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Emotionales Tief: Bots können gute Lebenshelfer sein

von Michael Förtsch
Forscher der Stanford University haben einen Chatbot entwickelt, der bei Angststörungen und depressiven Verstimmungen helfen soll. In einer Studie hat sich der Woebot als fähiger Therapeut erwiesen. Wer mag, der kann jederzeit eine mehrtägige Sitzungsreihe mit dem geduldigen KI-Zuhörer starten.

Es kann helfen, jemanden zum Reden zu haben, wenn man ständig angespannt ist und das Gefühl hat, zu oft Angst oder Überforderung zu spüren. Aber nicht jeder kann oder mag sich gegenüber anderen öffnen. Genau hier soll Woebot einspringen. Ein intelligenter Chatbot, den jeder über Facebook anschreiben und testen kann. Er soll als virtueller Kummerkasten und Gesprächstherapeut herhalten und helfen, negative Gedankengänge zu identifizieren und die eigenen Emotionen zu reflektieren. Seit einigen Monaten schon kann er genutzt werden, nun haben Wissenschaftler ein erstes Zwischenfazit gezogen.

Denn der Chatbot verspricht viel: „Ich hoffe, eine Momentaufnahme deines emotionalen Lebens einzufangen“, sagt der Woebot im Einstieg in den Dialog. „Das Ziel ist es, Muster zu erkennen, die wir zusammen aufarbeiten.“ Dafür setzt der Bot auf Mechaniken und Lehren der kognitiven Verhaltenstherapie. Er stellt einfache Fragen danach, wie oft man sich in der Woche antriebslos oder unruhig fühle. Oder auch, welche Gefühle und Themen einen gerade umtreiben. Mit Videos und Spielen werden verständlich Konzepte vermittelt, mit denen destruktive Denkprozesse und Gefühle angegangen, bekämpft und transformiert werden. Über mehrere Tage hinweg meldet sich der Bot, um das Gespräch wieder aufzunehmen.

„Woebot ist nicht dazu gedacht, Psychiater oder Psychotherapeuten zu ersetzen“, sagt Psychologin Alison Darcy, die den Chatbot gemeinsam mit einem Team von Forschern an der Stanford University konzipiert und entwickelt hat. „Aber es existiert eine große Lücke zwischen der Möglichkeit, zu einem Therapeuten zu gehen – oder nichts zu tun. Genau die wollen wir zumindest teilweise schließen.“ Der Chat soll eine Anlauftherapie ermöglichen, die den Patienten hilft, ihre Probleme zu erkennen. Sie sollen bemächtigt werden, sich selbst zu helfen oder den Mut zu finden, wenn eine psychische Störung oder klinische Depression vorliegt, professionelle Unterstützung zu suchen.

Dass das auch so funktioniert, haben die an der aktuellen Studie beteiligten Forscher nun belegen können. Insgesamt 70 Studierende zwischen 18 und 28 Jahren, die sich selbst als depressiv einschätzen, nahmen daran teil. Sie beantworteten Standardfragebögen zu Angststörungen und Depressionen und wurden anschließend in zwei Gruppen eingeteilt. Eine verbrachte über zwei Wochen hinweg bis zu 20 Sitzungen mit dem Woebot. Die andere bekam ein Exemplar des Selbsthilfe-E-Books Depression in College Students des National Institutes of Health, das einfache Möglichkeiten zur Selbstdiagnose und Selbsthilfe aufzeigt. Wobei ein Text-Chat mit einem echten Therapeuten sicherlich einen besseren Vergleichswert geliefert hätte.

Depressionssymptome haben sich signifikant reduziert

Den Studierenden, die ihre Zeit mit Woebot verbrachten, soll es am Ende des Versuchszeitraums deutlich besser gegangen sein. Ihre „Depressionssymptome haben sich signifikant reduziert“, bestärkt die Studie, die im Journal of Medical Internet Research Mental Health veröffentlicht wurde. Beispielsweise hätten sich die Probanden seltener einsam, verunsichert oder kraftlos gefühlt. Ebenso wären sie zu einer „größeren emotionalen Wahrnehmung“ ihrer selbst gelangt und hätten das Gefühl gehabt, etwas über sich „dazu gelernt zu haben“. Bei der zweiten Gruppe wären lediglich kleine Verbesserungen messbar gewesen.

Die Studie führt die Ergebnisse vor allem auf die Interaktivität des Chatbots, das „gemeinsame Arbeiten“ und die Simulation eines emotionalen und sozialen Diskurs zurück. „Die Zahl der Teilnehmer, die den Bot als empathisch empfanden, ist bemerkenswert“, schreiben die Autoren. Unter anderem hätten die Probanden den Chatbot in Befragungen als „einen Kumpel“ und „lustigen kleinen Kerl“ charakterisiert. Diese Ergebnisse stehen durchaus in einer Linie mit früheren Versuchen, die ebenso aufzeigten, dass Menschen digitale Gesprächspartner als emotionale Zuhörer und Helfer empfinden können.

Genau das solle Woebot auch primär leisten, meinen seine Entwickler. Der Chatbot soll weder die Kindheit des Nutzers analysieren noch Medikationen vorschlagen – nicht jetzt und auch nicht in allzu naher Zukunft. Das einstige Uni-Projekt, das als Startup in San Francisco ausgegründet wurde, wird mittlerweile auch vom bekannten Baidu-KI-Entwickler Andrew Ng unterstützt. „Wenn man auf die sozialen Bedürfnisse und die Fähigkeiten Künstlicher Intelligenzen schaut, dann, denke ich, treffen wir hier einen Nerv“, sagt Ng. „Wenn wir es schaffen, etwas durch einen Chatbot zu liefern, das dem Einblick und der Empathie eines Therapeuten ähnelt, dann könnten wir Millionen Menschen helfen.“

Hinweis:

Solltet ihr euch depressiv fühlen, unter Suizid-Gedanken leiden oder einfach mit jemanden sprechen wollen: Unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 erreicht ihr kostenfrei und rund um die Uhr die Telefon-Seelsorge. Die Mitarbeiter hören euch zu und können professionelle Hilfe vermitteln. Denn selbst wenn ein Chatbot ein guter Zuhörer sein kann – ein Mensch ist stets besser.

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