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Brain-Net: Forscher vernetzen Rattenhirne zu organischem Computer

von Cindy Michel
Die Gehirne einzelner Versuchstiere werden erstmals erfolgreich zu einem Überhirn vernetzt. Affen steuern gemeinsam einen virtuellen Arm, Ratten lösen im Kollektiv Probleme, die sie alleine nicht geschafft hätten.

Nicht nur Affenhirne wurden in der Studie zusammengeschlossen, denn nach den erfolgreichen Versuchen mit Rhesusaffen, konzentrierten sich die Forscher der Duke University auf die Gehirne von Ratten. Dabei vernetzten sie vier Gehirne zu einem sogenannten Brain-Net. So synchronisierten die Nager im Versuch ihre neuronalen Aktivitäten und lösten gemeinsam eine Aufgabe, an der einzelne Laborratten im Vorfeld gescheitert waren. 

„Wir haben ein Super-Hirn geschaffen”, sagt Miguel Nicolelis. Bevor sich der Neurowissenschaftler den Brain-Nets widmete, forschte er an Hirn-Maschine-Schnittstellen, sogenannten Brain-Machine-Interfaces. Durch diese sollen gelähmte oder amputierte Menschen die Möglichkeit erhalten, Prothesen oder Exoskelette direkt bewegen und dirigieren zu können. Nicolelis meint, dass die Ergebnisse seiner aktuellen Studie nicht nur für klinische Zwecke bei Schädel-Hirn-Patienten eingesetzt werden, sondern vielleicht sogar den Grundstein für organische Computer gelegt haben könnten: „Wir haben ein Kollektiv-Gehirn aus drei einzelnen Affenhirnen kreiert. Das ist noch niemandem gelungen”, sagt er selbstbewusst.

Wir haben ein Superhirn aus drei einzelnen Affenhirnen kreiert. Das hat noch niemand geschafft.

Miguel Nicolelis, Neurowissenschaftler an der Duke University

Visionen von außerirdischen Borg-Armeen, die als Kollektiv die Erde erobern oder andere Sci-Fi-Horroszenarien kommen Nicolelis nicht in den Sinn. Dafür hat der Neurologe eine andere Erklärung: „Hollywood konditioniert uns regelrecht. Die Filmindustrie will uns glaubhaft machen, dass alles was die Wissenschaft macht, böse ist. Dass die Wissenschaft an sich böse ist.” 

Von den Forschungsergebnissen beindruckt zeigt sich auch Anders Sandberg vom Zentrum für Neuroethik an der University of Oxford. Seiner Ansicht nach ist die Studie die bisher überzeugendste Demonstration dafür, dass Gehirne tatsächlich miteinander vernetzt werden können: „Digitale Telepathie ist schon lange ein Thema. Die bisherigen Versuche, eine solche zu kreieren waren aber meist nur Hypes”, so Sandberg. „Aber hiervon bin ich beeindruckt. Donnerwetter.”

Die Gehirne der Rehsusäffchen waren noch nicht vernetzt, wie es bei den Ratten der Fall war. Eigenständig und unabhängig lernten die Affen, den virtuellen 3D-Arm, der ihnen auf einem Bildschirm gezeigt wurde, zu kontrollieren — einzig und allein dadurch, dass sie sich vorstellten, den Arm zu bewegen.

Von dieser Studie bin ich schwer beeindruckt. Donnerwetter.

Anders Sandberg, Zentrum für Neuroethik in Oxford

Anschließend bekamen die Affen die gemeinsame Kontrolle über den Arm, jeder Affe konnte zwei von drei Dimensionen steuern. Obwohl ihre Gehirne nicht direkt vernetzt waren, synchronisierten sie ihre Gehirnaktivität intuitiv. Das System funktionierte sogar, wenn nur zwei von drei Affen sich auf den Arm konzentrierten.

Die Rattenhirne vernetzten die Wissenschaftler so, dass sie sowohl die Neuronen stimulieren, als auch die elektrische Aktivität messen konnten. Eines der Experimente war so aufgebaut: Wenn ein elektrischer Impuls an eine Ratte gesendet wurde, lernten die anderen Ratten ihre Hirnaktivitäten zu synchronisieren, indem sie die Resonanz der ersten nachahmten. 

In einem anderen Versuch wurden die Gehirne einzelner Ratten mit Impulsen stimuliert, die die Nager als Temperatur oder Luftdruck wahrnahmen. Die Ratten konnten die Informationen zusammentragen und verarbeiten, um das Wetter aufgrund dieser implizierten Angaben vorherzusagen. Im Brain-Net-Verbund waren die Antworten der Ratten viel präziser. In der Zukunft könnte dieses Konzept noch ausgeweitet werden und neuronal verbundene Schwärme von Ratten mit kollektiver Intelligenz produzieren, meinen die Forscher.

„Schädel-Hirn-Patienten könnten irgendwann extrem von diesen Forschungen profitieren”, erklärt Nicolelis. So nennt der Brasilianer das Beispiel eines beschädigten Sprachzentrums: Der Betroffene würde seine Sprachfähigkeit wahrscheinlich schneller zurückerlangen, wenn sein Gehirn mit dem Sprachzentrum einer gesunden Person synchronisiert werden könnte. Gefühle, Erinnerungen und Gedanken würden allerdings nicht geteilt werden, verspricht Nicolelis. Denn diese könnten nicht auf einen Algorithmus reduziert werden.

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