig nachvollziehbar gewesen. Wir konnten aber mit externen Daten nachprüfen, dass diese Bereiche Sinn gemacht haben.

WIRED: Sie haben für Ihre Studie über 700 Polizisten in den beiden Untersuchungsgebieten in Karlsruhe und Stuttgart befragt. Wie haben sich die Polizisten zur Software geäußert?
Gerstner: Bei den Operatoren kam es ganz gut an. Sie sahen es als Ergänzung zu den Mitteln, die ihnen momentan zur Verfügung stehen. Gerade wenn es viel zu tun gibt, kann damit schnell gearbeitet werden. Wir haben außerdem festgestellt, dass je höher der Dienstgrad der Polizisten war, desto stärker haben sie sich für die Nutzung ausgesprochen. Bei Polizisten auf der Straße waren die Meinungen sehr stark polarisiert. Ungefähr die Hälfte war positiv, die andere Hälfte negativ gestimmt. Diejenigen, die sehr häufig mit Alarmen zu tun hatten, waren tendenziell eher dagegen, die Software weiter einzusetzen. Ein Erklärungsansatz dafür wäre, dass die Software ja präventiv wirken soll, also, dass die Einbrecher durch mehr Polizeipräsenz abgeschreckt werden. Und wenn man starke Präsenz zeigt und keine Taten folgen, ist der Erfolg nicht sichtbar für die Polizisten.

Das Programm funktioniert gar nicht ohne erfahrene Beamte.

WIRED: Wie wurde die polizeiliche Aktivität während eines Precobs-Alarms gemessen?
Gerstner: Zum einen haben wir uns die GPS-Daten von den Einsatzfahrzeugen angeschaut, daran kann man ungefähr ablesen, wie stark die Polizeidichte zunimmt. Zum anderen haben die Polizisten bei den Alarmen dokumentiert, was genau sie gemacht haben.

WIRED: Wie haben Software und die Beamten zusammengearbeitet?
Gerstner: Der Computer arbeitet nicht komplett autonom. Das Programm funktioniert gar nicht ohne erfahrene Beamte. Die Software erstellt automatische Prognosen. Die werden immer nochmal geprüft von den sogenannten Operatoren, also den Polizisten, die die Software bedienen. Wenn jemand bei seinem Ex-Partner seinen Verlobungsring zurückholt, ist das eher eine Beziehungstat als ein Einbruch. Das kann der Computer nicht erkennen, die Beamten aber schon. Diesen Alarm nehmen sie dann gar nicht erst an. Die Operatoren können aber auch selbst Alarme auslösen.

WIRED: Welche Effekte der Software auf die Polizeiarbeit haben Sie in Ihrer Studie feststellen können?
Gerstner: Wir konnten feststellen, dass je intensiver die Alarme ausgelöst wurden, desto weniger Folgedelikte gab es. Aber dieser Effekt war nur sehr gering. Es ist generell sehr schwierig, die Wirksamkeit von Polizeiarbeit zu messen, weil es starke Zufallsschwankungen gibt. In Karlsruhe zum Beispiel konnten wir keinen wirklichen Effekt feststellen, in Stuttgart hingegen einen massiven Rückgang der Einbruchzahlen. Das kann aber auch mit anderen Dingen zu tun haben. In manchen Jahren wird mehr eingebrochen, in manchen weniger. Auch ist Precobs ja nicht das einzige Mittel, das die Polizei gegen Wohnungseinbrüche einsetzt. Die Software ist eben keine Wunderwaffe gegen Einbrüche.

WIRED: Wie sinnvoll schätzen Sie die Nutzung von Big Data für die Polizeiarbeit ein?
Gerstner: Solche Strategien können hilfreich sein bei der Polizeiarbeit, egal ob sich die Analysen auf die Vergangenheit beziehen oder auf die Zukunft - wie beim Predictive Policing. Inwieweit sie tatsächlich zum Erfolg beitragen, kann man jetzt nur schwer abschätzen. Datenanalyse wird auf jeden Fall ein großes Thema bleiben, aber man muss sich der Gefahren bewusst sein. Bei Precobs werden keine personenbezogenen Daten verarbeitet, deshalb ist es relativ unbedenklich. Wenn personenbezogene Daten dazu kommen, muss man sich natürlich Gedanken machen über Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Solche Strategien gibt es aber eher in den USA und in Großbritannien. In Deutschland sind wir von der Nutzung personenbezogener Daten beim Predictive Policing noch relativ weit entfernt.

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