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Dieser Mann legt „Geisterteilchen“ auf die Waage

von Anna Schughart
Guido Drexlins Arbeitsgerät kann, was bisher unmöglich war: das Gewicht des leichtesten Elementarteilchens im Universum messen. Im Interview spricht der Astroteilchenphysiker vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT) über KATRIN.

Bald geht es los: Im Dezember wird KATRIN mit ihren Messungen beginnen. Die Anlage soll herausfinden, welche Masse Neutrinos haben. Wie das funktioniert und was das mit Extradimensionen zu tun hat, erzählt Astroteilchenphysiker Guido Drexlin im WIRED-Interview.

WIRED: Herr Drexlin, was ist KATRIN?
Guido Drexlin: KATRIN beschäftigt mich schon seit knapp 15 Jahren. Die Abkürzung steht für das Karlsruher Tritium Neutrino Experiment. Dahinter verbirgt sich die genauste Waage der Welt für Neutrinos.

WIRED: Und was sind Neutrinos?
Drexlin: Neutrinos sind die leichtesten Elementarteilchen überhaupt. Man nennt sie auch Geisterteilchen, denn Neutrinos sind ungeladen und wechselwirken praktisch nicht mit anderer Materie. Sie fliegen durch alles hindurch, wodurch ihre Masse extrem schwer zu messen ist. Doch genau das haben wir mit KATRIN vor.

WIRED: Wenn Neutrinos so schwer zu messen sind, wie macht KATRIN das dann?
Drexlin: Dafür wenden wir einen alten Trick an: Wenn das Element Tritium zerfällt, entstehen dabei Elektronen und Neutrinos. Da wir dank Einstein wissen, dass Masse eigentlich Energie ist, tragen Neutrinos mit Masse immer einen kleinen Teil der Energie aus dem Zerfall weg. Die Energie, die dann den Elektronen fehlt, können wir mit einem Spektrometer messen. So bestimmen wir, welche Masse die Neutrinos haben.

Wir erforschen etwas fundamental Neues und feilen nicht nur an Nachkommastellen

Guido Drexlin

WIRED: Dazu haben Sie in Karlsruhe eine weltweit einzigartige Anlage gebaut.
Drexlin: Ja, daran sind viele Kollegen aus aller Welt beteiligt. Bis heute musste zum Aufbau viel Pionierarbeit geleistet werden: Unser 24 Meter langer Spektrometertank ist zum Beispiel der größte Ultrahochvakuumtank der Welt. Würde er an der Mondoberfläche geöffnet, gäbe es keinen Austausch von Gasteilchen – so gut ist das Vakuum in unserem Tank.

WIRED: Wenn Neutrinos flüchtige Teilchen sind, die kaum wechselwirken, warum müssen wir dann überhaupt wissen, was sie wiegen?
Drexlin: Eine der großen ungelösten Fragen in der Physik und Astrophysik ist, warum Teilchen überhaupt eine Masse haben. Nach den einfachsten Theorien sollten eigentlich alle Teilchen mit Lichtgeschwindigkeit durch das Universum rasen. Normale Materie bekommt ihre Masse durch das Higgs-Boson. Wir wechselwirken also ständig mit den Higgs-Bosonen und das hindert uns sehr effektiv daran, mit Lichtgeschwindigkeit auseinanderzufliegen.

WIRED: Und Neutrinos tun das nicht?
Drexlin: Neutrinos bekommen ihre Masse wahrscheinlich nicht durch die Higgs-Teilchen. Das ist natürlich furchtbar interessant und spannend. Die Vermutung ist, dass Neutrinos ihre Masse durch einen ganz anderen Prozess bekommen. Dazu gibt es viele Theorien, angefangen mit Extradimensionen...

WIRED: Extradimensionen?
Drexlin: Es gibt Leute, die glauben, dass wir neben Zeit und Raum noch mehr Dimensionen haben und dass Neutrinos durch solche Prozesse ihre Massen bekommen. Eine andere Theorie ist, dass sie sehr schwere Brüder und Schwestern haben, mit denen sei sehr eng gekoppelt sind. Aber man kann viel spekulieren, beinahe jeden Tag gibt es eine neue Theorie. Wir haben uns das Ziel gesetzt, wenigstens mal einen Punkt zu setzen und die Masse von Neutrinos zu messen. Mit KATRIN erforschen wir etwas fundamental Neues und feilen nicht nur an Nachkommastellen.

WIRED: Bald beginnen die ersten Experimente. Wie fühlt sich das nach Jahre langer Vorbereitung an?
Drexlin: Als vergangenes Jahr zum ersten Mal Elektronen durch die Anlage flogen, war das ein Wow-Gefühl, wie man es nur ganz selten hat. Die Daten sind wunderbar, der erste Lohn unserer harten Arbeit. Jetzt sind wir optimistisch für den Startschuss zu den ersten Tritium-Messungen im Dezember. Fünf Jahre lang werden wir messen und Ende 2022 hoffentlich wissen, welche Masse Neutrinos haben. Schon nach wenigen Wochen dringen wir aber in einen bisher nicht untersuchten Massenbereich von Neutrinos vor. Es wird also spannend im nächsten Jahr.

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