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So macht der weltstärkste Röntgenlaser in Hamburg Unsichtbares sichtbar

von Anna Schughart
Er hat 1,2 Milliarden Euro gekostet, der längste und stärkste Röntgenlaser der Welt. Er soll zeigen, was nie zuvor gezeigt werden konnte. WIRED erklärt, wie der European XFEL neues Wissen auf vielen verschiedenen Forschungsgebieten schaffen könnte. Nun gab es eine erste Erfolgsmeldung.

Update, 01.09.2017: Nach achtjähriger Bauzeit ist der Röntgenlaser European XFEL offiziell eröffnet worden. Im Mai hatte bereits mehr als ein halbes Jahr nach der Fertigstellung die Röntgenlaseranlage einen aus Forschersicht großen Schritt in Richtung Inbetriebnahme getan: Erstmals erzeugte der Laser Lichtblitze. Dafür mussten Elektronen aus dem Linearbeschleuniger durch speziell angeordnete Magnete, sogenannte Undulatoren, geleitet werden. Die Strecke ist 210 Meter lang, und die Elektronen bewältigten sie mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Das Ganze wird „First Lasing“ genannt, vorerst nur ein Puls pro Sekunde, später sollen es 27 000 pro Sekunde sein.  Die insgesamt 3,4 Kilometer lange Anlage reicht vom Forschungszentrum DESY in Hamburg bis nach Schenefeld in Schleswig-Holstein, wo sich in einer unterirdischen Experimentierhalle die Messplätze befinden.

Hier erklärt WIRED, was es mit dem weltgrößten Laser auf sich hat:

Seit 2009 wurde an der Forschungsanlage gebaut. Seit dem 25. Oktober wird der European XFEL betriebsbereit gemacht. Er ist der längste und stärkste Röntgenlaser der Welt. Doch was ist das überhaupt?

Was ist ein Röntgenlaser?
Röntgenstrahlen kennt jeder vom Arzt. Bleikittel an, in die Maschine rein und nach ein paar Minuten erhält man ein Bild, auf dem der Arzt sehen kann, ob die Weisheitszähne raus müssen oder der Knochen gebrochen ist. Wenn das Röntgengerät beim Arzt also so etwas wie eine Glühbirne ist, die sichtbar macht, was Haut und Muskeln normalerweise verbergen, dann ist der European XFEL ein Laserpointer: Eine sehr intensive, gleichmäßige Strahlung auf einer Wellenlänge.

„Einen Röntgenlaserstrahl zu schaffen, war bis vor etwa zehn Jahren nicht möglich“, sagt Harald Sinn, der an der Konstruktion des European XFELs beteiligt ist. Jetzt soll der European XFEL Dinge sichtbar machen, die bisher im Verborgenen lagen.

Und wie funktioniert das genau?
Der Röntgenlaser besteht aus drei Teilen. Der erste Abschnitt ist ein Teilchenbeschleuniger. Dort werden Elektronenwolken aus einem Stück Metall herausgelöst und dann auf einer Strecke von zwei Kilometern beschleunigt. Sie haben dann fast Lichtgeschwindigkeit.

Im zweiten Abschnitt werden die jetzt sehr schnellen und energiereichen Elektronenwolken durch einen Bereich geschickt, in dem spezielle Magnete sie zum Slalom zwingen. So beginnen die Elektronen, Licht abzustrahlen. Die Elektronen sind aber langsamer als das Licht, das die Elektronen überholt und auf sie einwirkt. Einige Elektronen werden während dieses Prozesses langsamer, andere schneller. So bilden sich kleine Grüppchen oder besser: Scheiben, die dann alle im gleichen Takt strahlen.

Durch die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Röntgenstrahlung wird die Röntgenstrahlung immer stärker, es entstehen intensive Röntgenblitze. Der European XFEL kann bis zu 27.000 Röntgenblitze pro Sekunde erzeugen.

Im dritten Abschnitt treffen diese Röntgenblitze dann wie ein ultraschnelles Stroboskoplicht auf unterschiedliche Instrumente, an denen verschiedene Experimente gemacht werden. Dass sie dort ankommen, das ist die Aufgabe von Harald Sinn und seinem Team.

Was sind das für Experimente?
Der European XFEL ist ein Analyseinstrument. Er soll nicht nur ein einziges Rätsel lösen, sondern ganz viele Fragen aus unterschiedlichen Bereichen beantworten. Grob könnte man sagen: Der European XFEL kann winzige Strukturen, ultraschnelle Vorgänge und extreme Zustände erforschen. „Man kann damit Sachen messen, die man vorher nicht messen konnte“, sagt Sinn. Und das interessiert Biologen, Chemiker, Physiker und sogar Astronomen.

Es gibt sechs verschiedene Instrumente, die die unterschiedlichen Experimente der internationalen Forschern möglich machen sollen. „Wir haben im Prinzip zu den Wissenschaftlern gesagt: Bitteschön, hier habt ihr so viel Intensität in einem so kurzen Impuls, wie es sie vorher noch nie gegeben hat, jetzt denkt euch mal aus, was ihr damit macht,“ sagt Sinn. Und Ideen gab es viele.

Ein Beispiel aus der Biologie:
Will man die Struktur eines Moleküls herausfinden – also aus welchen Atomen es sich wie zusammensetzt, musste man es bisher in eine gute kristalline Form bringen. Das geht aber nicht bei allen Proteinen, Viren oder anderen biologischen Bausteinen. Der Röntgenlaser könnte weiterhelfen, denn ihm reichen schon sehr kleine, schlechte Kristalle und in manchen Fällen braucht er sogar nicht mal die.

Das liegt an der Intensität des Röntgenstrahls, bei dem sehr viele Lichtteilchen in einem Impuls sind. Damit erzeugt der Röntgenlaser dann so etwas Ähnliches wie das Röntgengerät beim Arzt: ein Bild von der Struktur. Wo allerdings die Technik beim Arzt nur die großen Strukturen (also Knochen oder Zähne) deutlich zu sehen sind, sorgt der Röntgenlaser dafür, dass „man die winzigen Strukturen einfach sieht und die großen Strukturen verschwimmen“, erklärt Sinn.

Und was kann der European XFEL sonst noch so?
Der European XFEL macht sichtbar, was bisher nicht zu sehen war. Zum Beispiel Atome, die durch den intensiven Röntgenstrahl so ionisiert (das heißt, dass man einen Teil der Elektronen wegnimmt) sind, dass man herausfinden kann, wie Materie sich in der Atmosphäre der Sonne verhält. Oder Plasma, das nur kurzzeitig stabil ist und dessen Eigenschaften man dank des Röntgenstrahls untersuchen kann.

Oder man „filmt“ bisher nicht messbare chemische Reaktionen. „Bei komplexen chemischen Reaktionen gibt es immer Stufen, bei denen das Molekül kurzzeitig in einem Zwischenzustand ist, der eine andere chemische Bindung hat“, sagt Sinn. Diese Zustände sind aber so kurz, dass man sie mit normalen Detektoren überhaupt nicht messen kann, bevor das Molekül wieder in seinen Normalzustand zurückkehrt. Der European XFEL regt die chemische Reaktion erst an und macht dann seine Messungen.

Das klingt alles nach Grundlagenforschung, gibt es nicht auch konkrete Anwendungen?
„Bei den meisten Experimenten geht es tatsächlich um Probleme der Grundlagenforschung“, sagt Sinn. Das heißt aber nicht, dass es eine konkrete Anwendung nicht möglich wäre. Zum Beispiel könnte die Fähigkeit des European XFELs dazu genutzt werden, die Struktur von Medikamenten vor ihrer Zulassung zu bestimmen. „Diese Experimente sind bisher nämlich noch sehr mühsam“, sagt Sinn. Mit dem European XFEL könnten sie zur Routine werden.

Wann geht es richtig los?
Der European XFEL wurde vergangene Woche offiziell vorgestellt, jetzt wird er Schritt für Schritt startklar gemacht. Konkret heißt das: Am 25. Oktober wird zuerst der Teilchenbeschleuniger auf -271 Grad herunter gekühlt. Das dauert vier Wochen und „ist noch mal ein wirklich spannender Moment“, wie Sinn sagt. „Die Frage ist, ob er auf dieser Temperatur funktioniert. Geht auch nur eine Schweißnaht auf, wirft uns das um Wochen zurück.“ Läuft alles gut, wird der zweite Abschnitt in Betrieb genommen. Im Mai 2017 sollen dann die ersten Testexperimente stattfinden, ab Juni dann die ersten „richtigen“ Experimente.

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