Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

So nah an der Vorhersage waren Erdbebenforscher noch nie

von Anna Schughart
Nach den Erdbeben in Italien fragen sich viele: Warum weiß niemand, wann ein Erdbeben wo auftreten wird? Selbst nach Jahrzehnten der Forschung sind noch nicht ausreichend Daten da. Und: Es ist kompliziert. Doch neue Technologien könnten helfen. ESA-Satelliten unter anderem.

Kröten spüren es vielleicht. Dass manche Tiere vorausahnen, wann die Erde beben wird und sich dann in Sicherheit bringen, vermutet man schon länger. Wissenschaftliche Studien gibt es dazu kaum. Doch 2010 konnten Rachel Grant und ihr Team von der Open University in Großbritannien zeigen, dass 96 Prozent der männlichen Kröten fünf Tage vor einem Erdbeben in L'Aquila ihre Brutstätte verließen. Die Brutstätte war 74km vom Epizentrum des Erdbebens entfernt.

„Unsere Studie ist eine der ersten, die das Tierverhalten vor, während und nach einem Erdbeben dokumentiert“, sagte Grant. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Kröten in der Lage sind, prä-seismische Hinweise wie die Freisetzung von Gasen und geladene Partikel zu erkennen und diese als eine Form von Erdbebenfrühwarnsystem nutzen können.“

Auch Menschen ist es in wenigen Fällen gelungen, Erdbeben vorauszusagen. Zum Beispiel 1975 in Haicheng. Am frühen Morgen des 4. Februar ließen die Behörden die chinesische Millionenstadt evakuieren. Auslöser dafür waren Grundwasser- und Bodenanhebungen über mehrere Monate sowie die Beobachtung ungewöhnlichen Tierverhaltens. Am Abend ereignete sich das Erdbeben mit einer Magnitude von 7,3.

„Danach war die Euphorie groß“, sagt Birger Lühr vom Geoforschungszentrum Potsdam. Die Platentektonik war seit Beginn der 60er anerkannt und viele – auch sehr seriöse – Erdbebenforscher seien damals sicher gewesen: „Noch 25 Jahre Forschung, dann können wir Erdbeben voraussagen.“ Doch die Euphorie hielt nicht lange. Ein Jahr später ereignete sich das Tangshan-Beben. Mit geschätzten 650.000 Toten ist es wahrscheinlich das schlimmste Erdbeben des 20. Jahrhunderts. Und niemand hatte es kommen sehen.

Man müsste nur ein zehn Kilometer tiefes Loch bohren

Birger Lühr

„Bei einem Erdbeben kann das Gestein die angesammelte Spannung nicht mehr halten,“ erklärt Lühr. Ein Erdbeben ist immer ein sogenannter Flächenbruch, es hat also eine Länge und eine Breite. „Auf dieser Fläche findet eine so plötzliche und so ruckartige Verschiebung statt, dass wir sie als Erdbeben wahrnehmen.“ Die Fläche bricht allerdings nicht auf einmal, sondern setzt sich vom Hypozentrum (an der Erdoberfläche ist das dann das Epizentrum) mit einer Geschwindigkeit von zwei bis drei Kilometern pro Sekunde fort. „Die meisten Erdbeben beginnen in einer Tiefe von etwa zehn Kilometern“, sagt Lühr.

Das heißt: Um ein Erdbeben vorherzusagen, müsste man eigentlich wissen: Was passiert gerade in zehn Kilometern Tiefe? Wie weit ist das Gestein vorgespannt? Wann wird es brechen? „Das könnte man messen. Man müsste nur ein zehn Kilometer tiefes Loch bohren“, sagt Lühr. Das Problem: Solche Bohrungen bräuchte man alle paar Kilometer, besser noch alle paar Meter. Es ist, einfach gesagt, viel zu teuer und viel zu aufwendig. „Solche tiefen Bohrungen gibt es auf der Erde nur ganz wenige.“

Für eine richtige Erdbebenvorhersage müsste man voraussagen, wann, wo und mit welche Stärke sich ein Erdbeben ereignen wird. „Das können wir nicht,“ sagt Lühr, „weil wir viele Parameter nicht bestimmen können und auch unsere Datenlage – nach hundert Jahren Erdbebenforschung – noch nicht gut genug ist.“ Man müsste noch einmal vielleicht dreihundert Jahre lang Erdbebendaten sammeln, damit man überhaupt eine vernünftige Statistik erstellen könne. Zusammengefasst bedeute das: „Unsere Datenlage ist mager und unser Verständnis von Erdbeben – auch wenn es seit den 60er Jahren gewaltig gewachsen ist – noch sehr grob.“

Und trotzdem sind die Seismologen gespalten: „Es gibt schon einige, die behaupten, das Ganze sei so chaotisch, dass wir niemals Vorhersagen machen können. Und dann gibt es die andere Gruppe, die glaubt, dass wir an eine Vorhersage doch einige Schritte herankommen können.“

Erdoberflächenbeobachtung mit GPS und Satelliten
Ein Rezept gibt es dafür nicht. Aber mit Hilfe von GPS und Radarsatelliten wie den ESA-Sentinel-Satelliten, lässt sich beispielsweise heutzutage die Erdoberfläche beobachten. So sieht man eher, wo sich etwas verhakt. „Man kann mittlerweile auch besser einschätzen, wie stark ein Beben in bestimmten Regionen werden könnte, sowie die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von maximalen Bodenbeschleunigungen in Erdbebengefährdungskarten darstellen“ sagt Lühr. Und: Sogenannte seismologische Lücken, also Orte an denen es, statistisch gesehen, eigentlich in nächster Zeit wieder zu einem Erdbeben kommen müsste, bestimmen.

Auch Kees Vuik von der TU Delft glaubt, dass sich Erdbeben zukünftig voraussagen lassen – zumindest teilweise. Wann ein Erdbeben stattfinden werde, sei schwer zu bestimmen. „Ich denke nicht, dass das in der nächsten Zukunft gelöst werden kann.“ Anders sieht es beim Ort aus: „Neue Software und Hardware ermöglichen uns ein besseres Verständnis von den Ursachen für Erdbeben. Das macht es einfacher zu sagen, wo ein Erdbeben auftreten kann.“

Vuik hat zusammen mit Geologen der Universität Utrecht ein Modell entwickelt, dass die Bewegungen in der Erdkruste prognostiziert. Dazu müsse man den Druck, die Temperatur und Geschwindigkeiten des Gesteins im Untergrund berechnen, erklärt Vuik. Das ist nicht sehr einfach. „Aber eine Schätzung der Spannung kann helfen, die Wahrscheinlichkeit für ein Erdbeben an einer bestimmten Stelle vorauszusagen.“

Bisher haben Vuik und seine Kollegen die Nordanatolische Verwerfung simuliert. „Das Modell kann aber auch auf andere Regionen übertragen werden.“ Dazu braucht das Modell den Input von echten Messungen: „Wenn diese Messungen nicht verfügbar sind, kann die Methode nicht genutzt werden.“

Doch wenn man vielleicht nie genau sagen kann, wann ein Erdbeben wo und mit welcher Stärke auftreten wird, wäre es dann nicht besser, sich statt auf die Vorhersage auf die Schadenskontrolle zu konzentrieren? „Wir sollten beides tun“, findet Vuik. „Mit Messungen und Modellen können wir das Risiko eines Erdbebens in einer bestimmten Region besser prognostizieren. Aufgrund des Risikolevels kann man dann entscheiden, ob man eine Hochrisikozone besser verlässt oder mehr in die Schadenskontrolle investiert.“

+++ Mehr von WIRED regelmäßig ins Postfach? Hier für den Newsletter anmelden +++

GQ Empfiehlt