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Himmelfahrtskommando? Warum Mars One wohl niemals die Erde verlassen wird

von Michael Förtsch
Schon 2024 will das niederländische Projekt Mars One erste Siedler auf den roten Planeten bringen. Tausende hätten sich für die ausgeschriebenen One-Way-Tickets ins All beworben, behauptet die Raumfahrtstiftung. Doch nun mehrt sich Kritik von Journalisten, Wissenschaftlern, aber auch jenen, die als Teilnehmer der privaten Raumfahrtmission ausgewählt wurden. Die Vorwürfe: kein Plan, kein Geld, geschönte Zahlen.

Mars One wurde 2011 ins Leben gerufen und sorgte mit seinen ambitionierten Plänen für viel Medienwirbel. Jeder Mensch könne sich für einen Flug zum Mars und den Aufbau einer Kolonie auf dem roten Planeten bewerben, hieß es. Einzige Voraussetzungen: 73 Dollar Bewerbungsgebühr und dass man sich bereit erklärt, nicht nur zum Mars zu fliegen, sondern auch dort zu sterben — denn ein Rückflug ist nicht geplant. Im Januar 2015 wurden die 100 Finalisten bekannt gegeben. Nun sollte eigentlich das Training der Astronauten und die Vorbereitungen für eine geplante Vorversorgungsmission beginnen, die 2018 schon mal Material für die Siedler auf den Mars bringen soll. Allerdings scheint es derzeit mehr als fraglich, ob einer der Mars-One-Astronauten je einen Fuß aus unseren rostroten Nachbarn setzten wird.

200.000 Bewerber? Die richtige Zahl liegt wohl nur bei 2761.

Die australische Journalistin Elmo Keep kritisiert vor allem die Intransparenz von Mars One. Dabei greift sie die Erfahrungen von Mars-One-Finalist Joseph Roche auf, einem Astrophysiker und ehemaligen NASA-Wissenschaftler. „Viele Medien berichten weiterhin, dass Mars One Bewerbungen von 200.000 Menschen erhalten habe, die gerne auf einem anderen Planeten sterben würden“, schreibt Keep etwa. „Die richtige Zahl wäre aber 2761.“ Die angeblich 200.000 Personen seien lediglich jene gewesen, die angefangen hätten, auf der Internetseite von Mars One das Bewerbungsformular auszufüllen. Zudem, so Joseph Roche gegenüber Keep, sei auch das Gebaren gegenüber den potentiellen Raumfahrern äußerst suspekt und lasse stark an der finanziellen Basis des Projektes zweifeln.

 

Die Top-10-Kandidaten sind nicht die Qualifiziertesten, sondern jene, die am meisten Geld investiert haben.

„Wenn du der Mars One Community beitrittst, was automatisch passiert, wenn du als Kandidat angenommen wirst, beginnen sie dir Punkte zu geben“, erklärte Roche der Journalistin. „Du bekommst Punkte für jede Runde des Auswahlprozesses, und dann ist der einzige Weg, mehr Punkte zu bekommen, Merchandise zu kaufen oder Geld zu spenden.“ Außerdem würden die Finalisten angehalten, gern Geld für Interviews anzunehmen — und 75 Prozent davon an Mars One zu geben. Eine Liste der Top-10-Kandidaten zeige daher nicht die Qualifiziertesten, sondern jene, die am meisten Geld investiert haben. Ein Kritikpunkt, den Mars One in einer Erwiderung auf die Vorwürfe zurückweist — das Punktesystem sei Teil der „Gamification“, die „Spaß und Engagement“ der Teilnehmer steigern sollen.

Weiterhin beunruhigt Roche, dass er noch nie jemanden von Mars One persönlich getroffen habe. Aus der angekündigten Eignungsprüfung mit Interview und mehrtägigen Tests sei letztlich ein „10-Minuten-Skype-Gespäch“ geworden. Eine Fragerunde rund um den Mars und die Mission, keine psychologische Untersuchung oder ein Prozess, der „die Anforderungsstandards eines traditionellen Astronautenauswahlverfahrens“ erfülle. Worauf Mars One lediglich erwidert, dass man eben keine Piloten, sondern Kolonisten suche — und noch ein intensives Training für die Teilnehmer bevorstehe. Dennoch „bedeutet das, dass alle Infos, die sie über mich haben, ein schlechtes Video und ein Formular mit Ein-Wort-Antworten sind“, fasst Roche zusammen. „Das ist keine Grundlage, um sich ein Urteil zu erlauben.“

Der erste Kolonist würde nach 68 Tagen sterben.

MIT-Studie

Mehr noch, schrieb Roche selbst, die Pläne von Mars One seien gefährlich undurchdacht. Eine Studie von Doktoranden des Massachusetts Institute of Technology (MIT) kam etwa zu dem Ergebnis, dass wohl schon nach 68 Tagen auf dem Mars der erste Kolonist sterben würde. Der Grund seien Probleme bei der Konstruktion des Mars-Habitats. Beispielsweise würde es schnell zu einem Sauerstoff-Stickstoff-Ungleichgewicht, daraus resultierende Feuer- und Erstickungsgefahr und einer potentiellen Nahrungsmittelknappheit kommen. Allerdings würden sich einige dieser Inkonsistenzen durch alternative Versorgungskonzepte und Lieferungen von der Erde kompensieren, die die Mission jedoch ungleich teurer machen würden. Mars One hat die MIT-Studie pauschal als falsch und verzerrend bezeichnet — ohne auf Details einzugehen.

Nach Meinung von Elmo Keep und Joseph Roche ist es aber wohl sowieso unrealistisch, dass Mars One jemals Menschen ins All schickt. „Mars One hat fast kein Geld. Mars One hat keine Verträge mit privaten Raumfahrtzulieferern, die Technik für die zukünftigen Mission bauen“, fasst Keep zusammen. Auch ein TV-Vertrag mit „Big Brother“-Produzent Endemol sei geplatzt, der Milliarden in die Kassen spülen sollte. Mars One kontert, dass man derzeit „mit einer Investmentfirma und einer neuen Produktionsfirma“ im Gespräch sei, „die die dokumentarischen Aspekte des Projekts übernimmt.“ Kandidat Roche beteuert unterdessen, seine große Angst sei nicht, dass Mars One scheitert, sondern dass das Projekt weiterhin finanzielle Unterstützung und Aufmerksamkeit erfährt. Denn wenn Mars One dann zu Grunde gehe, würden viele ihr Vertrauen und den Glauben in ernsthafte Organisationen wie die NASA, ihre Wissenschaftler und die bemannte Raumfahrt an sich verlieren. 

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