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Mit Algorithmen gegen Mutationen: Virus, wir wissen, wie deine Kinder aussehen werden!

von Max Biederbeck
Der Kampf gegen aggressive Viren gleicht einem Katz- und Mausspiel. Haben Forscher ein Mittel oder einen Impfstoff gegen einen Stamm gefunden, passt sich dessen nächste Generation bereits an. Ein neuer Ansatz könnte den entscheidenden Vorsprung liefern.

Viren erinnern ein wenig an die Borg aus Star Trek. Auch die werden spätestens nach dem dritten Phaser-Schuss unverwundbar. Beim Virus hat das allerdings nichts mit Science-Fiction zu tun, es entwickelt sich einfach sehr schnell weiter. Zu schnell für viele Therapien. In Viren-Stämmen finden sich zahlreiche Mutationen, die die Behandlung durch ein Medikament überleben können. Sie wachsen zu einer neuen Generation heran, die gegen eben diese Behandlung immun ist. Die Folge: Die Suche nach einem Gegenmittel muss von neuem losgehen. Das Prinzip hinter diesem Vorgang kennen wir alle aus dem Biologie-Unterricht. Darwins Evolutions-Theorie, Survival of the Fittest.  

Mathematik hilft dabei, die Evolution von Viren zu verstehen.

Was aber, wenn Forscher vorhersagen könnten, in welche Richtung sich ein Virus entwickelt, welche Oberflächenstruktur es in der nächsten Generation haben wird und welche genetischen Besonderheiten? Diese Frage haben sich Forscher am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie gestellt. Richard Neher, einer von ihnen, ist aber gar kein Biologe sondern Physiker. „Die stochastische Mathematik, wie sie auch in der Physik benutzt wird, hilft mir, die Evolution von Viren zu verstehen“, sagt er. Neher hat zusammen mit einem internationalen Forscherteam einen Weg gefunden, die Entwicklung von Viren vorherzusagen.

Genetiker gingen oft davon aus, dass eine Population grundsätzlich gleich sei und nur einige wenige Mutationen in ihr vorkämen, sagt Neher. „Auf Viren bezogen stimmt dieses klassische Evolutionsmodell aber einfach nicht.“ Stattdessen gebe es zum Beispiel in jeder Population von Grippeviren um die zehn Mutationen. „Es ist ein System, in dem wahnsinnig viel gleichzeitig passiert. Es geht darum, die eine Variable zu erkennen, die abweicht.“

In 80 Prozent der Fälle konnte die Elterngeneration eingegrenzt werden.

Und weil Wahrscheinlichkeitsrechnung sein Fachgebiet ist, entwickelte Neher mit seinen Kollegen einen mathematischen Algorithmus, der es in etwa 80 Prozent der Fälle schafft, den einen Virus einzugrenzen, aus dem die nächste Generation entspringen wird. Den Eltern-Virus sozusagen. Im eingangs erwähnten Katz- und Mausspiel könnten Mediziner dadurch einen Vorsprung bekommen. Sie können Impfstoffe eigentlich immer nur für  bereits existierende Virenstämme entwickeln. Würden die Entwickler aber wissen, welcher Virus für die Folgegeneration verantwortlich ist, könnten sie sich von vorne herein auf sie einstellen.

Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben ihren Algorithmus mit Daten aus knapp 20 Jahren Grippe-Geschichte gefüttert. Mit Daten der A/H3N2 influenza, um genau zu sein. „Das Programm funktioniert, indem es einen Stammbaum der Virenstämme erstellt“, erklärt Neher. Es müsse deren Evolution dann nur noch logisch fortsetzen und Wahrscheinlichkeiten berrechnen, um zu einem Ergebnis zu kommen.

Diese Methode ließe sich auch auf wuchernde Zellkulturen in Krebsgeschwüren anwenden. Könnten Mediziner rechtzeitig die Stämme an Zellen identifizieren, die sich nach einer Behandlung besonders aggressiv weiter teilen, könnten sie diese gezielt bekämpfen. „Vor allem unnötige Therapien ließen sich von vorne herein vermeiden“, sagt Neher. Noch hat sein mathematischer Ansatz keine hundertprozentige Treffer-Quote. Er zeigt aber, dass Wissenschaftler anfangen, Evolution im Nano-Bereich zu verstehen. 

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