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Kind mit drei Eltern geboren – was bedeutet das?

von Anna Schughart
In Mexiko wurde vor fünf Monaten zum ersten Mal ein Kind geboren, das mit der „Drei-Eltern-Befruchtungstechnik“ gezeugt wurde. Für viele ist das eine Nachricht, die Hoffnung weckt, andere warnen vor unbekannten Risiken. WIRED beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?
Der Junge, der am 6. April 2016 in Mexiko zur Welt gekommen ist, ist eine kleine Sensation. Er hat drei Eltern, genauer gesagt: zwei Mütter und einen Vater. Es ist das erste Kind, das mit Hilfe der sogenannten „Drei-Eltern-Befruchtungstechnik“ gezeugt wurde, wie der New Scientist berichtet. Doch diese Technik ist extrem umstritten. Für manche Wissenschaftler ist die Geburt des gesunden Jungens ein Grund zur Freude, der Eltern weltweit Hoffnung geben könnte. Andere sind alles andere als begeistert.

Wie kann ein Kind drei Eltern haben?
Die Eltern – ein Ehepaar aus Jordanien – hatten laut New Scientist vor der Geburt ihres Sohnes jahrelang versucht, Kinder zu bekommen. Nach mehreren Fehlgeburten klappte es; ein Mädchen starb jedoch mit sechs Jahren, ein Junge mit acht Monaten. Sie beide hatten eine Erbkrankheit namens Leigh-Syndrom, die das Gehirn angreift und die Lebenserwartung auf wenige Jahre senkt. Beim Leigh-Syndrom ist die Mitochondrien-DNA geschädigt und der Zellstoffwechsel funktioniert nicht mehr richtig. Die Folgen sind unter anderem epileptische Anfälle, Muskelschwäche und Atemstörungen. Es gibt keine Heilung.

Mitochondrien sind die Kraftwerke unserer Zellen. Sie produzieren das energiereiche ATP-Molekül. Vor mehreren Millionen Jahren waren sie noch eigenständige kleine Organismen, die eine Symbiose mit den Zellen eingingen, aus denen später einmal Tiere und Pflanzen werden sollten. Deshalb haben Mitochondrien ihre eigene DNA. Jeder Mensch erhält diese allerdings ausschließlich von seiner oder ihrer Mutter.

Die Idee hinter der „Drei-Eltern-Technik“ ist es, bei schwerwiegenden Fällen die kaputte, mütterliche Mitochondrien-DNA einfach auszutauschen. Das Kind hat dann die „normale“ DNA seiner Mutter, die DNA seines Vaters und die Mitochondrien-DNA einer gesunden Spenderin.

Wie funktioniert diese Transplantation?
Es gibt verschiedene Methoden, um Mitochondrien-DNA zu transplantieren. Beim Vorkerntransfer werden die Eizellen von Mutter und Spenderin befruchtet. Die Eizelle der Spenderin wird entkernt, zurück bleibt eine „leere“ Zelle mit gesunder Mitochondrien-DNA. Dort hinein wird der Vorkern (das ist der Zustand, wenn ein Spermium zwar schon in eine Eizelle eingedrungen ist, die beiden Zellkerne aber noch nicht verschmolzen sind) transplantiert.

Der Junge, der vor fünf Monaten in Mexiko zur Welt kam, wurde dagegen mithilfe der Spindeltransfer-Methode gezeugt. Dafür entfernt man den Zellkern aus einer unbefruchteten Eizelle der Mutter und transplantiert ihn in die entkernte, unbefruchtete Eizelle der Spenderin. Dann wird die Zelle befruchtet.

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Ist das legal?
In Deutschland ist die „Drei-Eltern-Technik“ verboten. Großbritannien ist bisher das einzige Land, das das Verfahren offiziell erlaubt hat. Das jordanische Ehepaar hatte sich an John Zhang und sein Team am New Hope Fertility Center in New York gewandt. Doch auch in den USA ist die Zeugung von Kinder mithilfe der „Drei-Eltern-Technik“ bisher nicht erlaubt. Zhang und sein Team gingen deshalb nach Mexiko, wo es laut dem Mediziner „keine Regeln“ gibt.

Paul Knoepfler, Biologe an der University of California, kritisiert dieses Verhalten gegenüber WIRED heftig: „Dieses Unter-dem-Radar-Experiment sendet gewissermaßen die Nachricht aus: Verdammt, lass uns diese Experimente einfach mal versuchen, ohne dass wir irgendjemand davon erzählen, und hoffen, dass es kein Desaster wird.“ Die Geburt eines gesunden Babys, sagt Knoepfler, sage noch nicht viel darüber aus, wie sich das Kind entwickeln werde oder ob das Experiment tatsächlich funktioniert habe. „Aber ich denke, diese Nachricht wird Eltern zu mehr Risiken bei ihren zukünftigen Kinder und Ärzte zu risikoreichen, menschlichen Experimenten ermutigen.“

Für andere ist diese Nachricht dagegen ein Anlass, zu fordern, die „Drei-Eltern-Technik“ auch in den USA zu erlauben. Shoukhrat Mitalipov ist ein absoluter Pionier auf dem Gebiet der mitochondrialen Transplantation. Er selbst hat vor einigen Jahren vergeblich versucht, die Erlaubnis für Experimente mit der Spindeltransfer-Methode an menschlichen Zellen zu erhalten. Jetzt sagt er: „Die Vereinigten Staaten sollten in der ersten Reihe stehen, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass diese Arbeit sicher und durch gut regulierte klinische Versuche gemacht wird.“ Doch unglücklicherweise habe man bisher verhindert, dass Amerikaner Zugang zu dieser Technologie hätten, „was verzweifelte Eltern dazu zwingt, in Länder auszuweichen, wo es weniger Aufsicht gibt.“

Der Junge soll gesund sein. Bedeutet das nicht, dass die Technik funktioniert und häufiger angewendet werden kann?
„Ich denke, das beweist nichts“, sagt Knoepfler. „Dadurch, dass es keine Aufsicht gab, ist es unklar, wie gut das Experiment tatsächlich funktioniert hat. Wir werden das volle Ausmaß der Risiken für den Jungen erst sehen, wenn er durchs Leben geht.“

Auch Klaus Reinhardt, Professor für angewandte Zoologie an der TU Dresden, sagt: „Als Wissenschaftler bin ich etwas erschrocken, dass angesichts der dünnen und zweifelhaften Datenlage so ein Experiment ausgeführt wurde.“ Als Privatperson hoffe er, dass Vorhersagen über mögliche Gesundheitsschäden falsch seien, dass das Kind gesund aufwachsen werde und somit nicht bei vielen Betroffenen falsche Hoffnungen geweckt würden.

Was genau sind die Risiken?
„Das ist schwer zu sagen, weil wir auf unerforschtem Gebiet sind“, sagt Knoepfler. Risiken könnten unter anderem Entwicklungsprobleme, Stoffwechselschwierigkeiten oder verfrühte Alterung sein. Es ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass das Kind nicht doch am Leigh-Syndrom erkrankt. Momentan betrage der Anteil der mutierten Mitochondrien-DNA nur ein Prozent, schreibt der New Scientist. Doch es bestehe die Chance, dass die defekte DNA sich besser repliziere. „Oder er könnte völlig gesund sein, was wir alle hoffen“, sagt Knoepfler. „Aber der entscheidende Punkt ist, dass niemand wirklich weiß, was passieren wird.“

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