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Was Naturwissenschaftler unter Liebe verstehen

von GQ
Ist Liebe ein Gefühl, ein Trieb, Gehirnchemie oder etwas ganz Anderes? Es ist die eine Frage, die unsere Kultur und Beziehungen seit Tausenden von Jahren immer wieder beschäftigt hat. Aber was ist Liebe nun? WIRED hat nachgefragt.

Liebe ist mächtig genug, um Leben zu schaffen und zu zerstören. Während unzählige Bücher Gedichte, Filme, Lieder und Berufe versucht haben, Liebe zu enträtseln oder sie wenigstens abzubilden, versuchen wir herauszufinden, was genau sie ist.

WIRED hat die Neurowissenschaftlerin Gabija Toleikyte und Biologie-Anthropologin Helen Fisher nach ihrer professionellen Einschätzung gefragt.

Was ist Liebe?
Beide Wissenschaftler stimmen überein, dass Liebe nichts ist, das kontrolliert, kuratiert oder ausgeschalten werden kann. Sie entstammt unserem Unterbewusstsein. „Der unterbewusste Teil unseres Gehirns verarbeitet etwa zehn Mal mehr Informationen als unser rationales Gehirn”, sagt Toleikyte im Gespräch mit WIRED. „Wenn wir uns also tatsächlich verlieben, mag das vielleicht wie eine spontane Erfahrung wirken, unser Gehirn arbeitet aber sehr hart daran, dieses Gefühl zu erzeugen und zu verarbeiten.“ 

Fisher bezeichnet das als romantische Liebe – etwas, das sie etwas unromantisch definiert als „grundsätzlicher Trieb, der sich vor Millionen von Jahren entwickelt hat, um unsere Aufmerksamkeit auf einen Partner zu fokussieren, um den Fortpflanzungsprozess einzuleiten.” Es ist also eine komplexe Folge von Berechnungen des Unterbewusstseins, das uns eine unkontrollierbare emotionale Erfahrung beschert.

Woher wissen wir, dass das, was wir fühlen, wirklich Liebe ist?
„Alles, was mit dem Menschen zu tun hat, den man liebt, bekommt plötzlich eine ganz besondere Bedeutung“, sagt Fisher. „Das Auto, das er oder sie fährt, ist völlig anders als die anderen Autos auf dem Parkplatz. Die Straße, in der sie lebt, sein Haus, die Bücher – alles an der Person wird zu etwas Besonderem.“ Man könnte vermutlich jederzeit eine Liste der Sachen zusammenstellen, die einen am Anderen stören, doch im Zustand der Verliebtheit wischt man das elegant beiseite und konzentriert sich auf das Positive. Liebe erzeugt das intensive Gefühl, energiegeladen zu sein. Gleichzeitig kippt die Stimmung aber schnell: Wenn alles gut läuft, schwebt man geradezu, doch wehe, etwas geht schief, er oder sie reagiert etwa nicht auf eine Nachricht – dann verzweifelt der Liebende fast.

Physische Symptome von Liebe sind: trockener Mund, ein Schmetterlingsgefühl im Bauch, weiche Knie, Trennungsangst, Lust auf Sex und auf emotionale Einheit. „Man will, dass der geliebte Mensch einem schreibt oder einen anruft und tut selbst eine Menge dafür, die andere Person für sich zu gewinnen“, sagt Fisher. „Es ist wirklich erstaunlich, was Menschen tun, wenn sie sich verlieben.“

Fisher hat eine Studie durchgeführt, an der 17 Frischverliebte teilnahmen (zehn Frauen, sieben Männer). Im Schnitt waren sie seit siebeneinhalb Monaten verliebt. Fisher ließ ihre Hirne scannen. Dort erkannte sie Aktivität in den Arealen des Gehirns, in denen Dopamin entsteht und von dort in andere Regionen geschickt wird. „Das ist quasi das Belohnungszentrum des Gehirns. Von hier entstammen psychische Zustände wie Wollen, Suchen, Sich-Sehnen, Energie und Motivation“, schreibt die Forscherin. Verliebte seien im Prinzip high – auf einer natürlichen Droge.

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Kann Liebe für immer sein?
Es gibt eine ganze Anzahl von Theorien, die besagen, dass Liebe nicht dauern kann und so auch nicht gedacht ist. Aber Toleikyte wirft in die Diskussion folgendes Argument: Es sei entscheidend, was man als Liebe definiere. Liebe als Emotion habe Folgewirkung: Es entstehe eine enge Verbindung zwischen zwei Menschen, die aufeinander eingespielt seien, einander vertrauten und bestimmte gemeinsame Gewohnheiten entwickelten. Liebe setze den Rahmen für ein Miteinander, das gemeinhin als Beziehung bezeichnet werde. „Liebe als Gesamterfahrung kann lange halten“, sagt Toleikyte. Nur wenn Partner zu viele Kompromisse eingegangen seien oder einer von beiden sich als komplett anders als erwartet erweise, könne das die Liebeserfahrung verändern.

Fisher sagt, sie habe in einer Studie belegen können, dass Liebe für immer halten kann (zumindest einige Jahrzehnte, was heute schon einer Ewigkeit nahe komme): 15 Menschen zwischen 50 und 60 hätten daran teilgenommen und Fisher erzählt, dass sie noch immer in ihren Partner verliebt seien. Im Schnitt waren sie 21 Jahre verheiratet. Der Gehirn-Scan ergab: Das Areal, in dem sich im Hirn Liebe manifestiert, war noch immer aktiv. „Diese Langzeitverheirateten fühlen noch immer etwas von der ersten Verliebtheit“, so Fisher – „Also, ja, es ist möglich.“

Gibt es die Liebe auf den ersten Blick?
Toleikyte und Fisher sind beide fest davon überzeugt, dass es die Liebe auf den ersten Blick gibt. Die Forscherinnen sagen sogar, diese sei einfach nachzuweisen. Toleikyte ist das lebende Beispiel für diese These: Ihr Ehemann und sie verliebten sich sehr schnell und heirateten ein Jahr später. „Unsere beiden Gehirne errechneten, dass wir einander direkt ins Liebeszentrum getroffen hatten. Von da an waren wir voll aufeinander fokussiert“, erzählt Toleikyte. Das sei allerdings nichts, wonach man aktiv suchen könne. Das geschehe einfach.

Fisher sieht eine Parallele zwischen Liebe und dem Angstsystem des Gehirns. Angst könne zu jeder Zeit aktiviert werden, genau wie Ärger, Freude und Traurigkeit, sagt Fisher. So sei das auch mit dem Gefühl von Liebe. Sich sehr schnell verlieben zu können, sei ein evolutionärer Vorteil. Schließlich hätten unsere Vorfahren einst in kleinen Gruppen zusammengelebt, die selten auf andere Gruppen oder Einzelpersonen stießen. „Wenn dann plötzlich zum Beispiel beim Wasserholen Mitglieder unterschiedlicher Familien zufällig aufeinandertrafen, war da in vielen Fällen sofort eine gegenseitige Anziehungskraft zu spüren.“

Gibt es verschiedene Arten von Liebe?
Toleikyte argumentiert aus neurologischer Perspektive: Nein. Wenn Menschen einander liebten, sei das ein recht einheitliches Gefühl, sagt sie. Nur der Weg dorthin könne jeweils sehr unterschiedlich aussehen. „Manchmal brauchen Menschen eine Weile, um wirklich Liebe füreinander zu empfinden, manchmal geht es sehr schnell. Dafür haben wir unterschiedliche Namen, aber das Resultat ist vergleichbar.“

Fisher geht davon aus, dass es drei verschiedene Gehirnsysteme gibt, die jeweils mit Fortpflanzung zu tun haben: Der Sexualtrieb, das Gefühl romantischer Liebe und das Gefühl, einander tief verbunden zu sein. Diese würden oft als verschiedene Phasen interpretiert, könnten aber im Gehirn jeweils unabhängig voneinander aktiviert werden und zeitgleich stattfinden. Dass es meistens mit sexueller Anziehung beginne, dann zu romantischer Liebe werde und schließlich in dem Gefühl von Zusammengehörigkeit ende, sei eine falsche Annahme. Es könne auch ebenso andersrum passieren: „Man kann sich jemandem verbunden fühlen, weil man bei der Arbeit oder im Bekanntenkreis vieles gemeinsam hat. Und wenn sich dann irgendetwas ändert, kann dieses Gefühl zu Verliebtheit werden.“

Welchen Zweck hat Liebe?
Es geht ums Überleben, sagt Toleikyte. „Man kann weder in der afrikanischen Savanne noch im Dschungel überleben, wenn man auf sich allein gestellt ist.“ Liebe diene dazu, gut miteinander umzugehen, auch mal selbstlos zu sein und sich umeinander zu kümmern.

Fisher stimmt zu, dass Liebe vor Millionen von Jahren entstand, um die menschliche Rasse weiterzuentwickeln. Vor allem zur Aufzucht der Nachkommen sei dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit notwendig gewesen, sagt sie. Immerhin sind menschliche Babys lange Zeit auf Eltern angewiesen. „Menschen tun sich seit vier Millionen Jahren zu Paaren zusammen, und seitdem gibt es im Gehirn das Areal für romantische Liebe“, sagt Fisher. 

WIRED.uk

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.uk
Das Original lest ihr hier.

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